■ Berufsarmee: Die Militärpolitik wird neu geordnet. Die Mittelschichten ergreifen die Gelegenheit, um sich von der Zeitverschwendung im Wehr- und Zivildienst zu befreien: Abstoßender Privilegienpazifismus
Es ist über 20 Jahre her, daß mein Musterungsarzt befand: Tauglich! Und daß ich in der sogenannten Gewissensprüfung (zum Glück längst abgeschafft) dem Bundeswehrleutnant in der Verweigerungskommission den Satz aus Büchners „Woyzeck“ ins Gesicht zitierte: „Der Aff ist Soldat; 's ist noch nit viel, unterste Stuf von menschliche Geschlecht.“ Vom Dienst an der Waffe befreit!
Hätte mir 1979, nach der Ableistung des Wehrersatzdienstes – für das bequeme „Desertieren“ nach Westberlin war ich zu stolz –, jemand vorhergesagt, daß ich 1998 die allgemeine Wehrpflicht verteidigen würde, wäre mir das vorgekommen wie einer dieser Opasprüche: Warte nur mal ab; auch du wirst älter – und vernünftig.
Nein, ich bin nicht „vernünftig“ geworden – und auch meine ablehnende Haltung zum Militärdienst im allgemeinen und zur Bundeswehr im besonderen hat sich nicht verändert. Was sich allerdings verändert hat ist die Definition des „Auftrages“ der Bundeswehr. Nach dem Ende der „Konfrontation der Blöcke“ wurde die Ideologie der Landesverteidigung ersetzt durch die Ideologie der Intervention. Es geht um eine neue Beweglichkeit beim punktgenauen Einsatz militärischer Gewalt. Die Wehrpflichtigen sind da bloß im Wege: „Schlecht ausgebildet, schlecht motiviert und unter der Uniform bis in die Knochen zivil.“ Außerdem hat die Sorge, die Mama und Papa sich um ihre Jungs beim „Bund“ machen, negative Ausstrahlungen auf die militärpolitische Flexibilität des harten Truppenkerns der Zeit- und Berufssoldaten.
Also braucht man hochtrainierte Strammsteher, die „ihren Job“ machen, gelegentlich ein bißchen herumsterben und ansonsten das Maul halten. Man braucht eine „richtige“ Berufsarmee, nicht bloß eine Kerntruppe aus interventionsbereiten Berufssoldaten, die von einem Speckgürtel aus Wehrpflichtigen umgeben ist, mit denen man bei Kampfeinsätzen sowieso nichts anfangen kann.
Gerade wegen dieser Bremserfunktion, die eine Wehrpflichtigenarmee im demokratischen Staat hat – und zwar sehr zum Leidwesen interventionsorientierter Politiker und Militärs –, ist es ein Jammer, daß es bei der Forderung nach einer Berufsarmee zur Allianz zwischen Militärstrategen und bestimmten Wehrdienstgegnern gekommen ist. Beide wollen die Profitruppe, um ihre Ruhe zu haben: die Militärdienstgegner vor der Armee; die Interventionsprofessionalisten für die Armee.
Die Forderung nach einer deutschen Berufsarmee ist noch lauter geworden, als vor knapp zwei Jahren der konservative französische Staatspräsident Chirac nach dem „erfolgreichen“ Abschluß der Atombombenversuche im Pazifik das Ende der allgemeinen Wehrpflicht in Frankreich ankündigte. Was „den Franzosen“ recht ist, heißt es, das müßte „uns“ doch billig sein. Allerdings übersieht man dabei geflissentlich Chiracs ausdrückliche Verknüpfung zwischen der Politik der nuklearen Abschreckung im Großen und der Flexibilität der mit konventionellen Waffen durchgeführten Interventionen im Kleinen. Chirac machte seinerzeit kein Hehl daraus, daß die Institution der Wehrpflicht unter demokratischen Verhältnissen politisch viel zu träge ist, um den militärischen Erfordernissen der neuen globalen Beweglichkeit gerecht zu werden.
Das Berufssoldatentum hätte dagegen eine Entproblematisierung der Fortsetzung der Außenpolitik mit militärischen Mitteln zur Folge. Interventionsentscheidungen würden sich entdramatisieren und ihren bisherigen extravaganten moralischen Status verlieren – sie würden zur Routine. Während heute jeder Parlamentarier bei Kampfeinsatzdebatten mit der Beunruhigung der Eltern von Wehrpflichtigen zu rechnen hat (obwohl bisher keine Rekruten auf Kampfplätze zwangsverschickt wurden), bliebe die Entsendung von Soldaten aus einer reinen Berufsarmee politisch zwar weiterhin kontrovers, würde gesellschaftlich aber ihre Theatralik einbüßen. Der Weg zu interessen- und machtpolitisch motivierten Interventionsentscheidungen würde sich sozialpsychologisch entkomplizieren und wäre leichter und schneller zurückzulegen.
Hinzu kommt die Hoffnung, mit einer Berufsarmee ließen sich auch noch andere Fliegen mit der gleichen Klappe schlagen: Die Armee wäre nicht nur flexibler im Einsatz; zusätzlich könnten, sozusagen als sozialpolitischer Mitnahmeeffekt, die Unterschichten mit neuen Arbeitsplätzen versorgt werden. Und was besonders angenehm ist: Die Schicht der Gutgestellten und Besserverdienenden muß sich nicht länger mit den Zumutungen des Totschießens und Totschießenlassens behelligen lassen, sondern kann sich gleich nach Abitur und Studium ungestört auf Karriere und Geschäft konzentrieren.
Die mit dem Wegfallen der allgemeinen Wehrpflicht entstehende Lücke ließe sich durch eine Berufsarmee schließen, die besonders ihre Mannschaftsdienstgrade aus den Unterschichten rekrutiert. Kurzum: Die Drecksarbeit erledigen gegen – schlechte – Bezahlung die anderen. So überträgt man die üblichen Problemlösungen des Alltagslebens – auch der linke Mittelstand läßt putzen – auf die Organisation des Gemeinwesens.
Dieser Privilegienpazifismus auch des linken juste-milieu ist besonders abstoßend. Genauso abstoßend wie die Kampfeinsatzbeschwörung von Leuten, die genau wissen, daß sie ihren höchstpersönlichen Arsch nie in irgendeinem Krisengebiet risikieren müssen. Heutzutage sitzen die Etappenhengste auf den Podien.
Aus all diesen Gründen kommt man als Gegner militärisch gestützter Außenpolitik in die auf den ersten Blick verrückte Position, die Wehrpflicht zu verteidigen, gleichzeitig aber die Verweigerung des Wehrdienstes zu propagieren. Es handelt sich um eine Subversionsstrategie mit grundgesetzlich garantierten Mitteln. Das Ziel dieser Strategie ist Verzögerung. Denn daß die Berufsarmee auf Dauer zu verhindern sein wird, ist unwahrscheinlich. Die interventionistische Neuorientierung der Militärpolitik geht mit dem Verlangen der Mittelschichten, von der Zeitverschwendung im Wehr- oder Zivildienst verschont zu bleiben, eine ideologische Verbindung ein, die mittelfristig auf eine Armee der Plebejer hinausläuft. Auch in demokratischen Staaten haben die Privilegierten für bestimmte Jobs ihre „Neger“. Bruno Preisendörfer
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