AfD-Programm zur Wahl in Bremen: Wahnhafte Fantasien
Das AfD-Programm zur Bremer Bürgerschaftswahl zeichnet ein sehr düsteres Bild der Gegenwart und dreht sich dabei meist um MigrantInnen.
Nein, das ist keine Zusammenfassung eines schlechten Low-Budget-Thrillers von Filmemachern mit Reichsbürger-Hintergrund, sondern das aufs Wesentliche eingedampfte, teilweise wörtlich zitierte Bürgerschafts-Wahlprogramm der AfD. Und das könnte sogar alles recht lustig sein, läge sie in den aktuellen Umfragen nicht noch immer bei sieben Prozent.
Dreh- und Angelpunkte des 27-seitigen Programms sind MigrantInnen – wobei die AfD damit auch Deutsche mit Migrationshintergrund meint – sowie die unerträgliche Gegenwart. Denn, was früher war, das ist für die AfD wahr und richtig: Atomkraftwerke, Verbrennungsmotoren, das dreigliedrige Schulsystem, Leistungsbereitschaft und Disziplin, Diplom- und Magisterstudiengänge, Führungspositionen für Männer und freie Fahrt für freie Bürger – früher war einfach alles besser.
Bremen, so schreibt es die AfD in ihrem Programm, sei „auf allen Politikfeldern von jeder positiven Entwicklung abgehängt“, im Gegenzug aber „Spitzenreiter bei sozialistischen Experimenten“ und geprägt durch „ideologiebetriebene Gleichmacherei“. Auf welchen ideologiefreien Erkenntnissen hingegen die AfD-Aussage, „positive Entwicklungen der Kinder“ würden durch Inklusion „deutlich erschwert“, beruht, verrät das Wahlprogramm nicht. Auch den Satz „Die Gendertheorien haben sich als unwissenschaftlich erwiesen“ erklärt die AfD nicht, lehnt aber „eine weitere staatliche Finanzierung“ selbiger ab – auch wenn unklar bleibt, was das überhaupt sein soll, so eine staatliche Finanzierung von Theorien.
„Die AfD ist gegen jede Form von Extremismus“, behauptet die Partei, und deswegen, so steht es auf Seite zehn des Programms, sei es „unverzichtbar, jegliche Form von Extremismus zu ächten“ – wobei es für die AfD offenbar nur eine Form des politischen Extremismus gibt, der anscheinend sogar bezahlt wird. Anders lässt sich der folgende Satz jedenfalls nicht erklären: „Jede Finanzierung von linksextremistischen Aktivitäten ist zu unterbinden.“
Gefordert wird „Mut zur Wahrheit“ in der Kriminalstatistik. Dazu gehört für die AfD, Menschen in rassistische Sippenhaft zu nehmen: Denn es genügt ihr nicht, dass die Kriminalstatistik AusländerInnen erfasst, sie fordert, auch einen „Migrationshintergrund zu erfassen und entsprechend auszuweisen“. Von der Polizei fordert sie „verdachtsunabhängige Kontrollen zur Bekämpfung von Ausländerkriminalität“, von der Justiz ein Ende der vermeintlichen „Urteile mit Herkunfts- oder Religionsrabatt“.
Sie fordert ein Ende der doppelten Staatsbürgerschaft und eine Rückkehr zum „Abstammungsprinzip“, und was sie von Muslimen hält, steht dick und deutlich auf Seite 14 ihres Wahlprogramms: „Der Islam gehört nicht zu Bremen!“
Die AfD beklagt die ihrer Wahrnehmung nach „völlig fehlende Sicherung der EU-Außengrenzen“, schiebt die Wohnungsnot in Bremen auf „ungezügelte Masseneinwanderung“ und betrachtet die ansteigende Mieten als „Folge einer verfehlten Finanzpolitik und des Zuzugs tausender illegaler Migranten“.
In Walle wehrt sich das Bündnis „Walle bleibt bunt“
Dass Bremens AfD-Spitzenkandidat Frank Magnitz ausgerechnet im Stadtteil Walle ein Wahlkreisbüro eingerichtet hat, ist möglicherweise diesen wahnhaften Fantasien geschuldet – schließlich leben in Walle viele „Ausländer“ und „Menschen mit Migrationshintergrund“. Bloß nehmen die niemandem die Wohnungen weg und sie treiben auch die Mieten nicht in Höhe: Noch ist der Wohnungsmarkt in Walle nicht leergefegt, und dass auch dort die Mieten steigen, liegt eher an der ungezügelten Einwanderung von StudentInnen, denen das Viertel und die Neustadt zu teuer geworden sind. Und auf die Rettung durch die AfD hat dort niemand gewartet.
Im Gegenteil: Gegen den Zuzug von Frank Magnitz formierte sich das Bündnis „Kein AfD-Büro nirgendwo – Walle bleibt bunt“ und stemmte sich mit Kundgebungen und Unterschriftenaktionen und breiter Unterstützung im Stadtteil gegen die Ansiedlung des AfD-Büros in Walle – und nun hat es sich das Wahlprogramm vorgenommen: mit einem plattdeutschen Remake des bayrischen Anti-AfD-Songs „Mia ned“.
„Wi nich!“, singt Lars Köster, Sänger der Band Knipp Gumbo, gemeinsam mit AktivistInnen des Bündnisses „Walle bleibt bunt“ und fasst schmissig, humorvoll und aufs Wesentliche reduziert die Aussagen des AfD-Programms zur Bürgerschaftswahl zusammen. Singend und tanzend appellieren die Mitwirkenden im Youtube-Video zum Song an alle Unentschlossenen, nicht die AfD zu wählen: „AfD in der Bürgerschaft, das ist nicht mehr normal!“ Und damit’s auch von jenen verstanden wird, die des Plattdeutschen nicht mächtig sind, ist das Aufklärungsvideo hochdeutsch untertitelt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
Misogynes Brauchtum Klaasohm
Frauenschlagen auf Borkum soll enden
SPD im Vorwahlkampf
Warten auf Herrn Merz