piwik no script img

Archiv-Artikel

Äthiopien: Die Unruhe nach dem Sturm

Nach einer Woche der Gewalt in Addis Abeba zwischen Staat und Opposition mit mindestens 46 Toten befürchtet der UN-Sicherheitsrat nun auch einen neuen Krieg zwischen Äthiopien und Eritrea. Scharfe Kritik an europäischen Regierungen

VON DOMINIC JOHNSON

Äthiopiens Regierung ist ein Lieblingspartner Europas in Afrika. Sein Premierminister Meles Zenawi saß in Tony Blairs „Kommission für Afrika“, die im Frühjahr weitreichende Reformvorschläge für den Kontinent vorlegte, und ist dieser Tage Gast von Bundespräsident Horst Köhler und dessen „Partnerschaft für Afrika“. Aber in Äthiopien selbst herrschen neuerdings Gewalt und Kriegsangst.

Mindestens 46 Menschen kamen vergangene Woche bei blutigen Zusammenstößen zwischen Oppositionsanhängern und Sicherheitskräften in der Hauptstadt Addis Abeba ums Leben. Am Freitag dehnten sich die Auseinandersetzungen auf andere Städte aus. Oppositionelle versuchten in der nördlichen Stadt Bahar Dar, einen Bus voller Touristen in Brand zu stecken.

„Stoppt das Töten von Äthiopiern, die an die Demokratie glauben“, schrieb die Chefin der EU-Wahlbeobachterkommission in Äthiopien, Ana Gomes, in einem bitteren Brief an europäische Regierungen. „Äthiopien ist von europäischer Hilfe abhängig und ist der größte Empfänger in Afrika. Europa könnte den Ausschlag geben zugunsten von Demokratie in Äthiopien. Stattdessen entscheiden sich europäische Führer, zu versagen.“

Hintergrund der Proteste ist die umstrittene Parlamentswahl vom 15. Mai. Dabei hatten Oppositionelle zwar zum ersten Mal in der Geschichte Äthiopiens gut abschneiden können – die regierende ehemalige Befreiungsbewegung EPRDF (Revolutionäre Demokratische Front des Äthiopischen Volkes) erhielt nur noch 327 von 547 Sitzen, und das Oppositionsbündnis CUD (Koalition für Einheit und Demokratie) gewann in der Hauptstadt Addis Abeba haushoch. Doch die Opposition sagt, ohne Wahlbetrug hätte die EPRDF ganz verloren. Bereits im Juni wurden Proteste gegen das Wahlergebnis in Addis Abeba blutig niedergeschlagen.

Ende Oktober rief die CUD zu einem Stufenplan des zivilen Ungehorsams auf: seit Montag letzter Woche Streik und Hupkonzert in der Hauptstadt, ein Verbraucherboykott gegen Firmen der Regierungspartei und ab 14. November Generalstreik. Als Polizisten in der Hauptstadt am vergangenen Montag Taxifahrer verhafteten, die sich am Hupkonzert beteiligten, gingen Oppositionelle auf die Straße. Am Dienstagabend wurde die komplette CUD-Führung festgenommen. Am Mittwoch breitete sich in ganz Addis Abeba Gewalt aus. In der Nacht danach gab es Massenverhaftungen – nach Oppositionsangaben über 3.000 Festnahmen im ganzen Land.

Die Opposition rief ihre Anhänger auf, keine Gewalt mehr anzuwenden. Mit Granaten und Macheten sei die Polizei angegriffen worden, sagte Meles jedoch am Wochenende und versprach eine „unabhängige Untersuchung“, um festzustellen, ob die Sicherheitskräfte „exzessiv Gewalt“ angewandt hätten.

Die Woche der Gewalt fällt in eine kritische Zeit für die Region. Ein neuer Grenzkrieg droht zwischen Äthiopien und Eritrea – der letzte von 2000 bis 2002 forderte 80.000 Tote. Der UN-Sicherheitsrat äußerte am Donnerstag seine „tiefe Sorge“ über die Lage und schickte einen Sonderbotschafter nach Eritrea.

Die 3.300 Mann starke UN-Blauhelmmission an der äthiopisch-eritreischen Grenze wird seit Wochen von Eritrea behindert. Sie ist laut ihrem Chef Joseph Legwaila „fast nutzlos“ geworden. Eritrea hat den UN-Truppen Hubschrauberflüge und Bodenbewegungen abseits der Hauptstraßen verboten. 18 von 40 UN-Posten in der UN-überwachten Pufferzone zwischen beiden Ländern mussten daraufhin geräumt werden. Die UNO konstatierte letzte Woche Truppenbewegungen auf beiden Seiten der Grenze.

Die eritreische Eskalation ist die Reaktion darauf, dass Äthiopien einen Schiedsspruch des Internationalen Gerichtshofs in Den Haag zum Grenzverlauf nicht akzeptiert. Darin werden nämlich mehrere umstrittene Grenzabschnitte Eritrea zugeschlagen, obwohl Eritrea den Krieg gegen Äthiopien 2002 verloren hatte. Für Premierminister Meles, der mit der Zulassung der Sezession Eritreas Anfang der 90er-Jahre äthiopische Nationalisten verärgert hatte, wäre eine Hinnahme dieses Schiedsspruches innenpolitisch fatal. Das weiß auch die äthiopische Opposition, die deswegen jetzt auf eskalierende Proteste setzt.