piwik no script img

Aktuelle Positionen von Flachwaren

■ Nördliche Deichtorhalle: Im „Zerbrochenen Spiegel“ reflektierte Malerei Von Hajo Schiff

Der zerbrochene Spiegel: Nicht auf die Schlägereien bei der Eröffnung und dergleichen Unfreundlichkeiten bei den deichtorhallenüblichen Einlaßkontrollen bezieht sich der leicht negativ angehauchte Titel der aktuellen Groß-Schau. Vielmehr ist das Gemälde heute eben kein ungebrochener Spiegel der pluralistisch zersplitterten Welt mehr. Doch jenseits der splittrigen Metapher fanden die Kuratoren der ersten reinen Schau von Flachware seit zehn Jahren ganz real im Studio des über 80jährigen Eugène Leroy einen zerbrochenen Spiegel, in dem der Meister pastos addierter Farbmassen seine erstrebte Farb- qualität am besten zu sehen meinte.

Die Kraft einer so generationsübergreifenden Malerei beeindruckte schon bei der letzten documenta und beweist auch hier wieder die Notwendigkeit einer beharrlichen Arbeit jenseits marktschreierisch postulierter Moden. Malerei, so Leroy, ist „Harmonie, die darin besteht, einem materiellen Objekt Qualität zu verleihen durch Ordnen der Quantität“. Dies geschieht immer noch auf ganz unterschiedliche Weise, wie diese ursprünglich für die Wiener Festwochen erstellte Übersicht über Malerei heute zeigt.

Über 40 Positionen von Malerei, vier spezielle Projekte und drei Miniretrospektiven sind in der Schau zusammengefaßt, die schon durch die Kojen-Architektur der Deichtorhalle den Charakter einer Messe erhält. Der alte Hase Kaspar König und der 25 Jahre junge Shooting-Star der Ausstellungsmacherszene Hans-Ulrich Obrist haben in zwei Jahren und bei über 400 Atelierbesuchen notwendig subjektiv ausgewählt und zeigen zweifelsohne die nimmermüde Präsens und zugleich die Problematik des traditionellen Mediums. In der paradoxerweise bei jeder Gelegenheit formulierten Zurücknahme des eigenen Anspruchs auf Trendsetting ist dabei die Wiederbelebung des bürgerlich traditionellen Ausstellungstyps „Salon“ herausgekommen, in dem keine neuen Thesen vertreten, sondern im distanzierten Vergleich zur Begegnung mit dem einzelnen Bild aufgefordert wird. Wird denn alle durchaus mögliche Kritik am Ganzen zugunsten solchen Einlassens auf die statischen Bildzeichen zurückgestellt, sind jenseits wiedererkennender Aha-Erlebnisse auch erfreuliche Begegnungen möglich.

Polke und Richter im Zentrum der Halle, Baselitz an der hinteren Stirnwand stecken die zentrale Bedeutung dieser drei verschiedenen Großmeister ab: Realismen, Expressionismen und Ironie als Gerüst des gegenwärtigen Spektrums. Die Eckpunkte der Bandbreite sind auch räumlich exponiert: Die fast versteckte, mit der Industriefarbe „mittelgrau“ bemalte Wand von Daniel Walravens und das Horrorkabinett von Flohmarkt-Bildern von Jim Shaw oder die im Maßstab eins zu eins gemalte, das heißt hier besser „bemalte“ Yacht von Bertrand Lavier am Eingang und die konzeptuellen Datumsbilder von On Kawara in der hintersten Ecke.

Erstaunen können am ehesten die bisher wenig bekannten Maler der Miniretrospektiven, allen voran der Schwede Dick Bengtsson (1936-1989) mit seiner intellektuell gebrochenen Zitierkunst, die doch dem Malerischen verpflichtet bleibt. Vom Realismus des 40jährigen Michael Bach zur konkreten Malerei der 1912 geborenen Agnes Martin, von der seit langem überschätzten Pseudomystik eines Francesco Clemente zu dem sozialpädagogischen Konzept der Maria Eichhorn mit ihren von Museumsmitarbeitern gemalten monochromen Tafeln spannt sich der Bogen der Formen und Ansätze. Der Schweizer Jean Frédéric Schnyder umreißt diese Skala der Möglichkeiten der Malerei in einem einzigen Werkkomplex zum Thema Landschaft mit 35 kleinen Bildern in allen nur denkbaren Stilen. Eine weitere Position, die mit dem Buchtitel von Wolfgang Max Faust „Dies alles gibt es also“ bestens beschreibbar ist. Die nächste Präsentation dessen, was es so gibt, ist schon in Sicht: Das Duo König/Obrist wird auch die Schau Neue Kunst in Hamburg ab 12. November im Kunstverein verantworten.

Als Gegenausstellung führen Christoph Bannat, Gunter Reski und Rupprecht Matthies in einem ehemaligen Laden im Sprinkenhof ihre wild und namenlos gehängte Auswahl akueller Mal-Produktion vor: Der duale Pinsel - Malerei 2000. Auf alle hochkulturellen Präsentationsformen verzichtend, müllt dort die nichtmal grundklassenreife Produktion einiger Autodidakten und schnellmalender Hyperironiker die besseren Bilder förmlich zu — ein Musterbeispiel, daß gerade die Malerei als die konventionellste der Künste nicht auf ein spezielles Rezeptionsumfeld verzichten kann, und die schnell und alternativ von Künstlern verantworteten Präsentionsinitiativen nicht notwendig besser oder auch nur informativer sein müssen.

Deichtorstr.1, Di-So 11-18 Uhr, Do - 21 Uhr, bis 2.1.94, Katalog 40 Mark; „Malerei 2000“: Altstädter Str.4, Mo-Fr 15-18, Sa-So 12-18 Uhr, bis 31.10.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen