Aktivistinnen über gemeinsame Konferenz: „Wir zeigen, dass die Gesellschaft nicht rassistisch ist“
Geflüchtete wollen sich gegen Rechtsruck und Asylverschärfungen rüsten. Dazu lädt das antirassistische Netzwerk „We'll come united“ nach Hamburg ein.
taz: Worum geht es beim „We’ll come united“-Kongress an diesem Wochenende?
Asmara Habtezion: Wir wollen uns mit möglichst vielen Menschen darüber austauschen, wie die Selbstorganisierung von Gruppen, Initiativen und Vereinen weitergehen soll, die gegen Rassismus kämpfen. In den Geflüchteten-Communitys ist der Rechtsruck der Gesellschaft deutlich spürbar. Deswegen müssen wir neue Strategien besprechen und uns vernetzen. Nächstes Jahr ist zehnjähriges Jubiläum des Summer of Migration, als es hieß, „Wir schaffen das“. Und heute soll die Ursache aller Probleme Migration sein?
taz: Wie 2018, als Horst Seehofer Bundesinnenminister war. Das war auch der große Moment von We’ll come united“: 30.000 Menschen demonstrierten in Hamburg-St. Pauli, die Elbphilharmonie hisste die „We’ll come united“-Flagge. Danach wurde es still um das Bündnis.
Habtezion: 2019 fanden Vernetzungstreffen in ganz Deutschland statt. Wir haben auch eine Tour durch Ostdeutschland gemacht, danach hat uns Corona ausgebremst. Wir haben uns online weiter getroffen, aber Face to Face ist es was anderes. Wir hatten dieses Jahr eine Konferenz in Frankfurt und ein Sommercamp in Thüringen. Das war sehr wichtig für die Menschen vor Ort. In Hamburg wollen wir mehr Leute erreichen und zeigen, dass die Gesellschaft nicht rassistisch ist.
taz: Ist das gesellschaftliche Momentum noch da, Zehntausende Menschen für die Rechte Geflüchteter auf die Straße zu bringen?
Aicha El Saleh: Es ist momentan schwierig, weil die Leute krisengeplagt sind. Aber die Massen sind da, und auch wir sind da. Wir Migrant*innen der zweiten oder dritten Generation, Geflüchtete, sind schon immer da gewesen. Das Problem ist, dass die Politik den Menschen signalisiert, Migration sei ein Problem.
49, Vorständin der Beratungsstelle Romani Kafava in Hamburg
taz: Auf dem Kongress wollen Sie inhaltliche Schwerpunkte Ihrer Kampagnenarbeit für 2025 setzen – welche könnten das sein?
Zingovala Adzović: Armut ist ein großes Thema und wird noch wichtiger werden. In den Beratungen höre ich oft, dass das Jobcenter oder die Ausländerbehörde nicht zahlt, mitunter warten Menschen acht Monate auf ihr Geld und häufen Schulden an. Das liegt auch am Personalmangel in den Ämtern. Und wie können wir den Personalmangel beheben? Durch Migration! Stattdessen schottet Europa sich ab. Wer keine Leistungen bekommt, verliert seine Wohnung, die Wohnungsnot ist ein riesiges Problem in den Communitys.
Aicha El Saleh
38, Vorständin des Hamburger Flüchtlingsrats und Vorsitzende der freien syrischen Gesellschaft.
El Saleh: Im nächsten Jahr werden weitere Verschärfungen auf uns zukommen, Familienzusammenführungen werden weiter erschwert, Menschen mit Duldung weiter entrechtet. In Hamburg müssen wir uns schon mit der Bezahlkarte herumplagen, bald auch bundesweit. Und natürlich werden Abschiebungen ein großes Thema bleiben.
Habtezion: Wir müssen gucken, wie wir die Jugend ins Boot holen können, die in den vergangenen Jahren von der Politik so vernachlässigt wurde. Wir planen bei dem Kongress eine Social-Media-Werkstatt und Worskhops zu Machtstrukturen, Repression, Diskriminierung innerhalb linker Netzwerke und eine Movie-und-chill-out-Ecke.
taz: Wahrscheinlich gibt es innerhalb einer so heterogenen Gruppe auch Konflikte, etwa um den Nahen Osten, Verteilungsfragen oder Generationenkonflikte. Wie gehen Sie damit um?
