AfD-Kandidat in Baden-Württemberg: Der Mann, der alle mitnehmen will
Jörg Meuthen ist Spitzenkandidat seiner Partei in Baden-Württemberg. Er gibt sich seriös und liberal. Geht das in der AfD überhaupt?
Am 13. März, wenn in Baden-Württemberg ein neuer Landtag gewählt wird, dürfte das anders sein. Meuthen ist hier Spitzenkandidat der AfD, nach der letzten Umfrage könnte sie hier 13 Prozent bekommen. Der Wirtschaftsprofessor, der in Kehl lehrt, gilt als liberales Aushängeschild der rechtspopulistischen Partei, die immer schrillere Töne anschlägt.
Meuthen hat das Café Cielo in Karlsruhe-Durlach für ein Treffen vorgeschlagen, er wartet vor der Tür, das Telefonat hat er inzwischen beendet. Drinnen bestellt er einen großen Milchkaffee. „Hier werden wir nicht gewählt“, sagt er, linst über seine schmale Brille hinweg und grinst. „Das ist grünes Terrain.“ Meuthen ist ein Mann, mit dem man gut plaudern kann. Über Skiurlaub, seine beiden kleinen Kinder, die er wegen des Wahlkampfes kaum noch sieht, und seine Frau, die sich das Familienleben anders vorgestellt hat. Lässt man die Politik außen vor, wirkt der Mann sympathisch.
Die AfD sei eine breit aufgestellte Partei, in der viele Stimmen ihren Platz haben, so stellt es Meuthen da. Er selbst sei ökonomisch liberal und gesellschaftspolitisch ziemlich konservativ. Die AfD wünscht er sich dort, wo die CDU früher stand, bevor Angela Merkel sie sozialdemokratisiert habe, dazu ein Schuss FDP. „Der Schutz von Ehe und Familie ist für mich zentral“, sagt Meuthen, der insgesamt fünf Kinder mit zwei Frauen hat. Und weil Familie im Idealfall aus Vater, Mutter, Kindern bestehe, lehnt er die Homo-Ehe ab.
Er galt früher als Lucke-Mann
Ganz ähnlich hat sich früher AfD-Gründer Bernd Lucke präsentiert, den die Mehrheit auf dem Parteitag in Essen im Sommer aus der AfD vertrieb. Meuthen galt früher als Lucke-Mann. Als dieser nach dem Parteitag mit vielen Anhängern die Partei verließ, blieb Meuthen jedoch – und folgte Lucke als Parteichef nach. Lucke, meint Meuthen, wollte zu viele aus der Partei ausgrenzen. „Daran ist er gescheitert. Ich will versuchen, möglichst alle mitzunehmen.“
Meuthen weiß, dass das Gespräch bald bei Björn Höcke sein wird, dem talentierten Populisten der AfD aus Thüringen. Denkt man sich die AfD als eine Schnur, steht Meuthen an einem Ende und Höcke am anderen. Er teile nicht alle Meinungen, die in der AfD vertreten werden, sagt Meuthen. Manches könne er mittragen, von anderem grenze er sich ab.
Doch so leicht kann es sich ein Parteichef nicht machen. Wo also ziehen Sie die Grenze nach rechts, Herr Meuthen? „Rassismus, Ausländerfeindlichkeit, Verfassungsfeindlichkeit, völkisch-nationalistisches Gedankengut – das sind Dinge, die nicht gehen“, sagt Meuthen und tunkt seinen Mandelkeks in den Milchkaffee. „Das sind die Stoppmarken.“
Höcke, der die AfD zu einer „Widerstandsbewegung gegen die weitere Aushöhlung der Souveränität und der Identität Deutschlands“ machen will, hat jüngst einen Vortrag gehalten. Darin referierte er über unterschiedliche „Reproduktionsstrategien“ – den „lebensbejahenden afrikanischen Ausbreitungstyp“ und den „selbstverneinenden europäischen Platzhaltertyp“.
„Das war aus meiner Sicht indiskutabel“, sagt Meuthen. „Ich habe mich deshalb in einer Presseerklärung klar abgegrenzt.“ Sanktionen aber, wie sie seine Kochefin Frauke Petry erfolglos forderte, trug Meuthen nicht mit. „Man kann das für rassistisch halten, aber wenn man mit Höcke redet, kann man das auch anders sehen.“
Meuthen wuchs in einem Essener Arbeiterviertel auf, zum Studium ging er nach Köln, hier hat er promoviert. Erst arbeitete er im hessischen Finanzministerium, seit 1997 ist der Katholik Professor für Volkswirtschaft an der Hochschule für öffentliche Verwaltung in Kehl. Für Politik habe er sich schon immer interessiert, „uniformes Denken“ widerstrebe ihm. „Als alle links waren, musste ich einfach rechts sein. Es hat mir Spaß gemacht, mit dem Bayernkurier im Geschichtsunterricht zu sitzen.“ Als Franz Josef Strauß 1980 für die Union als Kanzlerkandidat antrat, verteidigte er den Bayern gegen seine Mitschüler. „Es ging mir im jugendlichen Überschwang um die schiere Lust an der Provokation.“
Es ist schwer, dieses Bild mit dem Mann zusammenzubringen, der in Durlach beim Kaffee sitzt. Der freundlich erzählt, sachlich erklärt, der ruhig und besonnen wirkt.
