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Ausstellung „I am a problem“ in FrankfurtDas Ich im Darm suchen

Der Regisseur Ersan Mondtag erkundet im Frankfurter Museum für Moderne Kunst/MMK2 das Selbst. Einige sind schon vom Durchgehen besoffen.

Ersan Mondtag Foto: Stefan Maurer

Jede Inszenierung braucht eine gute Geschichte. Die hier geht so: Vorbei an Hochhaustürmen und Grünanlage, durch eines jener Museumscafés mit seinen wässrigen Schorlen für viele Euros, über eine Betontreppe und durch einen Vorhang aus schweren Kunststofflappen führt der Weg ins Innenleben von Maria Callas. Genauer: in ihren Darm. Dort ließ sich die Opernsängerin der Legende nach einen Bandwurm wachsen, der sie binnen weniger Monate um 50 Kilo minimierte. Der scheinbaren Magie wohnte letztlich ein höchst biologischer Vorgang inne, ein äußerst brutaler dazu.

Genau dieser Aspekt interessierte Theaterregisseur Ersan Mondtag (der zuletzt unter anderem mit einem NSU-Stück von sich reden machte) mehr als der vermeintliche Wahrheitsgehalt der Legende, sodass er sie zum Aufhänger für die Schau „I am a problem“ im Frankfurter MMK2 machte. Das Haus stellte die Sammlung, man wählte gemeinsam Werke aus, die von Mondtag inszeniert wurden.

Vorhang auf: Wände und Boden mit Plastikplanen, schwarze und gelbe, dazwischen ein paar Lichtspots, auch die Luft ist voller Plastik. Kein Varieté schillernder Wesen, eher Geisterbahn, Folienfetisch-Club, Fiebertraum, Raumschiff aus dem Low-Budget-Fernsehen. Von überall her dringt Geflüster, auf einer beleuchteten Plattform tanzt ein Go-Go-Tänzer mit silbernen Hotpants zur Musik aus seinem Walkman, der ihn vom Rest des Universums abschirmt (und vice versa), als lebendig werdende Performance der Künstlerin Sturtevant.

Da wird man ja schon vom Durchlaufen besoffen, kommentiert ein Kameramann leicht bewundernd die fiebertraumartige Plastiklandschaft mit dem sich durchschlängelnden Riesenbandwurm, der für die Schau vom Kollektiv Plastique Fantastique angefertigt wurde, mit einer schmalen Gasse zum Durchquetschen und einigem mehr.

Die Ausstellung

Bis 18. 2. 2018, Museum für Moderne Kunst/MMK2 Frankfurt.

Den Titel entlieh Mondtag von Will Benedict, der einen Videoclip zum Noiserock von Wolf Eyes mit Cyborgs und Chimären beisteuerte. Wobei das Problem mit dem Ich wohl doch grundsätzlicher ist, als es im Ausstellungstext mit der geschassten Selbstoptimierung anklingt.

Ultimative Zuspitzung

Die ausgewählten Werke fächern das Thema breit auf: von der Auseinandersetzung mit Nichtidentität wie das melancholische Standvideo eines Eunuchen von Dayanita Singh über eine wie immer einigermaßen verstörende Malerei von Miriam Cahn bis zur ganz existenziellen Auseinandersetzung mit dem versehrten Leib und Leben wie die wunderbaren Porträtzeichnungen von On Kawara.

Markus Sixay lagert seine Körperlichkeit einfach aus: Übersetzt sie in 150 Kilo Konfetti, die seinem Körpergewicht zur Zeit der Werkfertigung entsprechen. Körperfett mag niemand, Konfetti hingegen auch jener, der sich sonst von Dicken, Rauchern und anderen in seiner zarten Existenz bedrängt fühlt. In Mondtags Schau lagern die bunten Papierschnipsel in einem schwarzen Plastikpool, direkt unter einem Tableau mit Toscanis berühmter Skandalkampagne, in der er einst für Benetton einen Aidskranken am Sterbebett wie den dahinsiechenden Jesus ablichtete.

