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ÄUSSERE INAUGENSCHEINNAHME

■ Duftende Pässe und Polaroid-Ganzkörperphotos bei einer Polizei-Razzia nach jungen Thailänderinnen

Fünf „Trupps“, insgesamt 75 Frauen und Männer, darunter eine Reihe von Beamten der „Arbeitsgemeinschaft gezielter Ausländerüberwachung“ - kurz AGA - werden in dieser Nacht eingesetzt. Nur ein Teil der Männer ist in Uniform. Alle anderen sind als „Touristen“ verkleidet. Sie tragen größtenteils legere, kurzärmelige Hemden und helle Hosen aus Baumwolle. Sie sehen aus, als kämen sie gerade selbst vom Urlaub aus Bangkok.

Während der junge Mann im Polizei-Revier vor versammelter Mannschaft die näheren Einzelheiten erklärt, ist das Schicksal vieler in diesem Augenblick anschaffender Thailänderinnen besiegelt. Heute nacht werden sie geschnappt und nach Thailand zurückgeschickt.

Der Mann erläutert mit markiger Stimme die jeweiligen Aufgaben an den „Orten der Prostitutionsausübung“, etwa die „äußere Inaugenscheinnahme, ob der Betrieb geöffnet ist“, oder die „schriftlichen Arbeiten des Objekts“, oder daß von den angetroffenen, ausländischen Prostituierten ein „Polaroid-Ganzkörper-Foto im ursprünglichen Bekleidungszustand“ genommen werden muß.

Die grün-weißen Einsatzwagen stehen bereit. Noch kennt keiner der fünf „Trupps“ seinen Einsatzort. Sie werden per Funk mitgeteilt. „Es wird bis zur Abfahrt gewartet, damit sich der Ort nicht vorher herumspricht“, erläutert einer der Männer. Nach etwa einer halben Stunde Warten wird die Gruppe zu einer Wohnung in den Wedding geschickt.

Das Unternehmen entpuppt sich als Fehlschlag. Acht deutsche Frauen, aber keine einzige Thailänderin. Nachdem deren Personalausweise überprüft sind, fährt die Gruppe zur „Befehlsstelle“, wo man sich - weil der nächste Einsatzort noch nicht bekannt ist - die kommende halbe Stunde mit Cola und Fanta vertreibt.

Schließlich geht es zu einer Parterre-Wohnung ebenfalls im Wedding. Vier Männer laufen vor und klingeln. Eine kleine, thailändische Frau in schwarzem Minikleid macht auf und läßt sie herein. Die Frauen und die uniformierten Beamten der Gruppe warten eine Weile, dann kommen sie nach.

Der Gang hinter dem Eingang ist eng und rot beleuchtet. An den Wänden hängen schwarze Fächer und kitschige Fotos von nackten Thailänderinnen. In einem der winzigen, ebenfalls rot beleuchteten Zimmer ist ein etwa 50jähriger deutscher Mann auf einem Doppelbett mit einer jungen Thailänderin zugange. Als die Tür aufgeht und das Stichwort Polizei fällt, springen beide auf. Die Frau will sich anziehen. Einer der Männer gebietet ihr Einhalt. Sie darf sich lediglich ein Badetuch umlegen. Dann wird das obligatorische Foto von ihr gemacht. Die Frau sieht finster zu Boden. „Do you speak English, French?“ Sie schüttelt den Kopf. Der Polizeimann sagt: „Ja, ja. Nur International.“ Sie zieht sich ein schwarz-weiß gestreiftes T-Shirt und eine Gymnastikhose an.

Schweigend warten die Frauen darauf mitgenommen zu werden. Die Polizeigruppe inspiziert die gesamte Wohnung. Außer den beiden Frauen und dem Freier, der inzwischen gehen durfte, war jedoch keiner da.

Am Ende des Ganges liegt eine schmuddelige Küche. Dort wurde eine zweite Decke eingezogen. In der Ecke führt eine Leiter hoch in eine Art Verschlag. Es ist der einzige „Raum“, in dem nicht rotes sondern normales Licht brennt. Neben einer Matratze steht dort ein kleiner Rahmen mit einem Foto von einer älteren thailändischen Frau, wahrscheinlich die Mutter einer der beiden. Außerdem liegen da ein Kassettenrekorder und ein paar Kassetten mit thailändischer Schlagern. Es sind die einzigen Gegenstände in der Wohnung, die daran erinnern, daß die beiden Frauen nicht nur Prostituierte sind.

