AfD Berlin und der Verfassungsschutz: Freunde mit gewissen Vorzügen

Die AfD instrumentalisiert einen Geheimbericht des Verfassungsschutzes. Trotz rassistischer Äußerungen attestiert dieser der Partei Unbedenklichkeit.

Berlins Innensenator Andreas Geisel trägt einen Mundschutz auf einer Pressekonferenz

Wird von der AfD angegriffen: Innensenator Andreas Geisel Foto: Christoph Soeder/dpa

BERLIN taz | Die Senatsinnenverwaltung hat die AfD Berlin der Lüge bezichtigt. Nachdem unter anderem AfD-Fraktionschef Georg Pazderski behauptet hatte, Innensenator Andreas Geisel (SPD) habe Einfluss auf einen Prüfungszwischenbericht des Berliner Verfassungsschutzes (VS) genommen, damit dieser zuungunsten der AfD ausfalle, heißt es nun in einer Pressemitteilung der Innenverwaltung: „Es wird durch die AfD öffentlich der Eindruck erweckt, als sei der Berliner Verfassungsschutz bereits zu einem abschließenden Ergebnis gekommen. Dem ist nicht so.“

Bei dem Papier, das die Verfassungstreue der Berliner AfD prüfen soll, handelt es sich laut Innenverwaltung weder um einen finalisierten Zwischen- noch um einen Abschlussbericht. Die Prüfung laufe noch ergebnisoffen. Das Bundesamt für Verfassungsschutz erwägt derweil, die AfD bundesweit vom Prüffall zum Verdachtsfall heraufzustufen. Dann könnte der Geheimdienst auch nachrichtendienstliche Mittel wie Observationen und V-Personen einsetzen.

Pazderski behauptet, Geisel habe den Verfassungsschutz angewiesen, „ein Gutachten neu bzw. umzuschreiben“, weil das Papier keine verfassungsfeindliche Bestrebungen der AfD Berlin festgestellt habe. Die Innenverwaltung hingegen sagt, weder der Innensenator noch der Innenstaatssekretär hätten Kenntnis von dem Entwurf gehabt, auf den Pazderski sich beziehe. Eine politische Einflussnahme habe nicht stattgefunden – „anders lautende Behauptungen entsprechen schlicht nicht der Wahrheit“.

Tatsächlich liegt der von der AfD adressierte Zwischenbericht inklusive eines anonymen Anschreibens, das sich an die AfD-Abgeordneten richtet, der taz vor. Auf das Schreiben bezieht sich auch Fraktionschef Pazderski in einem Post in den sozialen Medien.

Das bisschen Rassismus

Der dem Schreiben angehängte mit „VS – nur für den Dienstgebrauch“ eingestufte Zwischenbericht wirkt authentisch, kommt allerdings zu einem merkwürdigen Fazit, das in der Argumentation AfD-nah und nach „Das wird man ja noch sagen dürfen“-Rhetorik klingt.

So heißt es etwa: „Es muss auch möglich sein, als Partei in der Opposition Kritik an Kernfragen der Regierungspolitik wie zum Beispiel der Flüchtlingspolitik zu üben, ohne damit rechnen zu müssen, als rechtsextremistisch bezeichnet zu werden.“ Der AfD Berlin seien keine verfassungsfeindlichen Bestrebungen nachzuweisen, die eine Erhebung zum Verdachtsfall rechtfertigten.

Pazderski setzt sich im Abgeordnetenhaus einen Mundschutz auf

Der Fraktionsvorsitzende Pazderski instrumentalisiert einen fragwürdigen VS-Zwischenbericht Foto: Emmanuele Contini/imago

Das ist insbesondere deshalb erstaunlich, weil der Bericht zuvor auf vielen seiner 43 Seiten öffentliche Aussagen von Berliner AfDlern etwa auf sozialen Medien aufführt, die rassistisch sind und von einem rechtsextremen Weltbild zeugen.

Reichsbürger-Ideologie, völkische Fantasien vom großen Austausch werden kleingeredet, AfD-Quellen wie das in Deutschland als rechts geltende Portal „Epoch Times“ unbedenklich als internationale Zeitung angeführt und rassistische Ermordungsfantasien in den Kommentarspalten etwa des Flügel-Anhängers Thorsten Weiß als nicht der AfD zurechenbar relativiert

Außerdem sei das Wahlprogramm harmlos, der Ausschluss von Mitgliedschaften in rechtsextremen Organisationen in der AfD-Bundessatzung wirke entlastend, der Einfluss des bereits als extremistisch eingestuften Flügels sei in Berlin gering.

Fazit im Widerspruch zu den Quellen

Das Fazit des Berichts steht damit zu großen Teilen in inhaltlichem Widerspruch zu den darin angeführten Quellen. Auch erwähnt wird bei der argumentativen Verharmlosung der Partei etwa die Auflösung des „Flügels“ – die von Be­ob­ach­te­r:in­nen der AfD und vom Bundesamt für Verfassungsschutz kürzlich noch als Täuschungsmanöver gewertet wurde.

Insgesamt klingt gerade das Fazit, als hätten die für Rechtsextremismus zuständigen Ge­heim­dienst­le­r:in­nen ihre zu große Nähe zum Beobachtungsobjekt in einem Bericht zusammengefasst und würden nun versuchen, damit den Spin in der Öffentlichkeit zu bestimmen.

