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Aktionsplan für bessere IntegrationVon der Leyen blitzt bei Behinderten ab

Die Sozialministerin will Behinderte künftig stärker in die Gesellschaft holen. Konkreter wird sie nicht. Behindertenverbände halten den Plan für mutlos.

Gebärdensprache: Von der Leyen versucht alles, um ihren Aktionsplan zu verkaufen. Bild: dpa

BERLIN taz | Es klingt wie eine kleine Revolution: Sozialministerin Ursula von der Leyen (CDU) hat am Mittwoch einen nationalen Aktionsplan ins Leben gerufen, der unsere Gesellschaft verändern soll. "Wir wollen uns auf den Weg in die inklusive Gesellschaft machen", kündigte sie an. Der Alltag soll künftig so organisiert werden, dass die 9,6 Millionen Menschen mit Behinderungen "selbstverständlich mittendrin und dabei sind".

Sie sollen also ein selbstbestimmtes Leben führen können - so wie es die UN-Behindertenrechtskonvention vorsieht, die Deutschland im Februar 2009 unterzeichnet hat. Um ihre Glaubwürdigkeit zu unterstreichen, hatte von der Leyen auf der Pressekonferenz eine Gebärdendolmetscherin dabei und übte sich zur Begrüßung auch selbst in Gebärdensprache.

Doch draußen vor der Tür standen zwei Personen, die von diesem Plan nicht überzeugt waren. Es handelte sich um Rollstuhlfahrer. Sie und die meisten Behindertenverbände halten das Vorhaben für mutlos, für Aktionismus. Dabei bekräftigte von der Leyen, dass sie die Verbände in den gesamten Prozess einbezogen habe.

Doch das sieht Barbara Vieweg vom Behindertenrat anders. Die Verbände seien beteiligt worden, als es darum ging, Visionen auszuarbeiten, sagte Vieweg der taz. "Doch bei den Maßnahmen konnten wir nicht mitreden."

Arbeitsmarkt behindertengerecht machen

Worum geht es bei dem Aktionsplan? Unter den insgesamt 213 aufgeführten Einzelmaßnahmen soll es wesentliche Veränderungen vor allem bei der beruflichen Teilhabe von Behinderten geben. Mit der "Initiative Inklusion" will die Regierung 100 Millionen Euro bereitstellen. Davon sollen in den nächsten beiden Jahren 10.000 schwerbehinderte Jugendliche auf das Berufsleben vorbereitet und bis 2016 1.300 neue Ausbildungsplätze für sie geschaffen werden. 4.000 neue Arbeitsplätze sind in den nächsten vier Jahren für Schwerbehinderte über 50 vorgesehen.

Die 100 Millionen Euro stammen nicht aus dem Bundeshaushalt, sondern speisen sich aus dem Ausgleichsfonds. In diesen müssen Unternehmen einzahlen, die nicht ausreichend der Pflicht nachkommen, behinderte Menschen zu beschäftigen. Der Fonds ist ohnehin dafür vorgesehen, Behinderte am Arbeitsleben teilhaben zu lassen. Auch bei den Plänen für den Arbeitsmarkt findet sich wenig Konkretes.

Viele der Kampagnen und Förderprogramme sind Minimaßnahmen. Die meisten davon würden wohl auch ohne das Aktionsprogramm ins Leben gerufen werden, sagte Vieweg. Die Sprecherin des Behindertenrates vermisst konkrete Gesetzesinitiativen und verbindliche Ziele. Das betreffe etwa die Barrierefreiheit. "Das Prinzip der Freiwilligkeit nützt hier nichts", sagte sie. So wolle das Sozialministerium das kostenlose Fahren im Nahverkehr für Behinderte ausweiten. Doch viele Behinderte würden gar nicht allein in die Züge kommen.

Einer der wesentlichen Punkte der UN-Konvention ist der gemeinsame Unterricht mit Nichtbehinderten. Auf die Bildungspolitik kann der Aktionsplan jedoch kaum Einfluss nehmen - Bildung ist Ländersache.

