Afghanistan-Experte Ruttig über Einsatz: "Stärker auf Hilfsorganisationen hören"
Mehr Soldaten für Afghanistan sind nur sinnvoll, wenn ihr Einsatzkonzept überdacht wird, meint der Afghanistan-Experte Thomas Ruttig.
taz: Herr Ruttig, wie sinnvoll ist die Aufstockung der Bundeswehrtruppen in Afghanistan?
Thomas Ruttig: Sie wäre sinnvoll, wenn man sich vorher neue Gedanken über ihre Verwendung gemacht hätte. Der Bundeswehreinsatz im Rahmen des Konzepts regionaler Wiederaufbauteams (PRT) ist im Ansatz überholt.
Warum?
Der Ansatz geht davon aus, dass die Bundeswehr Aufgaben des Wiederaufbaus übernehmen soll, quasi als bewaffnete Entwicklungshelfer. Mehr Gewicht sollte darauf liegen, örtliche Strukturen der Zentralregierung zu stärken und dafür zu sorgen, dass halbwegs demokratische und nichtkorrupte Verhältnisse entstehen. Genau das hat man versäumt. Aus Furcht vor der Öffentlichkeit in Deutschland stehen heiße Themen wie Drogenbekämpfung, Korruption und Warlords nicht im Mandat.
Setzte man die Bundeswehr in Ihrem Sinne ein, würden mehr Deutsche sterben.
Möglich. Hätte man dieses Konzept bereits 2002 realisiert, wären Bedingungen geschaffen worden, um die jetzt vorhandene gefährliche Situation gar nicht erst entstehen zu lassen. Die Alternative wäre abzuziehen, aber dann würden mehr Afghanen sterben, weil Warlords und Taliban freie Hand hätten. Die Politiker haben die Wahl.
Hilfsorganisationen kritisieren den PRT-Ansatz, weil er militärische Mittel mit ziviler Hilfe vermischt.
Die Kritik ist berechtigt. Man sollte stärker auf die Hilfsorganisationen hören, insbesondere auf jene, die schon in Afghanistan waren, bevor sich Bundespolitik und Bundeswehr für das Land interessierten. Es gibt viele Projekte, die stark in der Bevölkerung verankert sind und deshalb die Bundeswehr für ihre Sicherheit auch nicht brauchen.
In der deutschen Debatte wird stark zwischen dem sogenannten Antiterrorkampf der OEF und der Isaf-Mission unterschieden. Ist diese Unterscheidung noch realistisch?
Das ist inzwischen eine Scheindebatte. Die US-Truppen dominieren beide Missionen. Ihre Kommandostrukturen sind verschränkt, insofern macht es in der Praxis keinen großen Unterschied. Der sogenannte Krieg gegen den Terrorismus in Afghanistan ist gescheitert. Denn die Aufstandsbewegung hat nicht abgenommen, sondern zugenommen. Für die Afghanen ist nicht die Mission, sondern die Vorgehensweise der Truppen entscheidend. Dabei sehen sie, dass die Niederländer im Süden und die Deutschen im Norden weniger zivile Opfer verursachen als etwa die Amerikaner.
Die USA haben im Irak mit einer Aufstockung ihrer Truppen Erfolge erzielt, einhergehend mit der Einbindung der Stämme. Könnte dies ein Weg für Afghanistan sein?
Es verhält sich umgekehrt. Im Irak hat man kopiert, was zuvor in Afghanistan gemacht wurde, nämlich die lokalen Warlords und Milizen einzubinden. In Afghanistan ist dieses Konzept gescheitert. Die Korruption, die von den Warlords und Milizen ausgeht, die wiederum teilweise in die Regierung eingebunden sind, hat dafür gesorgt, dass die Bevölkerung vom Wiederaufbau wie vom politischen Prozess enttäuscht ist.
Hilfsorganisationen fordern mehr Mittel für den zivilen Wiederaufbau. Können diese überhaupt noch sinnvoll ausgegeben werden und ist es für zivile Helfer im Osten oder Süden nicht viel zu gefährlich?
Dies ist kein offener Krieg mit klaren Fronten. Die Sicherheitslage ist sehr unterschiedlich. Es gibt noch etliche Gebiete, in denen man arbeiten kann. Trotzdem sind die Kosten für die Projekte gestiegen, weil die Sicherheitskosten höher sind. Diesen Preis muss man jetzt zahlen.
In letzter Zeit sagen auch westliche Militärs, der Krieg sei militärisch nicht zu gewinnen. Sie fordern eine politische Lösung. Wie kann die aussehen?
Eine Lösung kann es nur langfristig und auf politisch-diplomatischen Mitteln basierend geben. Insofern sind die Ansätze, die es jetzt durch die Gespräche mit Taliban-Vertretern in Mekka zu geben scheint, ein Schritt in die richtige Richtung. Aber wenn man bewaffnete Islamisten einbinden will, muss man das durch die Stärkung von Demokraten ausbalancieren.
INTERVIEW: SVEN HANSEN
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