Abtreibung in den USA: Kreuzzug ohne Kompetenz
Die US-Republikaner wollen jede Abtreibung unter jedem Umstand und an jedem Ort verbieten. Vielleicht scheitern sie an der Wirtschaft.
Ein Richter in der texanischen Kleinstadt Amarillo hat entschieden, das Medikament Mifepristone überall in den USA zu verbieten. Matthew Kacsmaryk ist ein Mann ohne Kompetenzen in medizinischen, pharmazeutischen und wissenschaftlichen Fragen. Zugleich ist er einer jener Juristen, die von Donald Trump ins Amt gehievt worden sind und die jetzt die erwartete Gegenleistung erbringen. Kacsmaryk stemmt sich gegen eine Entscheidung der weltweit anerkannten US-Behörde FDA, die zuständig für die Prüfung und Zulassung von Medikamenten und Nahrungsmitteln ist.
Nach sorgfältigen Untersuchungen hatten die Experten der FDA Mifepristone vor 23 Jahren als effizient und sicher anerkannt. Seither haben es Millionen von Frauen für Schwangerschaftsabbrüche benutzt. In den letzten Jahren ist es die wichtigste Methode bei Abtreibungen in den USA geworden.
Amarillo hat den Spitznamen „Bomb-City“. In ihrer „Pantex“-Anlage werden die Atomwaffen der USA montiert und demontiert. Es ist eine wachsende Stadt. Dennoch könnte die Entscheidung des Richters eine Provinzposse bleiben – eine Lachnummer, die sich gegen Wissenschaft und Mehrheitswillen stemmt. Wäre sie nicht Teil des großen, nationalen Kreuzzugs der Republikaner.
Sie versuchen zu kriminalisieren
In den zurückliegenden Monaten haben die Republikaner dabei massive Siege errungen. Im vergangenen Juni hat das Oberste Gericht das hart erkämpfte und 50 Jahre alte bundesweite Recht für jede Frau, selbst über ihre Schwangerschaft zu entscheiden, abgeschafft. Stattdessen darf nun jeder Bundesstaat in Gesetze fassen, wie Frauen mit ihr umgehen müssen. Seit dem Entscheid des Obersten Gerichts haben die Republikaner in den von ihnen regierten Bundesstaaten Hunderte von neuen Versuchen gestartet, um Ärzte, Abtreibungskliniken, Frauenzentren und unfreiwillig schwangere Frauen zu kriminalisieren. Doch das ist ihnen nicht genug.
Die Mehrheit der Republikaner hat das Ziel, jede Abtreibung unter jedem Umstand und an jedem Ort zu verbieten. Selbst dann, wenn eine Schwangerschaft durch Inzest und Vergewaltigung oder andere gewalttätige Umstände zustande gekommen ist, und selbst dann, wenn Gefahr für Leib und Leben besteht, sollen Frauen gezwungen sein, zu gebären. Sie wollen Abtreibungen auch dort verbieten, wo Wählermehrheiten entschieden haben, das Recht darauf zu verbriefen.
Die Republikanische Partei des Jahres 2023 akzeptiert weder medizinisch-pharmazeutischen Sachverstand noch das Recht auf individuelle Entscheidungsfreiheit noch den demokratisch ausgedrückten Willen der Wähler. Mit diesem Impetus treiben sie sowohl die Demokratische Partei als auch anders gesonnene Gerichte in anderen Landesteilen vor sich her.
Als Antwort auf die Provinzentscheidung in Amarillo hat ein Richter im Bundesstaat Washington eine entgegengesetzte Entscheidung bekannt gemacht, die das Recht auf medikamentöse Abtreibung zumindest in demokratisch regierten Bundesstaaten schützen soll. Zugleich ist das Justizministerium in Washington in Berufung gegangen, um das Urteil von Texas anzufechten, die Demokraten im Abgeordnetenhaus haben ein neues Gesetz vorgelegt und an zahlreichen Orten der USA haben über Ostern Demonstrationen stattgefunden.
Die Freiheit der Pharmabranche
Über kurz oder lang wird auch diese Entscheidung vor dem Obersten Gericht landen. So wie die Mehrheit dort seit Trump steht, ist keine Unterstützung für das Recht von Frauen auf Selbstbestimmung zu erwarten. Allerdings könnte eine andere Grundüberzeugung der mehrheitlich konservativen Richter in diesem Fall positive Konsequenzen haben. Die konservativen Richter sind radikale Marktliberale. Sie wollen weniger, nicht mehr Regeln für die Wirtschaft. Schon gar nicht für eine so einflussreiche Branche wie die Pharmaindustrie. Es ist gut möglich, dass das abtreibungsfeindliche Oberste Gericht letztlich die Entscheidung von Amarillo kippt, weil es die Freiheit der Pharmabranche beeinträchtigen könnte.
Für Frauen, die ungewollt schwanger werden, und für ihre Ärzte ist die Entscheidung von Amarillo in jedem Fall eine Katastrophe. Insbesondere für jene, die kein Geld für Reisen in Nachbarbundesstaaten oder in das Ausland haben. Für einkommensschwache Frauen in republikanischen Bundesstaaten gibt es schon jetzt keine Wahl mehr.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Autounfälle
Das Tötungsprivileg
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Verkehrsvorbild in den USA
Ein Tempolimit ist möglich, zeigt New York City
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!