Afghanistan-Mission: "Wie aus einer Christiansen-Show"
Die SPD will die Beteiligung an "Enduring Freedom" beenden - ein Fehler, meint die Leiterin des Kabul-Büros der Friedrich-Ebert-Stiftung, Koch-Laugwitz.
taz: Frau Koch-Laugwitz, Bundesverteidigungsminister Jung will eine Informationskampagne starten, um der deutschen Öffentlichkeit die Erfolge am Hindukusch zu vermitteln. Was halten Sie davon?
Ursula Koch-Laugwitz: Der Verteidigungsminister und die Bundeswehr sollten erst einmal die Bevölkerung in Afghanistan besser darüber informieren, was sie tut und warum. In einem Land, in dem ein Großteil der Bevölkerung nicht lesen und schreiben kann, muss man dafür mehr Zeit verwenden als bisher. Anstatt sich mit religiösen Führern und Stammesältesten abzustimmen und ihnen die derzeitige und künftige Strategie zu erklären, streiten sich zurzeit die Vertreter von Operation Enduring Freedom (OEF)und Isaf, auf wessen Konto die zivilen Opfer gehen.
Trennen die Afghanen denn noch zwischen dem US-geführten Antiterrorkrieg und der internationalen Schutztruppe Isaf?
Die Bevölkerung trennt nicht zwischen den Vertretern beider Einsätze. Meine afghanischen Mitarbeiter können nicht unterscheiden, ob die Verursacher von zivilen Toten von der Isaf oder der OEF kommen. Zwar werden Flächenbombardements in der Regel von der OEF durchgeführt, doch hat es ja auch bei Isaf-Einsätzen zivile Tote gegeben. Und man darf nicht vergessen, dass eine gewisse Empörungskultur hier politisch stark befördert wird.
Ursula Koch-Laugwitz, 49, ist Politologin und langjährige Mitarbeiterin der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES). Seit Januar 2007 leitet sie das Kabuler Büro der FES. Die SPD-nahe Stiftung ist seit 2002 in Afghanistan aktiv. Der Schwerpunkt ihrer Arbeit liegt im Aufbau demokratischer Strukturen, der Konfliktprävention und der Aus- und Weiterbildung politischer Nachwuchskräfte im Rahmen des "Young Leaders Forum".
Befördert durch wen?
Präsident Hamid Karsai hat sich häufig zu zivilen Opfern von ausländischem Militär geäußert oder hat entsprechende Trauerfeierlichkeiten besucht. Ich habe bis jetzt nicht beobachtet, dass er den Opfern von Selbstmordattentätern eine gleiche Aufmerksamkeit entgegengebracht hat. Er täte gut daran, zwischen den Opfern nicht so stark zu trennen. Das verstärkt die kritische Stimmung gegenüber dem internationalen Engagement.
Die zivilen Opfer haben die Diskussion über eine bessere Abstimmung zwischen OEF und Isaf neu entfacht. Ist es möglich, die Zivilbevölkerung besser zu schützen?
Es ist möglich, und es muss unbedingt versucht werden. Seit jedoch Isaf unter dem Kommando des US-Generals Dan McNeill [dem ehemaligen Oberkommandeur der Operation Enduring Freedom, d. R.] steht, ist die Bereitschaft, sich mit den anderen Truppenstellern und den afghanischen Sicherheitskräften zu koordinieren, extrem gesunken. McNeill hält von Verhandlungslösungen, auf die sein Vorgänger, General David Richards, gesetzt hatte, überhaupt nichts. Isaf-Mitarbeiter klagen über eine stark veränderte Führungskultur.
Abgesehen von den Koordinationsschwierigkeiten wäre es technisch machbar, Zivilisten besser als bisher zu schützen?
Als 2001 die Loja Dschirga, der große Rat, veranstaltet wurde, war es problemlos möglich, ein Gebiet von 40 Quadratkilometern zu überwachen. Dort konnte sich niemand bewegen, der eine nicht angemeldete Waffe dabei hatte.
Ist diese Situation mit der von heute vergleichbar?
Deutschland hat doch Tornados geschickt. Die sollten genau dafür eingesetzt werden, zivile Opfer zu vermeiden, mehr und präzisere Angaben zu Bewegungen der Aufständischen zu bekommen. Wie gut oder schlecht sie diese Aufgabe erfüllen, kann ich nicht beurteilen, denn darüber gibt es keine Informationen.
Genauso wenig ist über die derzeitigen Patrouillen der deutschen Soldaten im Norden zu erfahren, die nach dem tödlichen Anschlag im Mai stark eingeschränkt wurden. Was nützen den Afghanen deutsche Soldaten, die sich kaum noch vor die Kasernentür trauen?
Sie würden sich schon trauen, wenn sie nicht von ganz oben die Weisung hätten, es nicht zu tun. Die Aktivitäten der deutschen Soldaten wurden um mindestens die Hälfte reduziert. Die Entscheidung, ihre Bewegungsfreiheit so stark einzuschränken, ist falsch. Auch im Norden gibt es inzwischen viele Aufständische. Wenn man bedächtig und umsichtig vorgehen will, wie es die Deutschen ja von sich behaupten, dann wäre es erforderlich, dass sie weiter Patrouille fahren - schon um Informationen zu sammeln. Sonst macht der Einsatz wenig Sinn.
Die SPD will die deutsche Beteiligung an der Operation Enduring Freedom auslaufen lassen und so die Zweifel der deutschen Bevölkerung am Einsatz in Afghanistan zerstreuen. Ein richtiger Schritt?
Nein. Der Vorschlag kommt mir vor wie aus einer "Christiansen"-Talkshow entsprungen. Man steht an der innenpolitischen Front gut da, aber Afghanistan ist damit nicht geholfen. Wenn ich mich aus einem Projekt verabschiedet habe, dann kann ich auch keinen Einfluss mehr nehmen. Wenn die Europäer nicht endlich versuchen, mehr Einfluss auf die Politik der Amerikaner in Afghanistan zu nehmen, wird sich hier nichts ändern.
INTERVIEW: ANETT KELLER
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