AfD vor der bayerischen Landtagswahl: Am Ohr der Basis?
Hässliche Windräder, Flüchtlinge mit zu viel Geld und Zweifel am Fachkräftemangel: Wo drückt bei denen der Schuh, die zu AfD-Treffen kommen?
Im Hotelrestaurant haben sich gut 50 Gäste eingefunden, vielleicht zehn von ihnen sind Frauen. Sie sitzen auf Polsterstühlen und -bänken aus beigem Kunstleder, auf den Tischen liegen weiße Decken, darauf kleine Blumenvasen mit Gerbera. Der jüngste Besucher ist in den 20ern, der älteste hat die 70 überschritten. Manche tragen Kapuzenpulli oder Jeansrock, andere Trachtenjanker. Einer hat ein Spinnentatoo am Ellbogen, ein anderer ein Basecap mit „Deutschland“ drauf auf dem Kopf. Die KellnerInnen tragen große Bier- und Colagläser herein, auch Teller mit Schnitzel und Salat. Durch die großen Fenster blickt man auf Terrasse und Felder.
Am Redepult hinter der Bayernfahne haben sich die beiden örtlichen Landtagskandidaten vorgestellt, (Rafael Hauptmann, 29 Jahre, drei Kinder, bald vier, früher Erzieher, jetzt Mitarbeiter des Bundestagsabgeordneten Rainer Kraft; Ulrich Singer, 42 Jahre, Rechtsanwalt), eine Schweigeminute für den getöteten Chemnitzer „und all die anderen Opfer der Politik von CDU und CSU“ ist absolviert, jetzt hat der AfD-Landeschef das Wort. Sichert spricht in ruhigem Ton, viel über Migranten und Flüchtlinge, fehlende Sicherheit und Übergriffe auf Frauen, streift Volksabstimmungen (dafür), Islamunterricht (dagegen) und die vermeintliche „Frühsexualisierung“ (schlimm), „Zigeunerschnitzel und Negerküsse“ (muss man sagen dürfen) und den Dieselmotor (wichtig für unseren Wohlstand). Es folgt solider Applaus.
Wahlprogramm im Schnelldurchlauf
Dann dürfen Fragen gestellt werden. „Wo ist die Milliarde hin, die der VW bezahlt hat?“, ruft ein älterer Mann mit schwerem Dialekt in den Raum. „Im großen Topf verschwunden“, antwortet Sichert und schwenkt zur Rente über. Einer will wissen, ob die AfD die Wehrpflicht wieder einführen will. „Ja, da sind wir ganz klar dafür“, sagt Sichert und ist schnell bei der Pflege, die nicht von Flüchtlingen ohne Deutschkenntnisse übernommen werden dürfe. Es folgen Fragen zur Abschaffung des Solidaritätszuschlags und Kindergeldzahlungen im Ausland, zu Steuerreform und Zuwanderungsgesetz. Die Antworten sind knapp, Nachfragen werden nicht gestellt.
Dann will ein Mann im karierten Kurzarmhemd wissen, wie sich die AfD die Energiepolitik der Zukunft denn vorstelle. Rafael Hauptmann, der Landtagskandidat, sagt, dass man Grundlastkraftwerke brauche, „das können nur Kohlekraftwerke oder Atomkraftwerke sein“. Die seien aber bald abgeschafft, ruft der Mann mit dem Kurzarmhemd dazwischen. „Wir werden also Strom aus dem Ausland kaufen“, fährt Hauptmann fort. Der komme aus maroden Kraftwerken. Außerdem werde man „die Landschaft immer mehr zuspargeln“. Bald ist er bei der Frage, wie marode Windkrafträder entsorgt werden und dass die Energiewende gescheitert sei. „Ich hab gefragt, wie die AfD sich das vorstellt“, fragt der Mann in dem Kurzarmhemd nach. „Dass ein Windrad ein Betonfundament hat, das weiß ich selber.“ Hauptmann stutzt, Sichert springt ein. Er sagt, dass die AfD keine Trassen will, dass in Bayern der Strom produziert werden soll, den Bayern braucht. Dass es deshalb mehr Grundlastkraftwerke geben müsse. Und dann ist er schnell wieder bei den Windrädern, die die Landschaft verschandeln.
Am Ende, nach über zwei Stunden, werden noch Leute zum Plakatieren gesucht. Dann gehen die meisten, wenige bleiben zu einem weiteren Bier. Die Tischnachbarin, eine Frau in den 60ern mit Kurzhaarschnitt und Steppweste, will eigentlich nicht mit der Journalistin reden, doch es bricht aus ihr heraus. Dass ihre Mutter nur eine kleine Rente hat, aber für Flüchtlinge viel Geld verschleudert wird. Dass Merkel eine Verbrecherin sei. Dass wir alle überwacht werden. „Das können Sie sich alles im Internet anschauen.“
Als Björn Höckes Wagen am frühen Dienstagabend in die Auffahrt zur Schloßberghalle in Peiting einbiegt, wird er mit „Arschloch“ aus dem Ärzte-Song begrüßt. Peiting hat 11.000 Einwohner, fast tausend Demonstranten sind vor die Schloßberghalle gekommen. Aus ihren Boxen dröhnt laute Musik, viele der Gegendemonstranten singen mit. Etwa 30 von ihnen sitzen später in dem hellen Saal mit den himbeerfarbenen Vorhängen und halten immer wieder schweigend rote Karten hoch. Außerdem sind rund 300 Menschen erschienen, die der AfD anhängen oder zumindest an ihr doch zumindest interessiert sind. Björn Höcke und die lokalen KandidatInnen ziehen zum traditionellen Bayerischen Defiliermarsch und mit je einer großen Deutschland- und Bayernfahne in den Saal ein. Applaus von den einen Seite, rote Karten von den anderen, einige wenige gucken nur interessiert.
Altersmäßig ist das Publikum gemischter als bei anderen AfD-Veranstaltungen, das ist bei Höcke häufig so. Der AfD-Rechtsaußen aus Thüringen hat eine ganz besondere, jüngere Anhängerschaft, die ihn geradezu verehrt. „Man sollte Björn Höcke nicht zu viel Zeit stehlen“, sagt denn auch Rüdiger Irmgart, der Landtagskandidat, den die Leute hier wählen sollen und fasst sich kurz. Nach der stellvertretenden Landeschefin ist Höcke dran. Applaus brandet auf.
Der Thüringer aber hält keine stringente Rede, springt von einem Thema zum nächsten. Er bezichtigt die Frankfurter Allgemeine Zeitung, „Falschmeldungen, Fake News“ zu verbreiten, und fordert das Publikum auf: „Kündigen Sie ihre Zeitung!“ Er fordert, dass der Verfassungsschutz, dieser „deformierte Inlandsgeheimdienst“, nicht die AfD, sondern die überwache, die die freiheitliche Verfassung wirklich gefährdeten: „die Kartellparteien unter Angela Merkel“. Höcke spricht von einer „gelenkter Demokratie“, vom „Kult von Minderheiten“ und dass die Familie die Keimzelle von Nation, Volk und Vaterland sei. Er thematisiert Rente und Energiewende und sagt Sätze wie: „Manchmal habe ich das Gefühl, dass diese Energiewende ganz bewusst unser Naturempfinden zerstören soll, damit unser Heimatgefühl erodiert.“ Und natürlich geht es um das durch die vielen Geflüchteten schwindende Sicherheitsgefühl , um die „permanente Angst um Frau und Kinder“ und um „ein Volk wie die Deutschen, das der Welt so viel gegeben hat“.
Höckes Rede mag nicht so richtig zünden
Doch so richtig in Wallung bringt Björn Höcke das Publikum damit nicht. Am größten ist der Applaus noch, als einige AfD-GegnerInnen den Saal verlassen und Höcke ihnen nachruft: „Wer Deutschland nicht liebt, soll Deutschland verlassen.“ Fragen an Höcke sind nicht vorgesehen. Nach seiner Rede wird erst das Bayernlied, dann die Nationalhymne gesungen. Ohne Begleitung vom Band, weil die Technik versagt. Kurze Zeit später ist der Thüringer weg. Und der Mann auf dem Nebenstuhl wendet sich der Journalistin zu und fragt: „Sind Sie eigentlich vom Verfassungsschutz?“
Wer zum „Themenabend Asylkrise“ des AfD Kreisverbands Lauf-Roth kommen will, muss eine Mail schicken, um den Veranstaltungsort zu erfahren. Die Gaststätte liegt etwas außerhalb des Ortes, drumherum ein Fußballfeld, Tenniscourts und Parkplätze. Draußen warten Eltern auf ihre Jungs, die nach dem Fußball noch duschen. Wenn man drinnen nach der AfD fragt, landet man in einem Nebenraum der Gaststätte. Etwa 15 Männer und fünf Frauen sitzen an langen Tischen. Die Kellnerin nimmt Bestellungen auf, erst wenn alle ihr Essen geordert haben, geht die Veranstaltung los, so ist es abgesprochen. Das Rumpsteak sei wirklich gut, heißt es am Tisch.
Vorn ist eine Leinwand aufgebaut, davor stellt sich jetzt Ferdinand Mang, 40, Rechtsanwalt, das hellblaue Hemd hat er ordentlich in die Jeans gesteckt. Früher war er für CSU-Ortsvorsteher, jetzt ist er der hiesige AfD-Kandidat für den Landtag. Für seinen Vortrag „Asylkrise – Anfänge, Entwicklung, Höhepunkt“ lässt Mang immer neue Presseartikel auf die Leinwand projizieren – Focus, Süddeutsche, ARD, Zeit-Online, alles dabei. Oft liest er nur Passagen daraus vor, dann kommt schon die nächste Folie mit dem nächsten Zitat. Mal geht es dabei um Wirtschaftssanktionen, mal um Waffenlieferungen, dann um die mangelnde Nahrungsmittelhilfe der UN, „das Märchen vom Fachkräftemangel“ und die Resettlementdefinition des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge. Plötzlich ein Fazit: Fachkräfte aus fremden Ländern abzuwerben und die anderen dort zu lassen, sei „unchristlich, asozial, und das lehne ich vehement ab“.
Wiederworte und ein überforderter Kandidat
„So ein Unsinn“, stöhnt am hinteren Tisch ein älterer Herr. Wenig später meldet er sich zu Wort. „Ich glaube, das ist in mehreren Dingen falsch“, sagt er. „Wenn du aus Kuba gut ausgebildete Ingenieure ins Land holst, die dort keine Arbeit finden, dann schadest du diesem Land nicht. Und dass es keinen Fachkräftemangel gibt, ist ein Unsinn.“ Er sei Unternehmer und habe Schwierigkeiten gehabt, einen Buchhalter, einen Elektriker oder einen Werkzeugmacher zu finden. „Und wenn ich einen ausbilden will, hab ich extreme Schwierigkeiten, einen zu finden, der für die Ausbildung geeignet ist.“ Mangs Ausführungen seien etwas kurz gedacht.
Dieser räumt ein, „keine Patentlösung“ zu haben und sagt, dass da vieles ineinander greife. Zum Beispiel, dass wir uns im freien Wettbewerb mit deutlich billigeren Arbeitskräften etwa aus China befänden. Das führe zu Lohndumping.
Jetzt ist der Mittelständler wirklich empört. „Versuch doch mal für 24 Euro pro Stunde einen Elektriker zu finden, du wirst keinen finden“, sagt er. „Das ist doch kein Lohndumping.“ Zwei andere stimmen zu, ein dritter meint, bei den Flüchtlingen gehe es doch gar nicht um Fachkräfte. Dann ist die Runde schnell bei Kindern, die in der Schule nicht mehr richtig rechnen lernen und zu ihrer Lehrerin „Du Fotze, ich fick dich“ sagen. Bei „Asylanten“, aus denen in den allermeisten Fällen keine Fachkräfte würden. Und dass ganz Afrika nach Europa wolle. Der Unternehmer merkt an, dass „in der deutschen Politik, aber auch hier in der Diskussion“ ganz schön viel durcheinander gehe.
Mang kommt kaum noch zu Wort, niemand stellt ihm Fragen. Als einer sagt, dass man Europa vor „den Afrikanern“ schützen müsse, herrscht Einigkeit. Und auch darüber, dass man Europa als Festung ausbauen müsse.
Die AfD hat auf dem Marktplatz von Hengersberg, 40 Kilometer von Passau entfernt, zwischen zwei Kastanienbäumen eine kleine Bühne aufgebaut. „Meuthen spricht“ steht auf den blauen Plakaten, die in der Umgebung für die Veranstaltung an diesem Montagabend werben. Neben dem AfD-Bundeschef ist Katrin Ebner-Steiner als Rednerin angesagt, Spitzenkandidatin der AfD hier in Niederbayern. Um 19 Uhr regnet es, etwa 80 AfD-AnhängerInnen finden sich ein. Viele sehen wie NormalbürgerInnen aus, wer einen Schirm dabei hat, spannt ihn auf. Dazwischen stehen bullige Typen mit vielen Tattoos, „Germanica“ ist auf einem Nacken zu lesen. Hinten auf dem Platz verteilen Jusos rote Luftballons, bei ihnen steht ein Mann in einem T-Shirt mit CSU-Logo darauf, die örtliche SPD-Bundestagsabgeordnete ist ebenfalls dabei. Etwa 50 AfD-GegnerInnen sind gekommen. „Rassismus in den Wind schießen“ steht auf den roten Ballons, die sie in die Höhe halten.
Erst spricht Ebner-Steiner, dann Meuthen. Der Parteichef redet über Chemnitz und wie stolz er auf die Menschen sei, die dort auf die Straße gegangen sind. „Sie sind der lebende Beweis dafür, dass es doch noch Bürger gibt, die so etwas wie Mut, Stolz und den Antrieb haben, sich und das Eigene zu verteidigen.“ Gewalt gegen Migranten und Hitlergrüße lehne er ab, sagt Meuthen, aber auch, dass er Zweifel habe, ob diese von „unseren Leuten“ ausgehe und nicht eher von „eingeschleusten“. Er fordert: „Abschieben. Grenzen schließen. Ordnung wieder herstellen“, spricht von „degenerierter Dekadenz“ und der „Vergewaltigung unseres Ordnungsstaates“.
Die Menschen hören gerne mal weg
Als er in seinem Professoren-Duktus fällt, fangen die Leute unter den Schirmen an, sich zu unterhalten. Am größten ist der Applaus, als Meuthen kritisiert, heute dürfe man Frauen keine Komplimente über ihr Aussehen mehr machen und dann sagt: „Kaum eine Grüne käme jemals in die Gefahr, dass ihr ein solches Kompliment gemacht würde.“ Buh-Rufe von hinten, aus einer Wohnung gegenüber schrillt eine Trillerpfeife.
„Ich komm zum Ende“, sagt Meuthen nach knapp 50 Minuten. Dann fliegt eine Tomate in Richtung AfD-Chef, trifft aber nur seinen Schuh. Nach Bayern- und Nationalhymne verläuft sich die Menge.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin