Akte Kampusch geschlossen: Spekulationen eingedämmt
Die abschließende Untersuchung der Entführung von Natascha Kampusch entkräftet Spekulationen, der Entführer Wolfgang Priklopil habe Komplizen gehabt.
WIEN taz | Eines der aufsehenerregendsten Verbrechen der jüngeren Geschichte Österreichs gilt jetzt als vollständig geklärt: Der Entführer von Natascha Kampusch hatte keine Komplizen. Das bestätigte am Donnerstag die Oberstaatsanwaltschaft in Wien bei der Präsentation ihres Abschlussberichts. Kampusch war im August 2006 nach mehr als achtjähriger Gefangenschaft geflohen. Ihr Kidnapper Wolfgang Priklopil warf sich noch am selben Tag vor einen Zug.
Dass letzte Details des Verbrechens daher unaufgeklärt blieben, hat in Österreich seither Spekulationen über den Hergang der Tat und die Zeit der Gefangenschaft genährt. Deswegen leitete die Staatsanwaltschaft neue Untersuchungen ein, vernahm 110 Personen und sammelte DNA-Spuren am Tatort. Hinweise auf einen Mittäter ließen sich dabei nicht finden.
Natascha Kampusch selbst hat sich zur Frage möglicher Mitwisser immer vage geäußert: Sie wisse keine Namen. Die Oberstaatsanwaltschaft prüfte vor allem, ob Priklopils engster Freund, Ernst H., eingeweiht gewesen sei. H., der Kampusch als "Freundin" Priklopils kannte, gab erst Monate später zu, dass der Täter ihm kurz vor seinem Selbstmord sein Herz ausgeschüttet hätte. Anfangs hatte er angegeben, Priklopil hätte ihm erzählt, er werde wegen eines Verkehrsvergehens verfolgt. Trotz beruflichen Erfolgs habe er bei Frauen kein Glück gehabt und habe gefürchtet, keine Partnerin zu finden. Deswegen sei er auf die Idee verfallen, ein Mädchen zu verschleppen und sich untertan zu machen. Tatsächlich hatte er sich ja mit Kampusch auch außer Haus gezeigt.
Es gab Ermittlungsfehler, so der mehrere tausend Seiten starke Bericht der Oberstaatsanwaltschaft. Einem Hinweis auf den Täter wenige Tage nach dem Verschwinden der damals zehnjährigen Schülerin sei die Polizei nicht ausreichend nachgegangen. Zur Prüfung solcher Ermittlungspannen war vor zwei Jahren auch eine Evaluierungskommission im österreichischen Innenministerium unter Vorsitz des ehemaligen Verfassungsgerichtshofspräsidenten Ludwig Adamovich eingesetzt worden. Die hatte Zugang zu allen Unterlagen einschließlich der Vernehmungsprotokolle von Natascha Kampusch.
Darin schildert sie auch die konfliktreiche Situation zu Hause und ihre wenig harmonische Beziehung zu der von ihrem Vater geschiedenen Mutter. Adamovich ließ sich nach Studium dieser Unterlagen zu der Bemerkung hinreißen, Natascha Kampusch wäre es während ihrer Gefangenschaft "womöglich allemal besser ergangen als in der Zeit davor". Der Spitzenjurist wurde dafür vor Weihnachten wegen übler Nachrede zu einer noch nicht rechtskräftigen Geldstrafe verurteilt. Absichtliche politisch motivierte Vertuschungsversuche konnte seine Kommission nicht nachweisen.
Adamovich kann sich aber den Einschätzungen der Oberstaatsanwaltschaft nicht anschließen. Für ihn gibt es zahlreiche Indizien auf Komplizen. Denn wenn jemand ein Mädchen verschleppen und einsperren wolle, dann baue er das Kellerverlies vorher. Priklopil habe aber zum Zeitpunkt der Entführung noch keine entsprechende Einrichtung gehabt. Adamovich hält es auch für nicht ausgeschlossen, dass Kampusch erpresst werde: "Es könnte durchaus sein - im Zusammenhang mit irgendwelchem Material, das für sie unangenehm ist." Dafür, dass Priklopil von seinem Opfer pornografische Aufnahmen gemacht und verbreitet haben könnte, wie in manchen Medien behauptet, fanden die Staatsanwälte aber keinen Hinweis.
In den letzten Wochen waren Berichte aufgetaucht, Natascha Kampusch hätte schon vor ihrer erfolgreichen Flucht zwei Versuche unternommen, ihrem Peiniger zu entkommen, sei aber beide Male wieder zu ihm zurückgekehrt. Dem widersprach das Verbrechensopfer, das sich durch die Ermittlungen von Oberstaatsanwalt Thomas Mühlbacher bestätigt fand.
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