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10 Kommentare

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  • WB
    Wolfgang Banse

    Trotz UN- Behindertenkonvention hanen behinderte Menschen nach wie vor das Nachsehen

    Menschen mit einer Behinderung leben in Deutschland im Abseits,trotz Diskriminierungsverbot.

    Weigerung zu einer angemessenen Bildung,der Zugang zu einer Ausbildung,Fuß fassen auf den ersten Arbeitsmarkt,dies sind Visionen und Utopien in einem Land das sich Human und sozial nennt.

    Was die Bundesarbveitsministerin vo der Leyen jetzt in Aussicht stellt,um die UN-Behindertenkonvention um zu setzen,kann man nur

    als mildtätig nennen.Über 180000 Erwerbslose gibt es,4000 Arbeitsplätze sollen geschaffen werden.Was für ein Affront.

    Deutschland kann man nicht als Behindertenfreundlich bezeichnen,sondern als Behindertenfeindlich.

  • H
    Hasso

    Diese Frau trieft vor Arroganz und Selbstgefälligkeit.Sie kommt mir oft vor wie ein Aristokraten-Luder,das zu spät geboren wurde. Außer dummen Geschwätz und Selbstdarstellung nichts dahinter.

    Merkel versteht es schon, ihre "Soldaten" richtig einzusetzen. Von Volksnähe versteht dieser Haufen sehr wenig.

  • W
    Wenstruba

    Selbst meine minderjährigen Kinder nennen Menschen mit anderer Gesundheit "Anders Gesunde" und nicht "Behinderte". Da steckt das Wort behindert drin, dass folgen lässt, dass diejenigen, die anders gesund sind irgendjemanden behindern und das ist ja das Gegenteil von jemanden fördern oder befördern. Also kann man da nicht drauf achten?

  • A
    Andreas

    Die gleiche Scheiße wie ihr Kampf gegen Kinderpornografie, viel Gelaber und nichts passiert. Nach den Kürzungen bei den Harz IV - Leistungen, versucht sie sich nun als Gutmensch mit sozialen Gewissen hinzustellen. Wieder nur eine beschissene Imagekampagne.

  • P
    Piawanegawa

    Wenn sie den Behinderten genauso helfen will, wie sie Kindern im allgemeinen helfen wollte, indem sie Stoppschilder im Netz aufstellt oder Kindern von Arbeitslosen im besonderen, indem sie ihnen Nachhilfe anbietet, die aber nur bezahlt wird, wenn das Kind schon versetzungsgefährdet ist und durch die Nachhilfe doch noch versetzt wird, dann tun mir die Behinderten jetzt schon leid.

     

    Diese Frau will NIEMANDEM helfen außer sich selbst und ihren Seilschaften. Alle propagandistischen Auftritte mit angekündigten Wohltaten entpuppen sich im Kleingedruckten als Zumutungen für alle Betroffenen außer denen, die immer noch dumm genau sind, Frau von der Leyen zu wählen. Das ist auch wenig verwunderlich, weil sie eben eine Merkel-Kind ist und dadurch keine Werte außer Machterlangung und Machterhalt besitzt.

     

    Pia

  • S
    susemichel

    Alter Wein in neuen Schläuchen!

    Es ändert sich nichts, weil es nichts kosten darf!

    Man hat uns auch schon die diskriminierende Regelbedarfsstufe 3 als Verbesserung verkauft!

    Diese Regelbedarfsstufe KÜRZT die Grundsicherung über 25jähriger erwerbsunfähiger Behinderter, die von den Eltern betreut werden, um 20 PROZENT! Tolle "Verbesserung"! Mit dem Rest des "Aktionsplans" verhält es sich ähnlich- wir werden für dumm verkauft!

  • JK
    Juergen K.

    1 300 Ausbildungsplätze in den nächsten 5 Jahren.

     

    Da verfaulen in der Zeit mehr Eizellen in ihr.

