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Aischylos' „Orestie“ als GroteskeAthene als Merkel-Karikatur

Ersan Mondtags inszeniert Aischylosʼ Dramentrilogie im Hamburger Thalia Theater. Er sieht kein Entkommen aus dem Kreislauf von Rache und Gewalt.

Flauschig in Plüsch: Ersan Mondtags Inszenierung der „Orestie“ am Hamburger Thalia Theater Foto: Armin Smailovic

Dass man von ihm auch diesmal ein bildgewaltiges Theaterspektakel erwarten darf, daran lässt Ersan Mondtag im Hamburger Thalia Theater schon in den ersten Minuten seiner gut dreistündigen Inszenierung von Aischylos’ Dramentrilogie „Orestie“ keinen Zweifel.

Vergangenes Jahr wurde er für seine vage bleibende, wortlose Kasseler Inszenierung „Tyrannis“ vom Fachmagazin Theater heute zum Regisseur des Jahres und zugleich zum Bühnenbildner und Kostümbildner des Jahres gekürt. Jetzt lässt der gerade mal 30-jährige Regie-Shootingstar auf einer Drehbühne sieben Schauspieler*innen vor einer gewaltigen Glyptothek-Kulisse in statuenhaften Imponierposen erstarrt umeinander kreisen.

Aber schnell wird klar: Statt Tableaus auszustellen, lässt sich Mondtag diesmal auf den Text ein, lässt die allmählich in Bewegung versetzten Statuen im hohen Ton und tragischen Versmaß mit Walter Jens’ Nachdichtung hypnotisierend erzählen, welch blutiger Fluch auf dem Haus der Atreiden liegt. Urvater Atreus schlachtete einst die Nachfahren seines Bruders Thyestes und setzte ihm ihre Eingeweide zum Festmahl vor.

Als nun Atreus’ Sohn, der König Agamemnon, siegreich aus Troja zurückkehrt, ermorden dessen Gattin Klytaimnestra und ihr Liebhaber, Thyestes’ Sohn Aigisth, den Feldherrn, weil der, um die Götter zu besänftigen, die gemeinsame Tochter Iphigenie geopfert hat.

Ein rätselhaftes permanentes Surren

Dass Mondtag aber nicht auf eine museale Inszenierung aus ist, sondern mit allen Theatermitteln den Staub vom zweieinhalbtausend Jahre alten Dramenstoff blasen will, das wird ebenso schnell klar: Ein düster-rätselhaftes permanentes Surren spannt die großartige Musik von Max Andrzejewski über die unheilvollen Szenen, statt Textfläche gibt es fast opernhaftes Musiktheater.

Vor allem aber: Keine Menschen hat man dabei vor sich, sondern rattenhafte Wesen mit überdimensionierten Perücken, die durch kleine Sonnenbrillen blinzeln – die düstere Geschichte von Unrecht und Schuld, Rache und Schlächterei und schließlich vom Untergang der Tyrannis und der Geburt der jungen Demokratie erzählt Mondtag als Groteske.

Keine Menschen hat man vor sich, sondern rattenhafte Wesen mit enormen Perücken

Und als zeitloses Drama, das sich unmittelbar in die Gegenwart versetzen lässt: Ist die mordende Königsgattin erst mal an der Macht, lässt die antike Kulisse ihre Hülle fallen, und hinter der Glyptothek erscheint erst ein dunkles Parkhaus, schließlich spielt das Drama in einer heruntergekommenen Mietskasernensiedlung. Mondtag rückt darin den wachsenden Zweifel an der Gerechtigkeit des alle ins Unglück stürzenden schicksalhaften Kreislaufs in den Mittelpunkt: Sein Orest ist ein ängstlich zweifelnder Unentschlossener, der erst zur Tat aufgehetzt werden muss.

Nicht die Götter, nicht das Schicksal, nicht dionysischer Blutrausch treiben in dieser düsteren Kulisse den blutigen Kreislauf aus Unrecht und Rache an: Es ist die öffentliche Meinung, die in dieser Welt den Hass anspornt und Orest antreibt, den Mord am Vater zu rächen, indem er die eigene Mutter und deren Liebhaber schlachtet: ein mal Parolen skandierender, mal flüsternder, mal laut debattierender zorniger Volkswillen. Ganz klar: Hier geht es um Fake News, um Hass und den Verfall der doch eigentlich erst am Ende des Stückes entstehenden Demokratie.

Das Ende der Blutrache

Aber statt diese Spannung auszuformulieren, verliert das Treiben rasant seinen dramatischen Ernst: Mondtag lässt Orest hinter kleinbürgerlich-spießigen Balkonfenstern über den Liebhaber der Mutter herfallen wie im Kasperletheater. Und als sich der unglückliche Rächer nach der Tat zu rechtfertigen sucht, hört ihm auf der Bühne niemand mehr zu, ringsum wird die Bühnenkulisse abgebaut und schließlich findet sich der von den Rachegeistern Verfolgte endgültig von der Theaterbühne verbannt vorm roten Vorhang wieder und bespaßt das Publikum.

Nach zweieinhalb Stunden findet dann auch die Inszenierung nicht mehr wirklich zurück und verschenkt damit ihr Potenzial. Steht doch nun an, was die Orestie heute so drängend zeitgemäß erscheinen lässt: Am Ende wird das Gesetz der Blutrache durchbrochen, Stadtgöttin Athene beruft ein Gerichtsverfahren ein, bei dem die Rechtsgüter erstmals wirklich abgewogen werden und die (Un-)Schuld nach Mehrheitswahl entschieden wird.

Die Rachegeister sind besänftigt, werden zu Bürger*innen. Daraus hätte man in Zeiten von Wutbürgertum und Demokratieverfall viel machen können. Mondtag fällt aber nur ein, Athene als billige Merkel-Karikatur nebst Raute auftreten zu lassen.

Und auch der Schluss gerät mau: Am Ende bleiben, das ist im anschwellenden Stimmengewirr unüberhörbar, doch wieder nur „Angst und Schrecken stets als Wächter vor den Herzen“ bestehen. Die gerade entstandene „Satzung die für alle Zeiten gelten soll“ – sie bleibt brüchig, aus dem Rachekreislauf auszubrechen unmöglich.

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