„Und jetzt nach nebenan“, ruft einer der Männer. Sie gehen ins Nachbarhaus und klingeln in der ersten Etage. Ein höchstens 13 Jahre alter blonder Junge, bekleidet in einer Pyjama-Hose, macht auf. In der Hand hält er eine Zigarette. Fragend sieht er die Männer an. Als diese ihm sagen, sie seien von der Polizei, will er sofort die Tür wieder schließen und ruft: „Ich darf keine fremden Menschen hereinlassen.“ Die Männer drücken jedoch die Tür auf. „Zeigen Sie mir erst Ihren Hausdurchsuchungsbefehl“, ruft der Junge. „Ich will Ihre Dienstnummer sehen.“

In der Wohnung läuft Fernsehen. Auf der Erde liegen zwischen Wäsche und Kleidungsstücken Kartoffelchips, leere Bierbüchsen und Kippen. In einem Zimmer stehen vier zerwühlte Betten nebeneinander. Daneben befindet sich ein Regal mit etwa 40 Paar hochhackiger Schuhe. Überall stehen überquillende Aschenbecher.

Die Männer fragen den Jungen. „Wo sind deine Eltern?“ Dieser gibt sich selbstsicher: „Weg.“ „Wo sind sie hingegangen?“ „Weiß ich nicht.“ „Wie heißt dein Vater?“ Der Junge sagt einen Namen. „Wie heißt deine Mutter?“ „Äh ... die hat so einen komischen Namen.“ „Sieh mal an,“ erwidert der Beamte, „du weißt so gut Bescheid, wie man mit der Polizei umgeht. Aber den Namen deiner Mutter, den kennst du nicht? Aus welchem Land kommt sie denn?“ „Woher soll ich das wissen. Aus Indien oder so.“ Die Männer packen ihre Formulare wieder ein. „Paß mal auf Kleiner, wenn dein Vater kommt, dann sag‘ ihm doch bitte, er soll das Gepäck der beiden Frauen ins Gefängnis bringen.“ Erstmals guckt der Junge verschreckt.

Auf dem Weg zurück zur Bordell-Wohnung sagt einer der Männer: „Der Vater ist gerade zum 'Einkaufen‘ nach Thailand gefahren.“ Unten sitzen inzwischen alle im Polizeiwagen. Die Stunde des AGA-Beamten ist herangerückt. Er ist älter als die anderen, ein wenig fettlich, trägt als einziger Krawatte und hat unaufhörlich eine brennende Zigarette zwischen den Fingern. Auf einem kleinen Tisch im Polizeiwagen hat er mehrere Arten von Formularen ausgebreitet. Er überträgt die Daten aus den roten Pässen der beiden Frauen in die Formulare und füllt dort noch irgendwelche andere Daten ein. Nach jedem ausgefüllten Formular kommt ein neues an die Reihe, das es auszufüllen gilt. Mal steht der „Betrieb“ oben, in dem die Prostituierte angetroffen wurde, und ihr Name unten; mal der Name der Prostituierten oben und der des Betriebs unten. „Der Inhalt der Formulare ist unterschiedlich arrangiert,“ sagt der AGA-Beamte.

Die beiden Thailänderinnen sitzen eng nebeneinander. Eine bittet in Fingersprache darum, ihre Tasche zu holen. Einer der Männer geht daraufhin zurück in die Wohnung und kommt mit der Tasche wieder. Es ist das erste Mal, daß die Frau lächelt. Sie sagt: „Danke schön.“ Nach einer halben Stunde hat der AGA-Beamte alle Formulare ausgefüllt. Die Gruppe fährt zum „Polizei-Gewahrsam“. Während der Fahrt guckt niemand zu den beiden Frauen. Alle sehen ostentativ an ihnen vorbei.

Kaum angekommen verschwinden die beiden in einer Sammelzelle. Die Polizeigruppe sieht sie von jetzt an nicht mehr. Trotzdem sagt einer der Männer: „Ihr bearbeitet jetzt die Türöffnerin, wir bearbeiten die mit dem Mann im Bett.“ Alle verteilen sich auf zwei kleine Büros und beginnen damit, Formulare auszufüllen.

