Aktionstage an den Hochschulen: "Bitte kein 68er-Revival!"

Unter den streikwilligen Studierenden haben sich zwei Gruppen herausgebildet: Pragmatiker und Dogmatiker. Manchen macht das Probleme.

Manch Studierende stört das dominante Gebaren ihrer KommilitonInnen, denen es um mehr als nur die Verbesserung der Studienbedingungen geht. Bild: dpa

Seitdem an der Humboldt-Universität Berlin die Weltrevolution ausgerufen wurde, hat Leva Kochs genug von den Wortführern des Bildungsstreiks. "Das Ganze wird zu einem Elitestreik von ein paar Leuten, die sich als links bezeichnen", sagt die 23-Jährige, "wir wollen aber kein 68er-Revival."

Sie studiert Philosophie und Kunstgeschichte an der HU und brennt, wie sie selbst sagt, für die Forderungen des Bildungsstreiks. Doch die Diskussionskultur, die die Aktionisten pflegen, hält sie für fragwürdig. Saßen in der ersten Plenarsitzung noch um die 300 Studierende, waren bei der zweiten kaum mehr 60 anwesend.

Nicht der Kampf um verbesserte Ausbildungsbedingungen, sondern vor allem die Lust am Protestieren stehe größtenteils im Vordergrund, sagt Kochs. Wer aktiv werden will, kaufe gleich ein ganzes Wertegemenge ein. Das Audimax der HU ist bereits gepflastert mit Postern gegen den Welthunger, gegen die Benachteiligung der Frau im Iran, gegen die Ungerechtigkeit der Welt. Das seien alles wichtige, relevante Themen, findet Kochs, aber: "Sie haben nichts mit dem Bildungsstreik zu tun."

Die Debatten würden zunehmend dogmatisch und inhaltslos geführt, beklagt sie. Spätestens als einem Kommilitonen bei einer Diskussion das Mikrofon aus der Hand gerissen und er als Kapitalist beschimpft wurde, reichte es Kochs. Gemeinsam mit anderen Studierenden gründete sie spontan einen Arbeitskreis, in dem sie darüber debattieren, wie man eine breitere Masse an Studierenden ansprechen kann. "Ob man mitstreikt oder nicht, darf nicht abhängig sein von der politischen Richtung der Studenten", findet sie.

Auch in Münster haben sich zwei Gruppen von Demonstranten herausgebildet: diejenigen, die pauschal das System in Frage stellen, und diejenigen, die über Bildungsinhalte diskutieren wollen und daher für gemäßigtere Mittel sind. Als "Spaltung" will Michael Dunker, 25, vom Asta Münster das aber nicht bezeichnen. Das Bündnis Bildungsstreik, ein bundesweiter Zusammenschluss der streikenden Studierenden, sei so breit gefächert, dass zwangsläufig Meinungsverschiedenheiten auftreten: "Wir befinden uns in einem ständigen Diskussionsprozess darüber, zu welchen Mitteln wir greifen." Dunker selbst ist zuversichtlich, dass dank der Aktionen die Thematik Chancen und Bildung stärker und nachhaltig ins Bewusstsein gerückt worden ist.

Wenig begeistert vom Vorgehen seiner Kollegen zeigt sich Sebastian Philipper. Der 24-Jährige, ebenfalls Mitglied des Asta Münster, lehnt nicht nur radikale Aktionen wie Straßenbesetzungen, sondern auch das Vokabular ab, mit dem der Bildungsstreik ausgefochten wird. "Da wird plötzlich über Klassenkampf diskutiert", sagt er, "und das Schlagwort neoliberal wird auch immer wieder ausgepackt." Wie auch Leva Kochs empfindet Philipper die Debattenführung als "dogmatisch". Natürlich müsse über die Ökonomisierung der Bildung geredet werden. Aber auch wer aus rein pragmatischem Eigeninteresse auf die Barrikaden gehe, müsse respektiert und angehört werden. Trotzdem will Philipper sein Asta-Mandat nicht ablegen und weiterhin mitdemonstrieren: "Wenn die gemäßigten Studenten sich zurückziehen würden, gäbe es keinen Gegenpol mehr."

Von Resignation will auch Leva Kochs nichts wissen. Ob sie am heutigen Aktionstag mitdemonstriert, weiß sie zwar noch nicht genau; zu frustriert ist sie noch von der letzten Plenarsitzung, die von bestimmten Studierenden dominiert wurde. Auf jeden Fall will sie versuchen, auch andere Stimmen bei den Wortführern stärker durchzusetzen. Denn: "Nichts zu machen, ist auch keine Lösung."

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