Abtreibungen in Turkmenistan: Kinder kriegen um jeden Preis
Ärzt*innen, die Schwangerschaftsbrüche durchführen, werden jetzt vom Staat massiv unter Druck gesetzt. Ihnen droht der Entzug ihrer Approbation.
Von derartigen Vorfällen berichten Korrespondenten von Radio Asatlyk – des turkmenischen Dienstes vom US-finanzierten Radio Freies Europa – aus mehreren Regionen des zentralasiatischen Staates.
Offensichtlich haben diese drastischen Warnungen in dem Sieben-Millionen-Einwohner*innen-Staat – 90 Prozent der Bevölkerung sind Muslim*innen – bereits den gewünschten Effekt. Frauen, die Ärzte wegen einer Abtreibung konsultieren wollten, würden überhaupt nicht mehr vorgelassen, heißt es. Ohnehin dürfen Mediziner schon jetzt eine Schwangerschaft nur dann abbrechen, wenn der Fötus aufgehört hat zu wachsen oder kein Herzschlag mehr zu hören ist.
2022 und damit sieben Jahre nach der Verabschiedung trat in der ehemaligen Sowjetrepublik ein Gesetz in Kraft, wonach Abtreibungen nur noch in den ersten fünf Wochen vorgenommen werden dürfen, wenngleich ohne medizinische Indikation. Gleichzeitig ist ein Schwangerschaftsabbruch bis zur 22. Woche aus „sozialen“ oder „medizinischen Gründen“ möglich. Dafür braucht es jedoch das Gutachten einer Expert*innenkommission.
Von all dem ist jetzt offensichtlich keine Rede mehr. Ärzt*innen sind alarmiert. Vor allem junge Frauen (die Anzahl ungewollter Teenagerschwangerschaften steigt) greifen bereits zu gefährlichen Methoden. So würden sie sich in mit Wasser versetztes Kaliumpermanganat setzen oder Medikamente konsumieren, die eine Monatsblutung auslösen. Spezielle Abtreibungstabletten (Stückpreis umgerechnet um die 120 Euro) sind kaum aufzutreiben, überdies müssen die Ärzte deren Vergabe akribisch dokumentieren. Einige von ihnen führen Schwangerschaftsabbrüche weiter heimlich durch. Kosten je nach Stadium: Zwischen umgerechnet 450 und 900 Euro – enorme Summen, die viele Turkmen*innen nicht aufbringen können.
Thema bei den UNO
Die jüngsten Verschärfungen werden einige korrupte Ärzt*innen reicher, die Situation vieler Frauen hingegen noch unerträglicher machen. Und es könnte sein, dass sich zeitnah auch die UNO erneut mit diesem Problem befasst.
Nichtregierungsorganisationen hatten bei einem Briefing vor dem UN-Komittee zur Beseitigung der Diskriminierung von Frauen im Januar 2024 Turkmenistan aufgefordert, für Schwangere den Zugang zu Abtreibungen gemäß internationalen Standards sicher zu stellen. Turkmenistan hatte sich der gleichnamigen Konvention der UNO 1997 angeschlossen. Doch offensichtlich scheint das die Staatsführung nicht mehr zu interessieren.
Druck auf Frauen wird in Turkmenistan, eines der abgeschottesten Länder weltweit, auch noch auf andere Art und Weise ausgeübt.Ebenfalls 2022, nur kurz nach der Inthronisierung von Serdar Berdimuhamedow als Staatspräsident (er löste seinen Vater nach 15jähriger Herrschaft ab) wurden Regeln für das äußere Erscheinungsbild von Frauen erlassen. Zur Begründung hieß es, dadurch solle ausländischen Trends begegnet werden, die turkmenischen Werten zuwider liefen.
So wurden Kosmetik – und Schönheitsbehandlungen, wie beispielsweise Wimpern- und Nagelverlängerungen, Haare färben, Maniküre sowie Lippenfüller verboten. Bei Razzien auf öffentlichen Plätzen wurden beispielsweise Frauen wegen „falscher“ Wimpern festgenommen und mit Geldstrafen von umgerechnet 130 Euro belegt.
Jeans tragen verboten
Dutzende Schönheitssalons mussten schließen, weil ihre Besitzer weder Geldstrafen in Höhe von umgerechnet 250 Euro oder wahlweise 15 Tage Haft riskieren wollten. Auch das Tragen „eng anliegender“ Kleidung, wie Jeans, steht unter Strafe.
Mitarbeiterinnen von Regierungsbehörden oder Betrieben müssen eine Verpflichtungserklärung unterzeichnen. „Wenn ich über das Unternehmen, für das ich arbeite, durch meine Kleidung oder mein Verhalten Schande bringe, indem ich bei der Arbeit oder außerhalb des Büros gegen Regeln verstoße, erkläre ich mich damit einverstanden, von meinem Posten entfernt zu werden“, heißt es dort.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Studie Paritätischer Wohlfahrtsverband
Wohnst du noch oder verarmst du schon?
Armut in Deutschland
Wohnen wird zum Luxus
Ansage der Außenministerin an Verbündete
Bravo, Baerbock!
Bis 1,30 Euro pro Kilowattstunde
Dunkelflaute lässt Strompreis explodieren
Ex-Mitglied über Strukturen des BSW
„Man hat zu gehorchen“