Währenddessen unterhalte ich mich mit Kriminalrat Stolz. Er zeigt mir die sogenannten „thai-deutschen Papiere“, die heute Abend zum ersten Mal angewandt werden. Es sind die einzigen Formulare in thailändischer Sprache. Darauf können sie ankreuzen, ob sie Hilfe brauchen, weil sie zur Prostitution gezwungen werden. Wenn ja, bekommen sie ein zweites Schreiben. Darin steht auf Thailändisch, daß man sie zu „einem sicheren Ort“ - z.B. einem Frauenhaus - bringen wird. Mit unverkennbar deutsch-bürokratischem Einschlag heißt es weiter: „Dort versteht wahrscheinlich niemand Ihre Sprache. Bitte bleiben Sie dort, verhalten Sie sich ruhig und warten Sie, bis eine deutsche Behörde o.ä. mit einem thailändischen Dolmetscher zu Ihnen kommt, um Ihnen zu helfen.“

Auf allen Schreibtischen liegen rote thailändische Pässe. Eine Gruppe hat elf Frauen mitgebracht. „Die duften richtig. Riechen Sie mal,“ sagt ein Beamter und hält mir den Paß unter die Nase.“ Er riecht nach Räucherstäbchen. Immer wieder gucken sich Leute die Photos von den halbnackten Frauen an. „Wahnsinn. ... Oh ein Strandkleid.“ Aber so richtig zu scherzen oder gar zu sauigeln, traut sich keiner.

Die bürokratischen Standardformulierungen für die Formulare heben die Schicksale auf. Die Frauen sind längst zu Schicksalen geworden. Wir sind jetzt mehr als eine Stunde hier. Zum x-ten mal leiert jemand herunter: „Frau ..., geboren am ... in Bangkok, wurde am ... in der ... Str. während der Ausübung des Geschlechtsverkehrs mit Herrn ... angetroffen.“ Formuliert und ausgefüllt sind inzwischen eine Paßeinzugsbescheinigung, eine Einlieferungsanzeige und eine Strafanzeige. Von allem gibt's mehrere Durchschläge. „Meine Güte,“ sage ich zu einem der herumstehenden Beamten, „eure Arbeit besteht ja zu 90 Prozent aus Warten oder Formularen ausfüllen.“ „Stimmt,“ sagt er. „Das ist nicht so wie bei Schimansky. Das hatte ich mir am Anfang auch anders vorgestellt.“ Der AGA-Beamte erklärt: „Das Landeseinwohneramt arbeitet nach Buchstaben und nicht nach Paragraphen. Die juristische Vorarbeit müssen deshalb wir machen.“

Nachdem endlich alle Formulare ausgefüllt sind, wartet die Gruppe wieder eine halbe Stunde vor dem Einsatzwagen. Dann beschließt einer der Männer, zur Befehlsstelle zu fahren. Auf dem Weg dorthin wird die Gruppe per Funk gefragt: „Wer hat euch den Befehl gegeben, zur Befehlsstelle zu fahren?“ „Keiner, aber unser Objekt ist abgeschlossen.“ Bei der Befehlsstelle angelangt, bekommt man schließlich Befehl, wieder zum Polizeigewahrsam zu fahren und dort auf den nächsten Befehl zu warten.

Beim Polizeigewahrsam kommt der nächste Befehl: ein Riesenpuff in Kreuzberg. Zwei Einsatzwagen sind schon dort, brauchen aber Unterstützung, denn es sind mindestens zehn thailändische Frauen dort.

Elisa Klapheck

Meldestelle 53, Friedrichstraße: Paßfotos kann man sich bei einer Fotografin in der Ausländerbehörde um die Ecke machen lassen. Nur Schwarz-Weiß, was einen Türken enttäuscht. Die Dame hebt ihre rechte Hand, auf die soll man gucken ohne den Kopf aus dem Halbprofil zu wenden. Vorher die Nummer ziehen: 814. Mindestens eine Stunde warten. Es werden drei. Kaffeetrinken gehen bei den Checkpoint-Souvenir-Buden. Mindestens hundert Leute warten im Flur und im zu kleinen Warteraum vor dem Nummerntafeln. Wer nicht da ist bei Aufruf seiner Zahl, hat verloren. Türkenfamilien sind die Könige der Geduld. Kreuzworträtsel, Kinderspielzeug, Kopftücher, in denen sich dämmern läßt. Die „Besuchertoilette“, eine einzige, ist verschissen, und es gibt kein Clopapier. Schlangenstehen auch davor, ebenso vor der einzigen Telefonzelle am Gebäude. „Ich komme was später.“ Bei der Abfertigung endlich fehlt die Geburtsurkunde. Bei den meisten fehlt etwas.

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