Afghanische Geflüchtete in Iran: „Sollen wir nun wieder fliehen?“
4,5 Millionen Afghanen leben in Iran, viele sind vor den Taliban geflohen. Nun sind sie den Angriffen und dem Verdacht ausgesetzt, Mossad-Spione zu sein.
Die 50-jährige Afghanin ist mit ihrer Familie erst vor zwei Monaten nach Teheran gekommen. Laut UNHCR leben 4,5 Millionen Afghanen in Iran. Schon seit Jahrzehnten flüchten Menschen aus Afghanistan ins Nachbarland. Viele leben dort in der Illegalität und werden als billige Arbeitskräfte ausgebeutet.
Die Skylines iranischer Großstädte entstanden in den vergangenen Jahren zum Großteil auf den Schultern geflüchteter Afghanen. Zuletzt mussten viele dieser Arbeiter auf Baustellen oder in Fabriken Schutz vor Luftangriffen suchen.
Vielen Geflüchteten gehe es in Iran zwar sehr schlecht, aber in vielerlei Hinsicht seit das Leben immer noch besser als in der Heimat unter den militant-islamistischen Taliban. Seit deren erneuter Machtübernahme 2021 hat nicht nur die Geschlechtertrennung im Land, die deutlich strikter ist als jene in Iran, zugenommen, sondern auch die willkürliche Unterdrückung.
Mehrfache Durchsuchungen
So wurde etwa Ahmadis Haus mehrfach von Taliban-Soldaten gestürmt und durchsucht. „Ich bin eine Witwe, doch die Soldaten interessierten sich nicht dafür. Sie dachten, IS-Terroristen hätten sich bei uns verschanzt“, erinnert sie sich heute am Telefon.
Umso mehr fragt sie sich, was das Ziel Israels und der USA mit ihren Angriffen sei. „Hier gibt es Infrastruktur, Bildung und Kultur“, sagt Ahmadi. „Soll das alles weggebombt werden?“ Allen, die nun auf einen Machtwechsel dank amerikanischer oder israelischer Unterstützung hoffen, hat sie eine Lehre aus eigener Erfahrung mitzuteilen.
„Ich verstehe, dass viele Iraner das Mullahregime verabscheuen“, sagt sie. Aber Regimewechsel von außen hätten in Afghanistan nie das Erhoffte gebracht. „Meist kam nach einem Übel nur ein noch schlimmeres Übel.“
In den Augen des getroffenen Regimes in Teheran scheint es für das aktuelle Übel auch zahlreiche Verantwortliche im Land zu geben. Konkret stellt sich hier weiterhin folgende Frage: Wer steht auf der Gehaltsliste des Mossad, des israelischen Auslandsgeheimdienstes?
Im Staatsfernsehen vorgeführt
Im iranischen Staatsfernsehen wurden vor wenigen Tagen mehrere afghanische Männer vorgeführt. Sie wurden unter fadenscheinigen Vorwürfen festgenommen und für „Terror“ oder „Spionage“ verantwortlich gemacht. Berichten zufolge, die nicht unabhängig bestätigt werden können, fanden zahlreiche Razzien in Vierteln statt, in denen afghanische Geflüchtete leben.
„Das Regime wirft den Afghanen Zusammenarbeit mit dem Mossad vor“, erklärt Mohammad Halim*, der vor rund zwei Jahren Afghanistan verlassen hat. Nach den israelischen Luftangriffen ist er gemeinsam mit iranischen Freunden in den Norden des Landes geflüchtet. „Es heißt, afghanische Spione hätten Koordinaten geliefert“, erklärt Halim in einem Videocall, der von einer Starlink-Leitung ermöglicht wurde.
Im Gegensatz zu Verbindungen über normale Internetleitungen sind solche Calls weiter online und ermöglichen so die Kommunikation. „Nun finden wieder kollektive Bestrafungen statt. Als Afghane muss man jetzt noch mehr aufpassen als früher“, erklärt Halim.
Dabei ist der antiafghanische Rassismus in Iran seit jeher gesellschaftlich als auch institutionell präsent. In mehreren iranischen Provinzen ist es Menschen aus Afghanistan offiziell untersagt, sich niederzulassen. Sogar in manchen öffentlichen Parks wurde Menschen afghanischer Herkunft der Zutritt verwehrt. Auch existieren zahlreiche Gefangenenlager für afghanische Geflüchtete, die seit Jahren in Massen abgeschoben werden und an der iranisch-afghanischen Grenze oftmals massiven Menschenrechtsverletzungen seitens der Soldaten des Regimes ausgesetzt sind.
Dass einige Afghanen nun tatsächlich gegen das Regime gearbeitet haben, hält Halim trotzdem für realistisch. Ebenso wie viele Iranerinnen und Iraner ist auch er zum Schluss gekommen, dass der Mossad schon lange vor den jüngsten Luftangriffen innerhalb des Landes aktiv war. „Wie hätten denn sonst derartige Angriffe stattfinden können? Klar, die sind hier. Aber es sind in erster Linie Iraner, die mit den Israelis zusammenarbeiten. Diese haben wohl einige arme Afghanen für niedere Dienste angeheuert“, will Halim gehört haben.
Obwohl sich diese Vermutung nicht bestätigen lässt, ist sie in den Augen vieler Afghanen wie Halim nicht unwahrscheinlich. Die meisten afghanischen Geflüchteten in Iran leben in Armut und sind auf Geld für sich und ihre Familien, die meist weiterhin in Afghanistan leben, angewiesen. Dass man in einem solchen Fall auch Geld von fragwürdigen Quellen annimmt, sei nachvollziehbar und menschlich.
Bis vor einiger Zeit habe auch das Regime afghanische Geflüchtete mit Geld gelockt und in den Tod geschickt. Denn während des Krieges in Syrien wurden Tausende afghanischer Geflüchteter, darunter auch Minderjährige, für die sogenannte Fatemiyoun-Brigade rekrutiert, um das mittlerweile gestürzte und mit Teheran verbündete Regime Bashar al-Assads zu verteidigen. Meist wurden den jungen Männern und ihren Familien iranische Aufenthaltspapiere sowie Zugang zu Bildung versprochen. Viele von ihnen kehrten nie zurück.
*Name geändert
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