Manche Beobachter sprechen von einer Doppelstrategie der AfD. Im Osten schlägt sie schrille, völkisch-nationalistische Töne an, im Westen gibt sie sich seriös. Das stimmt und auch wieder nicht. Im Wahlprogramm der baden-württembergischen AfD ist von einer Bundeskanzlerin zu lesen, die „alle Register der Massenpsychologie und Massensuggestion“ ziehe, um die Bevölkerung zu täuschen, vom drohenden Ende der deutschen Kultur und von einer „weitgehend gleichgeschalteten Presse“.
„Der Begriff ‚gleichgeschaltet‘ ist einschlägig kontaminiert,“ sagt Meuthen dazu. „Ich würde ein solches Wort nicht verwenden.“ Generell gilt für ihn beim Wahlprogramm: „Ich muss nicht mit allem einverstanden sein.“
Es ist immer das gleiche Muster, nach dem Meuthen sich selbst vom radikalen Ende seiner Partei distanziert – und ihm gleichzeitig Platz in der AfD lässt.
Afrikanische Patenkinder
In der baden-württembergischen AfD sind auch die „Patriotische Plattform“ und der „Pforzheimer Kreis“ stark, die am rechten Rand der Partei stehen, für den Landtag kandidieren zahlreiche Höcke-Fans. Einer von ihnen verglich den Koran mit Hitlers „Mein Kampf“, eine andere sprach vom „schleichenden Genozid der deutschen Bevölkerung“ durch Einwanderung, ein Dritter brüllte auf einer Demonstration in Erfurt ins Mikrofon: „Ich sage diesen linken Gesinnungsterroristen, diesem Parteienfilz ganz klar: Wenn wir kommen, wird aufgeräumt, dann wird ausgemistet, dann wird wieder Politik für das Volk gemacht und nur für das Volk – denn wir sind das Volk.“ Die Liste ließe sich fortsetzen.
Meuthen, der vor der Parteispaltung stellvertretender Landeschef war, betrieb wegen solcher und ähnlicher Aussagen zwei Parteiausschlussverfahren – und stoppte sie dann als Bundeschef. Er habe mit allen geredet, vieles sei ausgeräumt. „Ich kann, auch wenn ich manche Meinung nicht teile, mit ihnen in der Partei leben.“ Er wird mit ihrer Hilfe auch Stimmen von jenen einheimsen, denen er selbst zu gemäßigt ist. Meuthen sieht das selbstverständlich anders: „Auf zehn Leute, die ich damit gewinnen kann, kommen hundert, die uns deshalb nicht wählen.“
Gegen Abend saust Meuthen, inzwischen im Anzug, mit seinem VW-Cabrio ins 30 Kilometer entfernte Rastatt. Unterwegs erzählt er von seinem Glauben an Gott, den vier Patenkindern in Afrika und der Idee, ein Buch über das Vatersein zu schreiben. Dann zieht er das Auto von der linken Spur zur Ausfahrt rüber.
„Ich bin kein Hetzer“
Fast 200 Zuhörer sind in die „Reithalle“ gekommen, wo sonst Konzerte stattfinden, etliche Plätze bleiben leer. Mehr Alte als Junge, mehr Männer als Frauen, wie immer bei der AfD. Manche sind Parteimitglieder, andere wollen sich informieren. Meuthen kritisiert die „Rechtsaußenkeule“, mit der die anderen Parteien die AfD diffamierten. Finanzminister Schäuble spreche von „Dumpfbacken“, SPD-Chef Gabriel von „Pack“, Ministerpräsident Kretschmann von „geistigen Brandstiftern“. „Haltloser Quatsch“, sagt Meuthen. „Ich bin kein Hetzer und schon gar kein Rassist.“ Applaus.
Egal ob im Durlacher Café oder in der Rastatter Halle – Meuthen bleibt der freundliche, seriöse Hochschullehrer. Sein Auftritt gefällt vielen, aber nicht allen im Saal. Der Mann, der Hartz IV für unwürdig hält, schluckt, als Meuthen ihm später eine klare Absage erteilt: „An Hartz IV ist festzuhalten.“ Eine Frau will wissen, was er von Artikel 26 im Grundgesetz halte. „Was steht da drin?“ fragt Meuthen zurück. Die Frau ist entsetzt. Traurig sei es, dass er nicht wisse, dass es dort um Angriffskriege gehe.
Gegen Ende seines Vortrags ist Meuthen endlich bei dem Thema, das die meisten Zuschauer angelockt hat. Er erklärt, wie die AfD Flüchtlinge aus Deutschland fernhalten will. Das Grundrecht auf Asyl müsse beschnitten, Nichtbleibeberechtigte müssen konsequent abgeschoben werden. Asylanträge sollen nur noch in Aufnahmezentren außerhalb der EU gestattet sein. Und vor allem: Deutschland soll die Grenzen dicht machen und mit Zäunen sichern. „Ceuta und Melilla zeigen doch, dass Zäune wirken können.“
Die spanischen Exklaven in Marokko sind mit sechs Meter hohen Zäunen gesichert, an der Oberkante ist Nato-Stacheldraht angebracht. Bei dem Versuch, die Grenze zu überwinden, hat es bereits Tote gegeben, immer wieder bleiben Menschen blutend in den Zäunen hängen. Ein solche Grenze zwischen Deutschland und Österreich? „Nicht schön, aber notwendig.“ Dafür bekommt Meuthen in Rastatt am meisten Applaus.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos