Agrarexpertin Genderfragen auf dem Land: "Frauen haben es schwerer"
Der Lohnunterschied zwischen Geschlechtern ist auf den Dörfern größer als in Städten, sagt Kirsten Tackmann, Agrarexpertin der Linken. Sie fordert mehr am Frauenalltag orientierte Programme.
taz: Frau Tackmann, Sie fordern mehr Geschlechtergerechtigkeit auf dem Land. Geht es den Frauen im Dorf schlechter als denen in der Stadt?
Kirsten Tackmann: Ja, denn der Lohnunterschied zwischen Männern und Frauen ist auf dem Land größer. Im Durchschnitt verdienen in Deutschland Frauen 23 Prozent, im Dorf und den kleinen Städten aber sogar 30 Prozent weniger als die Männer. Und weniger als 10 Prozent der landwirtschaftlichen Betriebe werden von Frauen geführt. Das sind dann oft die ganz kleinen Betriebe, in denen die Einkommen niedriger sind.
Welche Folgen hat das?
50, stammt aus Thüringen und promovierte als Veterinärmedizinerin. Sie ist stellvertretende Vorsitzende der Linken in Brandenburg und Mitglied des Deutschen Bundestags.
In Deutschland ist der Trend zu immer größeren Agrarbetrieben und intensiverer Tierhaltung ungebrochen. Seit 2007 sank die Zahl der Höfe auf 300.700. Dabei blieb die Gesamtagrarfläche in etwa gleich, der Bestand an Schweinen und Geflügel wuchs sogar.
Ein Drittel aller landwirtschaftlichen Betriebe erwirtschaftete 2010 Umsätze aus zusätzlichen Tätigkeiten wie der Erzeugung erneuerbarer Energien (42 Prozent) oder Forstwirtschaft (24 Prozent).
Die Branche beschäftigte 2010 1,1 Millionen Arbeitskräfte, 5 Prozent weniger als 2007. Mehr als die Hälfte waren Familienmitglieder der Hofbesitzer.
(Quelle: Statistisches Bundesamt)
Es gibt eine Reihe von Studien, die belegen, dass besonders Frauen aus den ländlichen Gebieten abwandern. Schließlich sind die Lebensbedingungen dort für Frauen schwieriger.
Ist die Abwanderung von Frauen denn nur mit den unterschiedlichen Löhnen zu begründen?
Wir haben festgestellt, dass Frauen im Schnitt mehr Strecken zurücklegen müssen. Männer fahren oft nur zur Arbeit. Viele Frauen dagegen sind zum Einkaufen unterwegs, zur Kinderbetreuung und so weiter. Da aber der öffentliche Personennahverkehr auf dem Land zurückgebaut wurde und weniger Frauen einen Führerschein und ein eigenes Auto haben, wirkt diese Entwicklung diskriminierend.
Gerade diskutiert die Europäische Union, wie die Agrarsubventionen neu verteilt werden sollen. Was müsste passieren, wenn die Lage der Frauen verbessert werden soll?
Wir brauchen eine Frauenquote in den regionalen Gremien, die über die Verteilung von Subventionen für die Entwicklung der ländlichen Räume entscheiden. In der Bund-Länder-Arbeitsgruppe für das Programm "Gemeinschaftsaufgabe Agrarstruktur und Küstenschutz", das zum Beispiel Maßnahmen für die Dorferneuerung finanziert, soll die Frauenministerin einbezogen werden. Wenn Frauen nicht am Tisch sitzen, können sie auch nicht mitbestimmen, wohin das Geld geht.
Und diese stärkere Beteiligung in den Gremien reicht?
Nein, wir müssen auch die Förderprogramme stärker unter der Fragestellung auswerten, was sie für die Gleichstellung gebracht haben. Außerdem sollten wir mehr Programme haben, von denen besonders Frauen profitieren. Also zum Beispiel müsste weniger Geld für den Wegebau bereitgestellt werden und dafür mehr für die Förderung der Direktvermarktung, bei der die Bauern ihre Produkte ohne Umwege an den Verbraucher verkaufen. Denn dort sind sehr viele Frauen beschäftigt.
Brauchen wir nicht auch Programme, die sich nur an Frauen richten?
Ja, wir haben demnächst einen Generationswechsel in den landwirtschaftlichen Betrieben. Aber es gibt oft nicht genug Frauen, die einen solchen Betrieb übernehmen können. Deshalb müssen wir gezielt Frauen für landwirtschaftliche Studiengänge werben, ähnlich, wie wir es schon für Ingenieursstudiengänge machen.
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