ÄLTESTER FUẞBALLCLUB DEUTSCHLANDS: Der Fußball ist zu Hause in Tempelhof
Der älteste noch bestehende Fußballverein Deutschlands kickt in Berlin: BFC Germania aus Tempelhof feiert in diesen Tagen sein 125-jähriges Bestehen.
Ein Wohnviertel in Alt-Tempelhof: einfache, vierstöckige Mietshäuser aus den 30er- und 60er-Jahren. Dazwischen eine unscheinbare Sportanlage. Auf dem Kunstrasen trainieren ein paar Jugendliche, dribbeln um Hütchen – wie vielerorts in Berlin. Ein üblicher Fußballklub, würde man denken.
Blickt man aber in die Schaukästen am Vereinsgelände, wo die nächsten Trainingstermine der Senioren- und Jugendteams angeschlagen sind, steht dort beiläufig eine nicht unerhebliche Information: „Germania – ältester Fußballverein Deutschlands“. Dieser Tempelhofer Klub, der BFC Germania, war 1888 der erste deutsche Verein, der sich dem Spiel mit dem ledernen Rund widmete und bis heute besteht.
Am vergangenen Montag wurde Germania 125 Jahre alt, es gab eine kleine Feier im Rathaus Schöneberg. Während der Verein bis zum Ersten Weltkrieg sportlich erfolgreich war und eine wichtige Rolle für die Verbreitung des Fußballsports in Deutschland spielte, ist er heute nicht mehr von sportlicher Bedeutung. Das Team kickt in der Kreisliga B, der Verein zählt etwa 300 Mitglieder.
Aber diesen einen inoffiziellen Titel kann ihnen keiner nehmen. „Der HSV hatte auch mal für sich beansprucht, der erste deutsche Verein gewesen zu sein“, sagt der Germania-Vorsitzende Heinz-Dietrich Kraschewski. „Aber der Deutsche Fußball-Bund hat offiziell eine Entscheidung gefällt, dass uns niemand den Anspruch wegnehmen kann“, sagt er. Kraschewski, graue Haare, grauer Bart, Berliner Akzent, ist seit 50 Jahren im Klub. „Streit gab’s nicht darum, wir wollten es nur wissen.“
Es passt ins Bild, dass Germania sich heute so unprätentiös gibt. Der Klub kommt in erster Linie seiner sozialen Funktion nach: den Menschen aus dem Kiez eine Heimat zum Kicken zu geben. „Wenn die Gründer damals eine Idee von Gemeinschaft und Zusammenleben durch den Fußball entwickeln wollten, so ist diese Idee auch heute zu erkennen“, sagt Thomas Schneider, Sporthistoriker und Germania-Chronist.
Kurze Hosen waren unanständig
Auf dem Tempelhofer Feld begann alles: Zwischen Manteuffelstraße und Schöneberger Straße im heutigen Alt-Tempelhof sollen damals die Ersten gespielt haben. „Schüler und Studenten haben sich zusammengetan, um Fußball nach den bestehenden englischen Regeln zu spielen“, erzählt Kraschewski. Zum damaligen Status des Fußballs sagt Schneider: „Die wurden ja schräg angeguckt. Die gingen mit kurzen Hosen aufs Feld und in die Öffentlichkeit, das war höchst unanständig.“ Man könne sie durchaus mit den Skatern und Streetballern in den 80ern und 90ern des 20. Jahrhunderts vergleichen.
In den Anfangsjahren war das neu gegründete Team durchaus erfolgreich: Erst wurde Germania (inoffizieller) deutscher Fußballmeister vor der Gründung des DFB. Dann brachten sie mit Fritz Baumgarten den ersten Nationaltorwart hervor. Der vielleicht größere Verdienst des Klubs aber lag in der Verbreitung der Idee des Sports und der Gründung von Verbänden, an denen Germania-Akteure beteiligt waren. Der Spieler Fritz Boxhammer war es etwa, der die Fußballregeln vom Englischen ins Deutsche übersetzte.
Der Vereinsname Germania wird bisweilen nationalistisch interpretiert, doch Chronist Schneider sagt dazu: „Man muss das vor dem Hintergrund des Kaiserreichs sehen. Natürlich gab es dort Nationalstolz, aber der war völlig üblich“, sagt er. „Ich will das nicht verharmlosen, aber es ist ein gängiger Name zu dieser Zeit wie Borussia, Alemannia und Viktoria auch.“ Germania hatte – nach allem, was man weiß – in dieser frühen Phase eine vergleichsweise tolerante Vereinspolitik. Boxhammer etwa sah den Sport als einen „Förderer der Friedensidee“.
1914 war es vorbei mit dem Frieden, nach dem Ersten Weltkrieg blieb der sportliche Erfolg aus. Das schlimmste politische Versagen der Vereinsgeschichte folgte in der NS-Zeit. Germania schloss Juden vom Vereinsleben aus, wie es der nationalsozialistische Deutsche Reichsbund für Leibesübungen forderte. Zum Jubiläum 1938 hob man es als Verdienst hervor, dass man in dieser Hinsicht einer der Ersten war. „Ja, das haben wir leider auch erfahren müssen“, sagt Kraschewski, „das gehört auch zur Geschichte des Klubs.“
Den 60-jährigen Vorsitzenden freut es hingegen, wenn er sich das Gesicht des Vereins heute anschaut. „Wer hier bei uns heute auf den Platz geht, der sieht Leute aus aller Herren Länder Fußball spielen“, sagt Kraschewski. Germania gebe das Bild des Stadtteil gut wieder. Heute spielen im Klub vier Herren- und acht Jugendteams um Punkte.
Derzeit versucht man, den großen Bruder aus England noch für ein Freundschaftsspiel zum Jubiläum zu gewinnen: Der FC Sheffield (von 1857) ist der älteste notierte Fußballverein der Welt. Vielleicht reist das britannische Vorbild ja im Sommer noch an.
Bis dahin muss das erste Herrenteam aber noch gegen Teams wie den VfB Einheit zu Pankow II, Chemie Adlershof oder Concordia Britz II (25.04.2013, 19.30 Uhr) antreten und in der Kreisliga um den Klassenerhalt spielen. Auf dass sportlich wieder bessere Zeiten kommen mögen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Verkauf von E-Autos
Die Antriebswende braucht mehr Schwung
Außenministerin zu Besuch in China
Auf unmöglicher Mission in Peking
Plädoyer im Prozess zu Polizeigewalt
Tödliche Schüsse, geringe Strafforderung
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Warnstreiks bei VW
Der Vorstand ist schuld
Olaf Scholz in der Ukraine
Nicht mit leeren Händen