Asmara Habtezion
41, Community Organizerin aus Saarbrücken mit eritreischem Backround.
Habtezion: Klar, wir sind eine Riesengruppe oder besser gesagt: viele Riesengruppen. Aber wir sind auch der lebende Beweis, dass man trotz aller Differenzen zusammenstehen kann. Wir sind die Gesellschaft der vielen. Wir haben einen Code of Conduct für einen respektvollen Umgang erarbeitet.
taz: Wenn Sie drei Forderungen an die Bundesregierung stellen könnten, welche wären das?
Adzović: Es muss aufhören, dass die finanzielle Unterstützung der Vereine, die sich für Integration und Demokratie einsetzen, immer weiter gekürzt wird. Wir haben jedes Jahr weniger Möglichkeiten, dabei werden alle Beratungsstellen, ob Caritas, AWO oder Mädchentreffs, komplett überrannt.
Habtezion: Es ist gefährlich, den Menschen Beratungsstellen und Angebote wegzunehmen, die ihnen Halt geben. Es erschwert die Integration, Menschen isolieren sich, irren perspektivlos herum und geraten im schlimmsten Fall in die Fänge von Extremisten oder radikalisieren sich im Internet.
El Saleh: Wir fordern das Ende der Kriminalisierung von Migration. Migration ist ein Menschenrecht. Und die Ampelkoalition sollte aufhören, der AfD hinterherzulaufen und stattdessen soziale Politik für die Menschen machen.
taz: Wird Deutschland unattraktiv als Ziel für Geflüchtete?
Adzović: Definitiv. Aber wohin soll man sonst? In Europa herrscht ein Unterbietungswettbewerb in Mindeststandards. Die Leute berichten von Folter in Kroatien, Bulgarien, Ungarn und in Polen. Wir haben Menschen in Obdachlosigkeit in Italien, Spanien, Schweden. Selbst die skandinavischen Länder sind in Sachen Menschenrechte eine Katastrophe.
Konferenz „We’ll come united“. Eröffnung: Fr, 1. 11., 15 Uhr, Millerntor-Stadion/Ballsaal, Harald-Stender-Platz 1, Hamburg; bis So, 3. 11.; am Samstag mit Kinderbetreuung, abends Party in den Fanräumen. Alle Infos: www.welcome-united.org, Anmeldung gern gesehen unter wcuhamburg@gmail.com
El Saleh: Das gilt nicht nur für Geflüchtete. Auch Menschen, die schon in zweiter Generation hier sind, fühlen sich zunehmend unwohl und fragen sich: „Bin ich hier eigentlich noch sicher?“ Aus der syrischen und libanesischen Community bekomme ich mit, dass die Menschen sich zurückziehen. Obwohl sie 20, 30 Jahre hier gelebt haben und voll integriert sind, denken sie jetzt: „Okay, ich bin hier nicht mehr gewollt.“
Habtezion: Deshalb ist es jetzt wichtig, Kräfte zu bündeln und sich zu vergewissern: „Ich bin nicht alleine in dieser Scheiße.“ Deswegen richten wir uns mit dem Kongress auch an Biodeutsche oder andere, die aktivistisch oder interessiert sind oder gemeinsam Strategien suchen wollen, aus der fatalistischen Stimmung zu kommen.
taz: Was hören sie von Geflüchteten, die nun in Gemeinden mit AfD-Bürgermeistern leben, etwa dem sächsischen Pirna oder Raguhn-Jeßnitz in Sachsen-Anhalt?
Habtezion: Sie tun alles, um da rauszukommen. Also wirklich alles.
El Saleh: Für die Gesellschaft dort ist das sehr schlecht, denn das sind ja sowieso schon fast tote Orte. Aber als geflüchtete Person lässt es sich da nicht aushalten. Menschen berichten uns, dass sie bespuckt werden oder der Bus nicht für sie anhält.
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