Aids-Aufklärungskampagne gestoppt: Eine Geißel mit Zeitzünder
Eine neue offizielle Kampagne zur Aufklärung über die Immunschwächekrankheit Aids darf nicht pünktlich zur CSD-Saison starten - aus falscher Rücksicht auf die Politik.
BERLIN taz Im März war die neue Aufklärungskampagne längst konzipiert, für gut befunden und dem Anliegen angemessen vorbereitet worden. Sie sollte von Ende Mai an lanciert werden, zunächst in Medien für ein homosexuelles Publikum, etwas später in allen anderen. Titel: "Ich weiß, was ich tu'". Ende Mai wäre ein perfekter Zeitpunkt gewesen, denn zu den Christopher-Street-Paraden (CSD) bis Mitte Juli erreicht man die größte schwule Öffentlichkeit. Und um die geht es in der Aufklärungsaktion der Deutschen Aids-Hilfe (DAH), denn die Rate der gemeldeten neuen HIV-Infektionen steigt seit drei Jahren, wenn auch auf niedrigem Niveau.
Offiziell aber wird die Kampagne erst im Herbst, so Elisabeth Pott, Direktorin der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung). Zunächst müsse sie evaluiert werden, wie sie am Rande einer Konferenz über "Aids und Ethik" in Frankfurt am Main sagte: Keine Kampagne der DAH könne gestartet werden, ohne dass ein Institut sie stichprobenartig als unmissverständlich überprüfe. Was nicht stimmt, aber wie dem auch sei: Was ist so brisant an dieser neuen Aufklärungsaktion?
Als 1983 in Deutschland bekannt wurde, dass unter amerikanischen und kanadischen Schwulen sich eine Infektion ausbreite, die das Immunsystem zerstört und zwingend zum Tode führe, verbreitete sich ein Klima der sexuellen Apokalypse. Medien wie der Spiegel befeuerten eine Stimmung, in der schwule Männer als böse, todbringende Spezies charakterisiert wurden; Politiker wie Peter Gauweiler (CSU) empfahlen drakonische Maßnahmen, Quarantäne für Infizierte, Gefängnisstrafe für alle, die den HI-Virus in sich tragen und dennoch Sex haben.
Die damalige Gesundheitspolitiker wie Heiner Geißler und Rita Süssmuth (beide Union) wehrten im Bündnis mit schwulen Experten diese aufrührerische Atmosphäre ab - ihr Credo: Schutz vor Ansteckung ist möglich, auch bei Sexuellem.
Flächendeckend lernte die Republik, dass man sich mit einem Kondom schützen könne. Nicht der HIV-Infizierte ist ansteckend, sondern nur dessen Blut und Sperma.
Über Sexuelles konnte plötzlich auch in konservativen Kreisen gesprochen werden, das Präservativ (volkstümlich: "Präser") war ein Verhütungsmittel, das nicht mehr verschämt auf einer Herrentoilette aus dem Automaten gezogen werden musste.
1996 änderte sich das Aids-Zeitalter: Auf der Welt-Aids-Konferenz in Vancouver, Kanada, wurden Medikamente vorgestellt, die die Zerstörungskraft des Virus unterbinden können. Seither sprechen Wissenschaftler vom "neuen Aids". Es bedeutet: Medikamentös eingestellt, ist Aids immer noch eine Infektion, die tödlich verlaufen kann, aber es nicht mehr muss. Aus den Zahlen ging damals ebenso hervor, dass die Fantasien vom nahenden Jüngsten Gericht mit Aids im Gepäck nicht triftig waren. Nicht Hunderttausende liefen als Virenschleudern durch die Republik, wie der Spiegel suggerierte. Ende 2007 lebten in Deutschland 59.000 Menschen mit dem Virus, 3.000 haben sich voriges Jahr neu infiziert.
Aber das Stigma, so berichten es Betroffene, ist geblieben. Als Positiver, so berichteten viele auf der Konferenz "Aids & Ethik", bekomme man nur schwer wieder einen Job; als Positiver werde man auch in der Schwulenszene als potenziell gefährlich wahrgenommen - Unberührbare wider Willen.
Hier kommt wieder die neue Kampagne der DAH ins Spiel: HIV-Positive, die sich an die Medikationen halten, müssen wissenschaftlichen Studien zufolge als "nicht infektiös" gelten. In ihrem Blut, in ihrem Sperma liege die "Viruslast" unterhalb der Nachweisgrenze. Dies müsse kommuniziert werden, so das Konzept der DAH, aber die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, abhängig vom Tropf des Bundesgesundheitsministeriums, pfiff diese Aussage zurück. Mit ihr nähre man die Angst vor Aids mehr, als dass man sie mindere.
Die Angst vor sogenannten "Barebackern" - Männern, die HIV-positiv sind und trotzdem ohne Kondom Sex haben und es auch wollten - werde begünstigt, das würfe ein schlechtes Licht auf die gesamte Aufklärung, wie Maya Czajka vom DAH-Vorstand freimütig zugab.
Die vorenthaltene Kampagne aber wollte gerade dies zum Thema machen: dass man HIV-positiv sein könne, aber nicht infektiös; dass man selbst das Risiko wägen müsse, jeden Tag, überall, bei jeder Gelegenheit. Es wäre ein Plädoyer für wachsamen Gleichmut. Stimuliert werden sollte mit dieser Kampagne auch die Bereitwilligkeit, sich überhaupt testen zu lassen - denn das wollten früher viele potenziell Betroffene nicht, aus Angst, das Stigma der Infektion in eigener Sache verpasst zu bekommen. Aber ein Test wäre nützlich, so würde die Botschaft lauten, denn eine Infektion könne medikamentös eingedämmt werden, wüsste man von ihr.
Eine Schweizer Studie belegt genau dies: Infektionen werden in einer Partnerschaft, selbst bei kondomlosem Sex, nicht weitergereicht, ist der oder die HIV-Positive mit Medikamenten versorgt.
Das Problem dieser Studie: Sie ist bei heterosexuellen Paaren erhoben worden - für schwule soll sie nicht gelten. Warum eigentlich nicht, wenn es denn keine Ausrede ist, um die neue Aidsaufklärung zu blockieren?
Bizarr ist vor allem, dass man jener Minderheit, die die größte politische Gesundheitsbewegung der Welt initiiert hat, die der Schwulen nämlich gegen Aids, nun Informationen nicht weiterreichen will: dass Aids keine Schande ist - nur Aufklärung verdient, ein Bewusstsein für Risikomanagement nötig macht.
Beim Christopher Street Day, heute in Berlin ist es der 30., hätte es diese Kampagne gebraucht: Aus Furcht, dass populistische Medien (und Politiker) Aids als Vorwand zum Schüren von Ängsten nutzen, verzichtet man vorläufig lieber gleich auf unhysterisch stimmende Aufklärung.
Eine solche Angst zumindest hatten selbst liberalkonservative Gesundheitspolitiker wie Geißler oder Süssmuth in den Achtzigern nicht.
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