  • E
    else

    Aus persönlichen Erfahrungen als schwerbehinderte und chronisch kranke Mutter kann ich nur sagen:

     

    Ich kann das alles nicht mehr hören, wie tol(l)erant wir in Deutschland angeblich sind und wie gut wir integrieren und Inklusion betreiben.

     

    In der Praxis sieht es leider so aus, dass es schlichtweg immer ums Geld geht und die Ämter die Zuständigkeiten im besten Fall hin und her schieben oder aber einfach den Hilfebedarf nicht anerkennen.

     

    Die Folge für Eltern mit behinderten Kindern, behinderte Erwachsene und Kinder mit behinderten Elternteilen ist: Klagen, klagen, klagen, wenn dazu die Kraft und das Geld ausreicht. Weil es aber oft eben auch um praktische Unterstützung geht, ist einleuchtend, dass Klagen einreichen für diesen Personenkreis eigentlich kaum möglich ist. Die Energie und das Geld wird schon so über die persönlichen Grenzen hinaus in die schwierige Situation gesteckt. Und ein Verfahren beim Sozialgericht dauert mindestens zwei Jahre.

     

    Manche 'normalen' Kindergärten nehmen - zwar nicht offiziell, aber dennoch - nicht einmal Kinder mit Neurodermitis, weil diese angeblich nicht mit essen können oder eben, weil sie weitere Extrabehandlungen (bei Sonnencreme etc.) benötigen.

     

    Für viele Menschen bedeutet auch heute noch, dass ein behinderter Mensch ein Rollstuhlfahrer oder zumindest blind ist. Alles andere, und auch oft genug diese Behinderungen nicht einmal, wird schlichtweg nicht als Behinderung in der Öffentlichkeit und bei SachbearbeiterInnen anerkannt. Selbst dann nicht, wenn es amtliche Schwerbehindertenausweise und ärtzliche Gutachten gibt. Wer so 'frech' ist, Hilfe zu erbeten oder gar einzufordern, "dem muss doch auch nicht geholfen werden. Denen geht es doch eigentlich zu gut. Und oft arbeiten diese Menschen noch nicht einmal, na, wenn ich diese Zeit hätte..." Aber genau das ist der Kreislauf: Für alles reichen die Möglichkeiten und/oder die Kräfte nicht, daher wird ein behinderter Mensch in Deutschland eigentlich automatisch oft arbeitslos oder besser gleich RenterIn. Und dann hat er dem Gedanken folgend ja eigentlich auch wieder genug Zeit, alles eben etwas langsamer zu machen...

     

    All das genannte und erfahrene, ja demütigende hat bisher nichts mit Inklusion zu tun!!! Das würde nämlich bedeuten, dass behinderte Menschen ein recht auf alle Lebensbereiche hätten: Ausbildung/Beruf, Familie und Freizeit. Und das eben nicht vorrangig in irgendwelchen Heimen und Behindertenwerkstätten, sondern mitten drin im Alltagsleben der MitbürgerInnen in Deutschland.

     

    Die lieben MitbürgerInnen in Deutschland spenden aber lieber mal ein paar Euro für entsprechende Vereine und setzen diese von der Steuer ab als in ihrem Umfeld Menschen - wie sie nunmal sind - einzuschließen. Nein, sie grenzen erfahrungsgemäß, wenn auch nicht unbedingt absichtlich, lieber aus oder ignorieren.

     

    Der gute Wille ist noch lange keine praktische Umsetzung. Leider.

  • BF
    Brigitte Flachmann

    Frau von der Leyen betreibt reinen Aktionismus. Wie in Niedersachsen - und genau von dort kommt Frau von der Leyen - mit behinderten Menschen umgegangen wird, die wirklich gern am Berufsleben teilnehmen würden, kann jeder unter www.bitte-um-hilfe.de nachlesen.

  • R
    Ralf

    die Frau macht nur Versprechungen die sie nicht halten kann, bei Behindertenpolitik hat sie total versagt und noch besser sie ist für die Politik überhaupt nicht geeignet.