Ärztekogress zur Abtreibung: Den Gegnern die Stirn bieten
Häufig werden Mediziner angefeindet, weil sie Abtreibungen durchführen. Viele sind deswegen verunsichert. In Berlin diskutierten jetzt 600 Experten, wie sie damit umgehen sollen.
BERLIN taz Es ist ein Kampf um die Deutungshoheit. "Die Leute, die den Abbruch durchführen, sind gute, ehrliche, moralische Bürger", ruft Ann Furedi aus London ins Auditorium. Die 600 AbtreibungsexpertInnen applaudieren der kurzhaarigen Mittvierzigerin. Die Mediziner, Berater und Juristen sind aus 44 Ländern ins Berliner Charité-Krankenhaus gekommen, um ihre Erfahrung auszutauschen, und nicht, um sich für ihre Arbeit zu schämen. Sie glauben nicht, dass sie Verwerfliches tun - aber sie stehen unter dem Druck ihrer Gegner, die mit den Mitteln der Moral und des Strafrechts gegen die Abtreibungsärzte kämpfen.
So wie die drei Demonstranten, die am Samstag Nachmittag vor der Tür des Tagungshauses rufen: "Abtreiber raus aus Deutschland!" Ihre Stoßrichtung ist klar: Abtreibungen sind mindestens so schlimm wie der organisierte Massenmord der Nationalsozialisten. "63 Jahre nach Auschwitz", heißt es auf einem Flugblatt, treffen sich "Abtreiber aus aller Welt", um "ihre teuflischen Erfahrungen auszutauschen". Zwei der Demonstranten tragen Plakate mit grellen Farbfotos abgetriebener Föten. Sie berufen sich auf das Grundgesetz, aber auch auf "Gottes Recht", dass sich die Abtreibungsfachleute "anmaßen" würden.
Gabriele Halder kann ein Lied von den Anfeindungen singen. Die Berliner Frauenärztin hat den achten Kongress der Vereinigung von Fachkräften und Verbänden zu Schwangerschaftsabbruch und Kontrazeption (FIAPAC) mitorganisiert. Doch seit kurzem läuft gegen sie ein Verfahren. Im Internet soll sie für den Abbruch geworben haben - das ist in Deutschland verboten. Abtreibungsgegner hatten die Textpassage gefunden und angezeigt. Halder muss jetzt den Ermittlern Rede und Antwort stehen. Sie selbst hat sich an die Angriffe gewöhnt, klagt aber, dass bei vielen Kollegen eine "gefühlte Rechtsunsicherheit" herrsche.
Auch in anderen europäischen Ländern halten die Regelungen zu Fristen und Abbruchsgründen zahlreiche Fallstricke bereit. In vielen Präsentationen geht es entsprechend um Rechtsfragen. Was wird mit dem holländischen Mädchen geschehen, das in Spanien eine Spätabtreibung vornehmen ließ und dafür in Holland festgenommen wurde? Was droht dem spanischen Arzt, der auf einem Abtreibungsboot in internationalen Gewässern vor Valencia operierte? Zudem vergleichen die Mediziner in Arbeitsgruppen Vor- und Nachteile des chirurgischen und des medikamentösen Abbruchs, diskutieren über Betreuung von Migrantinnen und projizieren Zahlen an die Wand.
Am Morgen hatten die Demonstranten noch Friedrich Stapf ins Tagungshaus ziehen lassen müssen. Der Münchner Arzt ist der Intimfeind aller Abtreibungsgegner. 1998 zog er vor das Bundesverfassungsgericht, weil ein bayerisches Gesetz ihm verbot, mehr als ein Viertel seiner Einkünfte aus Abtreibungen zu erzielen. Er bekam recht. Nun stehen Tag um Tag Abtreibungsgegner vor seiner Praxis und sprechen seine Patientinnen an. "Ich kriege immer wieder die Wut, wenn die Frauen so verstört, wütend oder traurig in die Praxis kommen, dass kein Gespräch möglich ist", sagt Stapf.
Auch Ann Furedi ist wütend, dass so wenige Abtreibungsgegner es schaffen, Ärzte rechtlich und moralisch in die Defensive zu drängen. Die Chefin von Großbritanniens größtem Abtreibungsanbieter kämpft seit mehr als 20 Jahren für die uneingeschränkte Wahl der Frauen. Entsprechend energisch entwirft sie am Rednerpult sechs Strategien. "Seien wir bereit, unpopuläre Schlachten zu schlagen", lautet eine, "Seien wir ehrlich, dass Abtreibung nicht verhindert werden kann", eine andere.
Ihre wichtigste Botschaft aber ist eine Warnung: "Wenn wir zulassen, dass die Abtreibungsgegner unsere Arbeit an den Rändern anknabbern, überlassen wir ihnen das Feld." Da klatschen ihre Kolleginnen und Kollegen begeistert.
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