Äußerungen von Berlins Ex-Finanzsenator: Sarrazin besteht Rassismustest
Ein Gutachten wirft dem Ex-Finanzsenator vor, sich rassistisch geäußert zu haben und Propaganda der Nazis zu verbreiten. SPDler fordern seinen Partei-Ausschluss.
Die parteiinternen Kritiker von Ex-Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) rüsten auf: In dem laufenden Parteiausschlussverfahren haben die SPD-Vorstände aus Spandau und Alt-Pankow ein Gutachten zu Sarrazins umstrittenem Interview mit dem Magazin Lettre International vorgelegt. Sarrazins Aussagen "sind in zentralen Passagen eindeutig als rassistisch zu betrachten", schreibt Gideon Botsch vom Moses-Mendelssohn-Zentrum der Universität Potsdam in der 21-seitigen Analyse, die der taz vorliegt.
Seit Mai 2009 sitzt der Ex-Finanzsenator im Vorstand der Bundesbank, im Oktober sorgte er mit dem Interview noch einmal bundesweit für großes Aufsehen. Er klassifizierte darin einzelne Gruppen: Vietnamesen und Osteuropäer "passen sich schnell an und haben überdurchschnittliche akademische Erfolge", Deutschrussen haben "noch eine altdeutsche Arbeitsauffassung", Juden haben "einen um 15 Prozent höheren IQ", bei den Türken und Arabern seien dagegen "große Teile weder integrationswillig noch integrationsfähig". Viele von ihnen hätten "keine produktive Funktion, außer für den Obst- und Gemüsehandel".
Sarrazins Vorstandskollegen bei der Bundesbank rügten ihn für das Interview und entzogen ihm außerdem die Zuständigkeit für den Bereich Bargeld. Die SPD-Gliederungen Spandau und Alt-Pankow beantragten Sarrazins Parteiausschluss. In der ersten Instanz scheiterten sie damit allerdings vor der Schiedskommission des Bezirkes. Jetzt geht es in die nächste Instanz auf Landesebene.
Laut SPD-Statut ist ein Parteiausschluss oder eine Rüge gegen einen Genossen möglich, der gegen die Grundsätze der Partei verstößt. Rassistische Äußerungen sind mit den SPD-Grundsätzen nicht zu vereinbaren, argumentieren die Spandauer und Pankower Genossen. Das Gutachten kommt zu dem Schluss, Sarrazins Aussagen dienten der "bewusst als Tabubruch inszenierten Konstruktion und Mobilisierung von Vorurteilen". Sarrazins Forderungen - etwa, bestimmte Migranten langfristig von allen Sozialleistungen auszuschließen - würden "in dieser Radikalität sonst nur von antidemokratischen, rechtsextremen Parteien erhoben".
Das Gutachten wirft Sarrazin außerdem vor, er verbreite eine "nationalsozialistische Propagandabehauptung", als er in dem Interview erklärt habe, dass in der Weimarer Republik 30 Prozent aller Ärzte Juden gewesen seien - dies stimme schlicht nicht. Auch der Einzelhandel sei nicht, wie Sarrazin verkündet habe, "großenteils in jüdischem Besitz" gewesen. Die Nationalsozialisten hatten diese Behauptungen aufgestellt, um damit den hohen Einfluss von Juden zu belegen - tatsächlich habe nach Schätzungen lediglich jedes zehnte Einzelhandelsgeschäft einem Juden gehört.
Der Vorsitzende der SPD Spandau, Raed Saleh, findet Sarrazins Äußerungen unerträglich: "Wir sollten es nicht dulden, wenn Parteimitglieder sich so rassistisch äußern und sozial Schwächere herabsetzen." Die SPD sei die Partei, die Menschen nicht abschreibe, sondern für ihre Aufstiegschancen kämpfe. "Wenn jemand von der CDU sich so wie Sarrazin äußern würde, würden wir das zu Recht scharf verurteilen", sagt Saleh. Er findet: "Unrecht bleibt Unrecht, egal von wo es kommt."
Sarrazins Aussagen "geben Zeugnis abschreckender beschimpfender Sprachgewalt", heißt es auch in dem Schreiben von Jens Peter Franke, Vorsitzender der SPD Alt-Pankow, an die Landesschiedskommission. In Sarrazins Aussagen würden "Denkmuster und Grundüberzeugungen offenbart, die menschliches Leben nicht als Wert an sich, sondern wie einen wert- und würdelosen Gebrauchsgegenstand begreifen". Dies führe "zum schweren Schaden der SPD". Franke kritisiert darüber hinaus auch die eigenen Reihen: "Die Berliner SPD jedoch hat zu lange zum Verhalten des Antragsgegners geschwiegen" - dies "können und werden wir nicht länger hinnehmen".
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