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Affe oder Spielverderber

Ein intellektueller Kindergarten: „Gob Squad“ mit ihrer traurigen Abendbe-schäftigung „Say it Like You Mean it“ auf Kampnagel  ■ Von Ralf Poerschke

Es beginnt so schön. Der „Führer“ (Sean Patten) geleitet uns durch den dichten, dunklen Wald, der Kampnagel heißt. Aus Lautsprechern rauscht es, gefährlich sei es hier, und Sean zeigt auf seine Hand, in die kürzlich ein Wiesel gebissen hat. Tatsächlich hatte in der Halle 6 gerade ein Wolfsrudel sein Abendmahl (abgenagte Knochen vor einem jaulenden Kassettenrekorder), und ein Mensch im Bärenkostüm flieht vor Seans Taschenlampenstrahl. Er leuchtet zur Fabrikdecke hoch: „These trees are about 600, 700 years old. Amazing, isn't it?“ Vorsichtig noch auf einem Baumstamm über einen reißenden Gebirgsbach balanciert, und die kleine Gruppe ist am Ziel: ein Festzelt. Willkommen bei Gob Squad und ihrer neuen Mitmach-Show Say it Like You Mean it – The Making of a Memory.

Die Ouvertüre ist ein wunderbares Spiel mit der Kraft der Imagination im Theater, ironisch gebrochen mit den Mitteln des nature sightseeing. Leider viel zu kurz. Dann wird es langatmig: Die britisch-deutsche Live-Art-Truppe versucht sich in Publikumsbeteiligung mit den Mitteln der Beschäftigungstherapie. Im Zelt bietet sich dem teilnehmenden Zuschauer ein bunter Strauß an leichten Tätigkeiten: Man kann mit Liane Sommers einen Wunschbrunnen ausstatten, mit Berit Stumpf an der Bowle mixen, Johanna Freiburg beim Kuchendekorieren helfen, Luftballons aufblasen, Konfetti herstellen und sich einen Hut basteln. Wenn man einfach nur da sitzen möchte und Bier trinken, wird man animiert, etwas zu tun, oder in eine Diskussion darüber verwickelt, was man von der These hält, dass Hollywood uns unsere Gefühle gestohlen hat. Dazu dudeln vom DJ-Pult stimmungsvolle Hithits der 60er, 70er und 80er Jahre.

Zwischendrin ergreifen die fünf Performer per Mikro das Wort, und prompt wird es absichtsvoll: Johanna „möchte öffentlich aufstehen können für eine Überzeugung“ und wünscht sich, „dass ein einziges Mal ein Versprechen gehalten wird“; Berit will, dass „wir etwas zusammen schaffen, eine Erinnerung“, und in diesem „perfekten Moment“, auf den der ganze (Party-)Abend hinausläuft, würde sie gern weinen. Der „perfekte Moment“ sieht so aus, dass im Rahmen einer „Schlusszeremonie“ die Gäste mit ihren selbst hergestellten Hüten auf dem Kopf durch das „Tor der Aufrichtigkeit“ schreiten und in einem „Schauer des Glücks“ „baden“, der nicht anderes ist als ein Konfettiregen. Das Ganze wird gekrönt von einem Gruppenfoto und dem kollektiven Gelöbnis, diese Erinnerung mitzunehmen und anderen davon zu erzählen.

Alles, alles fromme Lügen, die andererseits vortrefflich in das von Gob Squad propagierte Konzept der Offenheit passen. Say it Like You Mean it richtet sich in einer ersten Denkbewegung gegen Zynismus und Unverbindlichkeit einer Gesellschaft, dessen (einsames) Zentrum das stumpf konsumierende Individuum bildet; in einer zweiten Denkbewegung macht sich die Inszenierung genau jene Mechanismen der Kultur-, Event- und Erlebnisindustrie zunutze, die sie hinterfragt; als drittes entsteht mithin ein warholeskes Geflecht aus Affirmation und Kritik, das nicht monointentional entwirrbar ist. Theoretisch werden Gob Squad so unangreifbar.

Praktisch ist das jedoch ein Katastrophe: Wer hier mittut, macht sich unweigerlich zum Affen, und wer sich verweigert, übernimmt die Rolle des Griesgrams und Spielverderbers. Dass dieses beiderseitige Unbehagen zusätzlich verbalisiert wird (nach dem Motto: „Wer noch keinen Hut hat, soll sich jetzt endlich einen basteln und aufsetzen, damit es für die anderen nicht so peinlich ist“), ist dann allein eine besonders perfide Form von Zynismus – nämlich eine, die sich immer auf ihre vorgebliche Harmlosigkeit zurückziehen kann. Aber auch ein intellektueller Kindergarten bleibt eben ein Kindergarten.

Das ist natürlich ganz traurig für die zahlenden Besucher, die sich entweder verarscht fühlen oder von denen, die sich verarscht fühlen, als verarscht identifiziert werden können. Genauso traurig ist das für die Veranstalter, die diese Konsequenz nicht anerkennen können, wollen und dürfen – rein aus konzeptionellen Gründen, versteht sich. Und diese Traurigkeit ist wirklich aufrichtig empfunden.

noch 17. bis 19. sowie 22. bis 25. März, 20 Uhr, Kampnagel

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