■ Afghanistan: Taliban stehen vor dem Hauptquartier ihrer Gegner: Die letzte Hürde
Der letzte Sieg der Taliban, die Eroberung des Hauptquartiers ihres mächtigsten Generals Dostum in Shebarghan, hat vorerst mehr moralische als militärische Bedeutung. Aber auch so etwas schlägt bei den Ultraislamisten, die sich ohnehin schon der Hilfe Allahs sicher sind, enorm zu Buche: Es gibt Aufwind für das eigentliche Hauptziel ihres neuen Vorstoßes, die Einnahme des nordafghanischen Mazar-e Scharif.
Die Chancen, daß den Taliban nun die letzte, noch nicht von ihnen beherrschte große Stadt Afghanistans tatsächlich auf Dauer in die Hände fällt, stehen diesmal günstiger als früher. Mit Dostums schon 1997 gespaltenen und jetzt gedemütigten Truppen, die sogar ihre wenigen Kampfflugzeuge hinter sich anzündeten, um sie nicht den Taliban überlassen zu müssen, fehlt der Allianz der Taliban-Gegner das militärische Rückgrat. Zudem zerreißen weitere Zerwürfnisse das nie sehr stabile Bündnis. Anfang Juli meuterte auch der neue Dostum-Vize gegen seinen Chef. Und wenig später liefen Kommandeure von Allianz-Mitglied Hekmatjar zu den Taliban über. Dasselbe droht an der Front östlich der Stadt, wo die Taliban – nach eigenen Angaben – ebenfalls vorrücken.
Zwar wäre der Fall Mazars noch nicht das komplette militärische Ende der Allianz. Aber durch den Verlust des Sitzes ihrer Gegenregierung sänke sie faktisch zu einer Guerilla ohne nennenswerte territoriale Basis herab, während die Taliban sich als legitime Herrscher des ganzen Landes darstellen könnten.
Wegen ihrer systematischen Verstöße gegen die Menschenrechte – insbesondere der afghanischen Frauen – sind die Taliban derzeit international geächtet. Vor zwei Wochen sorgten sie mit ihrer Kompromißlosigkeit zudem dafür, daß sich sämtliche internationalen Hilfsorganisationen und die EU aus Kabul zurückzogen, und am Wochenende brüskierten sie auch die Vereinten Nationen, die vermitteln wollten. Doch die NGOs werden früher oder später zurückkehren, um der Bevölkerung zu helfen, und es ist fraglich, ob sich die UNO mit Afghanistan auf Dauer ein neues Saddam-Problem aufhalsen wird. Werden die Taliban aber stillschweigend anerkannt, erhalten sie gar Afghanistans Sitze in der UNO und anderen internationalen Organisationen. Damit hätten sie ihr Spiel gewonnen. Zu Kompromissen müßten sie sich dann überhaupt nicht mehr bequemen. Thomas Ruttig
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