Diese Interpretation jedenfalls passt zur Erklärung der Innenverwaltung. „Im Zuge der Erarbeitung des Zwischenberichtsentwurfs wurden innerhalb der Abteilung II (Verfassungsschutz) methodische Mängel festgestellt, sodass andere Organisationseinheiten der Abteilung II noch beteiligt werden mussten.“ Die Erkenntnisse seien nach den für den VS geltenden Standards nicht angemessen bewertet worden. Entscheidende Gesichtspunkte seien nach Auffassung eines anderen Referats (Grundsatzreferat) nicht hinreichend berücksichtigt worden.

Ohnehin sei es für eine abschließende Bewertung, wie sie der geleakte Bericht praktisch vornimmt, „zu früh, da noch die Prüfung des Bundesamtes für Verfassungsschutz zur Gesamtpartei abgewartet werden muss“, heißt es in der Mitteilung der Innenverwaltung.

Geisels Behörde will unterdessen gegen das Leaken des Berichts Anzeige erstatten. Da der Zwischenbericht in die Öffentlichkeit gelangt ist, werde man Strafanzeige gegen unbekannt wegen des Verdachts des Geheimnisverrats stellen, heißt es in der Mitteilung – „unabhängig davon werden wir personelle Konsequenzen in dem betroffenen Bereich der Abteilung II ziehen“.

Niklas Schrader (Linke) geht davon aus, dass es von Sympathisanten der AfD geleakt wurde

Das dürfte sich insbesondere auf den Referatsleiter des Bereichs Rechtsextremismus beziehen, der bei Be­ob­ach­te­r:in­nen als Maaßen-Kaliber gilt und auch im Brief an die AfD-Abgeordneten erwähnt wird – er würde nun als neutraler Beobachter in die Wüste geschickt. Laut dem Entwurf haben neun Mit­ar­bei­te­r:in­nen an diesem mitgearbeitet.

Grüne fordern Aufarbeitung, Linke kritisiert VS

June Tomiak von den Grünen kommentierte: „Es ist erschütternd, dass aus dem Berliner Verfassungsschutz ein als vertraulich eingestufter, vorläufiger Zwischenbericht an die AfD weitergegeben wurde und nun von ihr instrumentalisiert wird.“ Durch den Vorgang werde das ohnehin schon angeschlagene Vertrauen in die staatliche Bekämpfung von Rechtsextremismus weiter beschädigt. „Es ist richtig, dass die Innenverwaltung personelle Konsequenzen angekündigt hat und Strafanzeige stellen wird.“ Um Vertrauen zurückzugewinnen, seien eine „schonungslose Aufarbeitung und ein anschließender Neuanfang“ nötig.

Am Berliner Kammergericht wird am Freitag der Rechtsstreit über das Ende der Parteimitgliedschaft des früheren Brandenburger AfD-Chefs Andreas Kalbitz fortgesetzt. Kalbitz war gegen eine Entscheidung des Landgerichts vom vergangenen August in Berufung gegangen. Dieses hatte damals seinen Eilantrag gegen die AfD zurückgewiesen und entschieden, dass nach im Eilverfahren anzuwendenden Maßstäben nicht festgestellt werden könne, dass der Beschluss des AfD-Bundesvorstandes vom 15. Mai 2020 zur Beendigung der Mitgliedschaft von Kalbitz evident rechtswidrig gewesen sei.

Der Bundesvorstand der AfD hatte die Parteimitgliedschaft von Andreas Kalbitz Mitte Mai vergangenen Jahres annulliert, weil er seine vorherigen Mitgliedschaften in rechtsextremen Organisationen verschwiegen haben soll. (epd, taz)

Niklas Schrader von der Linkspartei ist überzeugt, dass das Dokument direkt aus dem Verfassungsschutz an die AfD gegangen ist. Jedenfalls sei das Papier nicht einmal in den VS-Ausschuss des Parlaments gelangt. Er geht davon aus, dass es von Sympathisanten der AfD geleakt wurde. Der Vorgang belege, dass auch im Berliner VS noch immer Verharmloser säßen. Mit dem Durchstechen habe sich die Behörde erneut selbst diskreditiert. Es sei schwierig, eine solche Behörde zum Schiedsrichter über Demokratiefeindlichkeit zu machen. „Dass es verfassungsfeindliche Bestrebungen in der AfD gibt, ist bekannt. Um das einzuschätzen, brauchen wir nicht den Verfassungsschutz“, sagt Schrader.

Natürlich gebe es AfD-Abgeordnete wie Thorsten Weiß, die im Flügel aktiv seien. Auch merke man im Parlament und in den sozialen Medien, dass der Berliner Landesverband die Rhetorik des Flügels immer mehr übernehme, sagt Schrader. Die vergangenen Monate hätten zudem gezeigt, dass AfDle­r:in­nen auch bei Querdenkern mitgelaufen seien, dort menschenfeindliche Positionen und Antisemitismus mittrügen. Die Demokratie schützen könne allerdings nicht der VS, sondern nur der gesellschaftliche Ausschluss der AfD, sagt Schrader: „Wir müssen sie gesellschaftlich und parlamentarisch ausgrenzen.“

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.