In dieser gewaltigen Gegenüberstellung der Physis in ihren beiden Extremen, extrem albern und extrem grausam, schafft Mondtag die ultimative Zuspitzung und für die Sammlungspräsentation mehr als die Summe ihrer einzelnen Teile. Überhaupt gibt es viel Physisches zu sehen, interessanterweise, wo doch Identität wie Nichtidentität heute seltener materialistisch als gefühlig ausbuchstabiert werden: Aquarellierte Frauenkörper von Marlene Dumas, zerstörte und geflickte Oberflächen bei Kader Attia, Arnulf Rainers künstlerische Interventionen haften als Zeugnis letztlicher Kapitulation vor der Vergänglichkeit auf den Fotografien Verstorbener.

Frau Calla’ Verdauungstrakt ist eher eine Art MacGuffin, ein Objekt, um die nichtlineare Aufführung ins Rollen zu bringen. Als wie stark man die Strahlkraft des Settings aufs einzelne Werk auch empfinden mag, der Akt des Kuratierens oder Inszenierens wird immerzu sichtbar: Kein einzelnes Werk kann in Ruhe betrachtet werden, über allem flüstern Lautsprecher Textfragmente von Thomaspeter Georgen, die allein eine längere Beschäftigung lohnen würden, aber beim Rundgang kaum jemals ganz zu hören sein werden. Es dröhnt unaufhörlich die Stimme der Vermittlung.

„Comparison leads to violence“ Foto: Will Benedict

„I am a problem“ ist grell in seiner Morbidität, sonnt sich zwischen Todestrieb und Vanitas. Im bombastischen, überfrachtenden, aber visuell schön analogen Setting profitieren einige Werke, andere gehen wie manch thematische Schärfe eher unter. Der Gesamteindruck wird dann recht existenziell, das Möbiusband des modernen Menschen: Alles ist Einsamkeit und Gewalt, die Menschwerdung so brutal wie ihr Abgang.

Weder Dystopie noch Utopie, zeigt die Schau die Suche nach dem problemhaften Selbst kategorisch als eine dem Menschen ureigene Angelegenheit. All dem schmettert Ersan Mondtags Fiebertraum noch ein jugendliches Memento mori entgegen, traurig und mahnend vielleicht, aber auch trotzig schön.

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1 Kommentar

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  • Welch ein nihilistisches Geschwurbel! Alles soll „Einsamkeit und Gewalt“ sein, die „Menschwerdung so brutal wie ihr Abgang“?

     

    Stimmt schon: Das ist “weder Dystopie noch Utopie“. Es ist einfach Unsinn. Vielleicht war ja tatsächlich Alkohol im Spiel. Entweder bei der Konzipierung dieser Ausstellung, oder aber beim Verfassen des Textes darüber. Vielleicht haben aber auch noch ganz andere Drogen mitgewirkt dabei.

     

    Ob ich mir – wie hier einem anonym gebliebenen Kameramann gegenüber geschehen – Bewunderung unterstellen lassen möchte angesichts des Geschilderten, brauche ich mir gar nicht erst zu überlegen. Das kann ich nämlich fühlen. Aus meinem Bauch heraus quasi:

     

    Nein, möchte ich nicht. Ich will keine Bandwürmer schlucken. Ich will mich ja auch nicht auf einer Bühne präsentieren in der Hoffnung, bewundert zu werde für meine angeblichen Erfolg, mich einem dämlichen Ideal besonders weit angenähert zu haben. Mein Nachname ist schließlich nicht Callas.

     

    Sollen von mir aus die, denen davon einer abgeht, „die Suche nach dem problemhaften Selbst“ als ihre „ureigene Angelegenheit“ betreiben. Ich jedenfalls bin trotzig genug, zu sagen: Klar doch, so etwas kann man machen als Mensch. Müssen muss man aber nicht.