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: Wo bleibt der Aufschrei?

Der Erfolg der AfD bei den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen ist eine Zäsur für den deutschen Rechtsextremismus. An der Gefahr, die sich damit Bahn gebrochen hat, gibt es nichts zu relativeren. Und doch gibt es noch viel zu wenig Erschütterung und Widerstand

Wofür die AfD steht, ist schon lange kein Geheimnis: Abschlusskundgebung in Erfurt vergangenen Samstag Foto: Fritz Engel/laif

Von Konrad Litschko

Man braucht nur die Stimmen derjenigen hören, die wissen, was jetzt auf sie zukommt. Mit diesem Wahlergebnis vom Sonntag drohe „eine Abkehr von der bisherigen politischen Kultur der Bundesrepublik“, warnte Charlotte Knobloch, die frühere Vorsitzende des Zentralrats der Juden, angesichts der AfD-Erfolge in Thüringen und Sachsen. „Wie hierzulande die Zukunft aussieht, ist ab heute wieder eine große und schwierige Frage.“ Der sächsische Flüchtlingsrat fürchtet „im Alltag noch mehr Diskriminierung und Übergriffe auf Geflüchtete“. Matthias Gothe vom Thüringer Queerweg sieht queere Strukturen „existenziell bedroht“. Tatsächlich gibt es an der Zäsur, die die Landtagswahlen bedeuten, gibt es an der Gefahr, die sich damit Bahn gebrochen hat, nichts zu relativeren. Und es gibt dafür noch viel zu wenig Erschütterung und Widerstand.

Erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik wird eine rechtsextreme Partei stärkste Kraft in einem Bundesland, die AfD in Thüringen. In Sachsen verfehlt die Partei dies nur knapp. Erstmals hält eine solche Partei eine Sperrminorität in Thüringen. Jeweils mehr als 30 Prozent der Wählenden gaben der AfD ihre Stimme in beiden Ländern, knapp 400.000 Menschen waren es in Thüringen, 720.000 waren es in Sachsen. Einer Partei, die in Thüringen mit Björn Höcke von einem Mann angeführt wird, der schon vor 14 Jahren an einem Neonaziaufmarsch in Dresden teilnahm und seitdem rechtsextreme Netzwerke knüpft. Der schon seit Jahren ein „groß angelegtes Remigrationsprojekt“ forderte, umgesetzt mit „wohltemperierter Grausamkeit“. Der auch zuletzt erklärte, er akzeptiere „die Multikulturalisierung Deutschlands nicht“ und wolle sie „rückabwickeln“. Einer Partei, deren sächsischer AfD-Landeschef Jörg Urban über eine migrantische „Messerkultur“ oder „Globalisten“ ätzt. Einer Partei, die deshalb in beiden Ländern vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem eingestuft wurde – woran Ex­per­t*in­nen schon zuvor keinen Zweifel hatten. All dies auch noch in Thüringen, wo sich einst der rechtsterroristische NSU radikalisierte, und in Sachsen, wo dieser Unterschlupf fand – und dann zu zehn Morden ausrückte. Alles vergessen, oder schlimmer noch: alles egal.

Denn für die Wäh­le­r:in­nen ist es schon lange kein Geheimnis mehr, für was diese AfD steht – sie wollen genau diese Politik. In einer Umfrage nach der Thüringenwahl erklärten 58 Prozent der Befragten, sie fänden es gut, dass die AfD „den Zuzug von Ausländern und Flüchtlingen stärker begrenzen will“. 75 Prozent fanden, der Einfluss des Islam in Deutschland werde „zu stark“. Für 68 Prozent kommen „zu viele Fremde“ ins Land. Und 50 Prozent erklärten, „wir leben gar nicht in einer richtigen Demokratie“. Es ist genau das, was die AfD vertritt.

Die AfD-Politik in den Landtagen wird Folgen haben. Mit der Sperrminorität kann die Partei in Thüringen zur Dauerblockiererin werden, Untersuchungsausschüsse einberufen, Verfassungsänderungen oder Richterwahlen verhindern. Vor allem aber wird die AfD im Kommunalen ihren Einfluss weiter ausbauen: Schon jetzt hält die AfD in vielen sächsischen und Thüringer Gemeinden die stärkste Fraktion, bestimmt nun über Jugend- oder Kulturprojekte mit, wird von anderen Parteien in Ämter gewählt. Die Brandmauer, sie ist hier vielerorts längst gefallen.

Die AfD wird auch ihr rechtsextremes Vorfeld weiter ausbauen, wird neue Mitarbeitende anstellen können, wird auch Rechtsex­treme jenseits der Partei weiter fördern Schon zuletzt trumpfte in Sachsen und Thüringen eine selbstbewusste, teils sehr junge rechtsextreme Szene auf. Angriffe auf Geflüchtete stiegen zuletzt wieder an, vorne lagen: Sachsen und Thüringen. Das dürfte sich nun weiter zuspitzen. In Sonneberg in Thüringen, wo seit einem Jahr ein AfD-Landrat im Amt ist, wurden laut der Opferberatungsstelle ezra seitdem 20 rechte Angriffe gezählt, fünfmal mehr als im Vorjahr. Wo Täter erkennen, dass ihre Gewalt gewollt ist, führen sie diese auch schneller aus.

Ich bin ein taz-Blindtext. Von Geburt an. Es hat lange gedauert, bis ich begriffen habe

Es sind diese Gefahren, zu denen der Aufschrei noch viel zu leise ausfällt. Wo ist das Zusammentun der Demokraten? Wo der Kabinettsausschuss der Bundesregierung gegen Rechtsextremismus? Wo sind die schnellen Anklagen nach den Angriffen auf die Wahlkämpfenden? Wo sind die vollstreckten Haftbefehle gegen gesuchte Neonazis? Wo ist das Demokratiefördergesetz? Wo ist die ernsthafte Debatte über ein AfD-Verbot?

Entscheidend wird es nun auf die demokratische Zivilgesellschaft vor Ort ankommen. Eine, die im Frühjahr dort gegen Rechtsextremismus auf der Straße stand. Und dann von Regierungen im Bund wie in den Ländern allein gelassen wurde. Das rächt sich nun.