Afghanischer Germanist über Wiederaufbau: "Auch die Taliban sind Afghanen"

Beim Wiederaufbau in Afghanistan taugen westliche Maßstäbe nur bedingt, meint der Germanist Gholam Behbud. Gerade in der Bildungspolitik gibt es Fortschritte.

Gerade in der Bildungspolitik gebe es Fortschritte, so Behbud.

taz: Herr Behbud, woher nehmen Sie die Hoffnung auf eine friedliche Zukunft in Ihrem Land, Afghanistan?

Ich verstehe Ihre Frage nicht?! Ein Land muss nicht auf ewig zur Hölle werden, schauen Sie sich nur die Geschichte Europas im 20. Jahrhundert an. Gerade die afghanische Geschichte zeigt, dass sich die Zeiten ändern. Klar, es herrschte 30 Jahre lang Krieg. Aber davor herrschte 40 Jahre Frieden. Ich habe nur die Angst, dass unserer Regierung der lange Atem für die Bildungspolitik fehlen könnte.

Der deutsche Ex-Bundeskanzler Helmut Schmidt hat einmal von der "Unregierbarkeit Afghanistans" gesprochen. Hat er recht?

Die Menschen in Deutschland haben ein sehr einseitiges Bild von uns. Selbstverständlich können wir uns selbst regieren. Die Menschen müssen nur wieder Vertrauen in die Regierung fassen. In den Achtzigerjahren wurden wir zum Kriegsschauplatz der Großmächte. Und solange diese Geschichte nicht zu Ende ist, so lange wird es das afghanische Problem geben.

Welchen Prinzipien sollte der Westen beim Wiederaufbau in Afghanistan folgen?

Die sowjetische Besatzungszeit hat gezeigt: Wer sein System eins zu eins auf Afghanistan übertragen will, scheitert.

Welches wäre denn der "afghanische Weg"?

Wir schauen, was wir übernehmen können. Wir! Und wir werden uns dabei auch an unseren Nachbarländern orientieren. An der Türkei zum Beispiel.

Was heißt das für die Goethe-Institute? Manche wollen ja die Maxime des Kulturaustauschs durch die eines "Zivilisationsexports" ersetzen.

Ich habe die Arbeit der Goethe-Institute immer nur unter der Perspektive des Austauschs erlebt. Und das ist gut so. Aus unserer Sicht war es übrigens auch eine richtige Entscheidung, dass die deutschen Truppen im Norden bleiben. Vergessen Sie nicht: Auch die Taliban sind Afghanen. Und wenn wir in den Nachrichten hören, vierzig Taliban seien ums Leben gekommen, freut sich keiner bei uns - selbst wenn wir unter ihnen gelitten haben oder, wie ich, ins Exil mussten.

Sie lehren heute in Afghanistan Deutsch. Wie kam es dazu?

Ich kam zur Jahreswende 2001/2002 aus dem Exil an die Universität in Kabul zurück, an die zerstörte Deutsche Abteilung. Und ich wusste: Allein schaffe ich es nicht. Aber die Hilfe war schon da: in Person einer DAAD-Lektorin. Einen Monat später war eine zweite da. Der nächste Schritt war 2003 die Kooperation mit der Universität Duisburg-Essen, mit einem jährlichen Dozentenaustausch und Fortbildungen.

Wie viel Studenten haben Sie heute, fünf Jahre später?

Wir nehmen jedes Jahr 25 Studenten auf, meist ohne jegliche Vorkenntnisse. Am Ende bleiben uns 10 bis 15 Studenten. In den ersten zwei Jahren lernen sie intensiv Deutsch, im dritten Jahr beginnt der Fachunterricht als Lehrer oder Übersetzer, im vierten Jahr laufen die Praktika.

Wann haben die ersten Absolventen die Uni verlassen?

Schon vor drei Jahren. Vier von ihnen haben wir weiter-, zum Masterstudium nach Jena geschickt. Sie kommen jetzt zurück und werden unter anderem in Herat die neue Deutschabteilung aufbauen. So gehen wir nun langsam in die Provinzen. Im Moment versuchen wir das Bildungsministerium davon zu überzeugen, dass wir an den Schulen neben Englisch eine zweite Fremdsprache brauchen.

Wie viel Kinder gehen heute in Afghanistan zur Schule?

Inzwischen mehr als die Hälfte. Aber es gibt zu wenig ausgebildete Lehrer. Damit wird Schule zur Zeitverschwendung. Wir müssen deshalb in eine Schnellausbildung investieren: zwei Jahre Lehrerausbildung, dann müssen die jungen Lehrer an die Schulen, um sich während des Unterrichts weiter fortzubilden. Zurzeit werden Absolventen anderer Abteilungen ohne Curriculum vor die Schüler gelassen. Das kann nur schiefgehen.

Gibt es heute eine moderne afghanische Literatur?

Ja, die paschtunische Exilliteratur in Pakistan oder die im Iran, die das Dari weiterentwickelte. Es ist gut, dass diese Schriftsteller zurück nach Afghanistan kommen. Sie verschaffen sich zusehends ihre Podien und gehen ihren Weg - auch wenn uns vieles davon nicht gefällt.

Was halten Sie vom Weltbeststeller "Der Drachenläufer" des US-Autors Khaled Hosseini, der kürzlich verfilmt wurde?

Nein. Khaled Hosseini kennt und versteht die afghanische Kultur nicht. Der Film ist bei uns verboten: Er dividiert die Angehörigen der verschiedenen Stämme auseinander, statt sie zu versöhnen. Aber natürlich hat das Verbot die Menschen erst recht dazu gebracht, sich den Film anzuschauen: er ist überall zugänglich. Vielleicht hat ihn die Regierung ja selbst verbreitet - als Impfstoff. Meine Kinder zumindest fanden ihn schrecklich.

INTERVIEW: FRITZ VON KLINGGRÄFF

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.