Adorno-Preis für Judith Butler: Israelische Orangen
Die Kontroverse um die Verleihung des Theodor-W.-Adorno-Preises an Judith Butler hält an. Die Debatte droht, ihrem Werk die politische Dimension zu nehmen.
„Eine bekennende Israel-Hasserin mit einem Preis auszuzeichnen, der nach dem großen, von den Nazis als 'Halbjude' in die Emigration gezwungenen Philosophen benannt wurde, kann nicht als ein bloßer Fehlgriff gelten.“ Mit drastischen Worten kommentierte der Sekretär des Zentralrats der Juden in Deutschland, Stephan Kramer, die für kommenden Dienstag geplante Vergabe des Theodor-W.-Adorno-Preises der Stadt Frankfurt am Main an Judith Butler.
Die Philosophie Butlers, die sich mit „den Todfeinden des israelischen Staates“ verbündet habe, sei nicht von „ihrer moralischen Verderbtheit zu trennen“. Der Zentralrat kündigte daher an, die Verleihung zu boykottieren.
Das Adorno-Preis-Kuratorium hingegen verteidigte seine Entscheidung. Butler soll wie vorgesehen am 11. September als eine „maßgebliche Denkerin unserer Zeit“ in der Frankfurter Paulskirche mit dem mit 50.000 Euro dotierten Adorno-Preis ausgezeichnet und geehrt werden.
Rufschädigung durch Pauschalkritik
Butler, geboren 1956 in Cleveland im US-amerikanischen Bundesstaat Ohio, ist Professorin für Vergleichende Literaturwissenschaften und Rhetorik an der University of California in Berkely. Sie veröffentlichte 1990 das Buch „Das Unbehagen der Geschlechter“ und gehört seither zu den führenden Gender- und Queertheoretikerinnen der Welt.
Eine Gruppe Intellektueller – unter ihnen Nancy Fraser, Martin Jay, Carolin Emcke oder taz-Autoren wie Micha Brumlik und Diedrich Diederichsen – sehen nun den Ruf von Butler durch die pauschalisierende Kritik an ihrer Person gefährdet. In einer am Montag veröffentlichten Petition begrüßen sie die Entscheidung des Kuratoriums des Adorno-Preises und verteidigen Butler.
Auch Judith Butler selbst hatte zuvor in mehreren Stellungnahmen reagiert. Die Zeit veröffentlichte letzten Donnerstag eine ausführliche Verteidigungsrede der Theoretikerin. Und am Samstag legte Butler in der Frankfurter Rundschau nach. Kramers Kritik nannte sie an dieser Stelle eine „Denunziation“ mit dem Ziel, jede Kritik an Israels Politik „im Keim zu ersticken“.
Mit Verweis auf die eigene jüdische Biografie bezeichnete Butler die Anwürfe gegen sie als „absurd und schmerzlich“. Israel sei nicht alleiniger „Repräsentant der Juden“ und Kritik geboten. Sie verstehe jedoch, dass „insbesondere deutsche Juden sehr abwehrend auf jedwede Kritik am Staate Israel reagierten“.
Innerjüdischer Streit?
In ihrer wortreichen Stellungnahme deutet sie Kramers Vorwurf in einen innerjüdischen Streit über die Rolle Israels um und versucht ihm so die politische Spitze zu nehmen. Der Vorwurf des Antisemitismus gegen Butler ist indes nicht neu. 2006 hatte die Philosophin an der Universität Berkeley die palästinensische Hamas und die libanesische Hisbollah als progressiv und Teil der globalen Linken bezeichnet – rein deskriptiv, wie sie später betonte. Butlers Zitat ging um die Welt.
Zwar lehnt Butler den gewalttätigen Kampf von Hamas und Hisbollah ab. Zu einer Distanzierung von deren politischen Zielen konnte sie sich jedoch nie durchringen. Im Gegenteil. Nach wie vor betont Butler den Antiimperialismus – auch den der Islamisten – als eine gerechte und linke Vorstellung. Niemand habe sie damals gefragt, was denn dieses Linkssein ausmache, sagt Butler heute. Sie hätte ansonsten über die „Notwendigkeit gesprochen, Allianzen zu bilden, um die Armut zu bekämpfen“. Das halten wiederum viele für problematisch.
Denn so wäre es bis zum Bündnis mit islamistischen Terrororganisationen tatsächlich nicht mehr weit. Auch Butlers FürsprecherInnen distanzieren sich von ihr in diesem Punkt. In ihrer Petition sagen auch sie, „Antiimperialismus“ diene oft als „Vorwand für reaktionären Traditionalismus und oft auch Antisemitismus“.
Moralisierende Staatskritik
Irritierend bleibt, warum für Butler die politischen Ziele von Hamas und Hisbollah keiner Erörterung wert sind. Das liegt wohl in ihrer moralisierenden Staatskritik begründet, aus der sich per se die Solidarität mit den Schwachen als Opfer staatlicher Gewalt ergibt. Das treibt groteske Blüten, wenn Butler etwa die homofreundliche Gesetzgebung Israels als Unterdrückungsinstrument gegen die PalästinenserInnen bezeichnet.
Butler engagiert sich auch weiterhin für die 2005 begründete antiisraelische Kampagne BDS („Boykott, Desinvestition und Sanktionen“). Die Gruppe unterstütze sie, da sie gewaltfrei sei. BDS propagiert den kulturellen und wirtschaftlichen Boykott Israels. Die Botschaft: Wer israelische GastdozentInnen ächtet oder auf israelische Orangen verzichtet, verbessere die Lebenssituation in Gaza.
Adorno-Preis hin oder her: Als politische Denkerin wird Butler es künftig ähnlich schwer haben, von Humanisten ernst genommen zu werden – wie Michel Foucault nach seinem undifferenzierten Jubel über die iranische Revolution 1979. Traurig ist das deshalb, weil unzählige KritikerInnen der radikalen Feministin nur darauf gewartet haben, ihrer Philosophie die politische Dimension zu nehmen. Deren Stunde scheint jetzt gekommen.
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