Änderungen in der Altersvorsorge: Ruhestand mit Risiko
Das Bundesfinanzministerium schafft den Garantiezins in der Lebensversicherung ab. Die private Rente wird noch unsicherer.

Damit gibt Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) der Branche das Signal, bei Lebensversicherungen künftig keine Mindestverzinsung mehr zu garantieren. Für Verbraucher fällt damit etwas ganz Entscheidendes weg: der Inflationsschutz. Bereits abgeschlossene Verträge sind davon nicht betroffen.
Das heißt, wer in Zukunft eine private Rentenversicherung abschließt, wird mit weniger Einkünften im Alter kalkulieren müssen. Bei den klassischen Policen – Rentenversicherungen sind eine Form der Lebensversicherung – können Kunden dank Garantieverzinsung genau ausrechnen, wie viel Geld sie später mindestens im Monat bekommen. Angesichts der von Rot-Grün 2001 erheblich gekürzten Renten sind Millionen auf eine zusätzliche Altersvorsorge angewiesen. Viele entscheiden sich für eine private Rentenversicherung, weil durch die Garantieverzinsung der Wert ihres Geldes zumindest auf dem Niveau der Inflation erhalten bleibt. Die Höhe des Zinses hängt vom Kapitalmarktumfeld ab, zurzeit liegt sie bei 1,25 Prozent. Die Garantieverzinsung wird vom Bundesfinanzministerium festgelegt.
Darauf will das Ministerium ab 2016 bei großen Unternehmen verzichten. Den Garantiezins gibt es seit Jahrzehnten. Ursprünglich wollte die Politik mit der Festlegung des Garantiezinses verhindern, dass Versicherer sich gegenseitig in festen Zusagen überbieten und sich so ruinieren. Daher wird der Zins auch „Höchstrechnungszins“ genannt. Heute ist der Sinn ein anderer: Der Garantiezins schafft die Grundlage für die sichere Kalkulation der Altersvorsorge.
„Der Sargnagel für die klassische Lebensversicherung“
Die Bundesregierung begründet den Wegfall mit dem Inkrafttreten der europäischen Richtlinie „Solvency II“. Sie erlaubt Versicherern, beim Spekulieren größere Risiken einzugehen, solange sie gleichzeitig ihre Rücklagen aufstocken. Die Gesellschaften können auch weiterhin Garantien geben, sagte eine Sprecherin des Bundesfinanzministeriums.
Doch das werden immer weniger tun. „Der Wegfall des Garantiezinses ist der Sargnagel für die klassische Lebensversicherung“, sagt Dirk Ulbricht vom Verbraucherschutzverein Bund der Versicherten. Ulbricht geht davon aus, dass die Versicherer Policen mit Garantien durch Verträge ersetzen werden, bei denen Kunden das Kapitalmarktrisiko tragen.
Allianz, Axa, Ergo, Generali und andere Große haben damit längst begonnen. Einige bieten nur noch Verträge ohne verbindliches Verzinsungsversprechen an. Sie ködern Kunden mit der Aussicht auf eine höhere Ausschüttung – von der niemand weiß, ob es sie geben wird. Diesen Gesellschaften kommt die Quasi-Abschaffung des Garantiezinses durch die Bundesregierung entgegen. Manche Manager wollen trotzdem am alten Modell festhalten. Der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft sieht die Abschaffung denn auch kritisch.
Nutzen wird der Branche das Aus auf jeden Fall. Denn nun kann sie sich auf ein lukratives Schlussverkaufsgeschäft für Garantieverträge bis zum Ende des Jahres freuen. Verbraucherschützer Ulbricht warnt davor, der Kampagne auf den Leim zu gehen. Die Policen sind viel zu teuer, sagt er: „Die Garantieverzinsung reißt das auch nicht raus.“
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Soziologische Wahlforschung
Wie schwarz werden die grünen Milieus?
Streit um tote Geiseln in Israel
Alle haben versagt
Nach Absage für Albanese
Die Falsche im Visier
Nach Taten in München und Aschaffenburg
Sicherheit, aber menschlich
Treibhausgasbilanz von Tieren
Möchtegern-Agrarminister der CSU verbreitet Klimalegende
Ägyptens Pläne für Gaza
Ägyptische Firmen bauen – Golfstaaten und EU bezahlen