: Adorno läßt grüßen-betr.: dito
betr.: dito
Die Diskussion in der taz ist unfruchtbar, da es sich zum überwiegenden Teil um beziehungslose Fragmente handelt, die nicht in einem gedanklichen Gesamtkontext stehen. Auf entscheidende Fragen wird keine Antwort gegeben: a) „Worin bestand der Mißgriff des Redakteurs?“,
b) „Wie kommt es dazu?“
a) Der Autor hat das getan, was andere Autoren zuvor in ähnlicher Weise getan haben.
Der Journalismus gleicht sich der Werbung an, um gegen sie beziehungsweise mit ihr zu bestehen. Auch für ihn gilt zunehmend die einfache Regel: „Erzähl eine zusammenhanglose, Aufmerksamkeitserregende Geschichte, die man in 30 Sekunden oder auf den ersten Blick versteht.“ Um die Aufmerksamkeit zu erregen, besteht ein ständiger Bedarf an unverbrauchten Wörtern, die häufig ungeachtet ihres ursprünglichen Sinnes, allein ihrer Wirkung wegen benutzt werden. “...alle Einzelheiten (sind) fertige Klischees, beliebig hier und dort zu verwenden, und allemal völlig definiert durch den Zweck, der ihnen in diesem Schema zufällt“ (Horkheimer/Adorno, Dialektik der Aufklärung, Frankfurt 1969, S. 133). Und: „Die entschlossene Trennung, die den Wortlauf als zufällig und die Zuordnung zum Gegenstand als willkürlich erklärt, räumt mit der abergläubischen Vermischung von Wort und Sache auf“ (a.a.O., S.173)
Der Gesamptprozeß ist somit bekannt: „Technisch so gut wie ökonomisch verschmelzen Reklame und Kuturindustrie“ (a.a.O., S.173). Heute sind wir bereits an der Stelle, an der sich offiziell Werbung als „Kunst“ offenbaren darf (Michael Schirner „Werbung ist Kunst“) und mit den Zeitgeist -Magazinen eine neue, wirtschaftlich erfolgreiche Zeit -Schriften-Gattung an den Markt ging, die in jeder Beziehung der Werbung nacheifert (inszenierende Reportage, Layout usw.).
So vollzog der Autor im Prinzip, was sich in anderen Medien bereits durchsetzte.
b) Der Mißgriff des Autors bestand darin, daß er der nächsten Stufe des Prozesses bereits vorgriff.
Da der Prozeß sich in ungebremster Dynamik präsentiert, die Zahl der Tabu-Verletzungen steigt, unerheblich, ob sich dies in sexistischen, rassistischen oder sonstigen Worthülsen äußert, besteht keine Veranlassung, nicht an seine weitere Entfaltung zu glauben. Eine neue Qualität wird nur jeweils bei den ersten Benutzungen erklommen, bei späteren ist die Wortenergie verbraucht, und die Suche startet von neuem.
Die grundsätzliche Frage, die sich euch wohl stellt, ist: Wollen wir diese Entwicklung fördern und die Eskalation vorantreiben, und haben wir angesichts der sinkenden Auflage überhaupt Alternativen. „Was widersteht, darf überleben nur, indem es sich eingliedert.“ Adorno läßt grüßen.
Christian Seidenabel, Frankenthal
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