Abstimmung über Schulreform: Götterdämmerung für von Beust
Am Sonntag stimmen die Hansestädter über die Schulreform von Schwarz-Grün ab. Entscheiden sie sich dagegen, könnten Ole von Beust und seine Regierung am Ende sein
HAMBURG taz | Seit Wochen scheint es in Hamburg nichts Wichtigeres als die Schulreform und die Regierungskrise zu geben. Ausgerechnet am morgigen Sonntag ist der Rathausmarkt jedoch Start und Ziel für einen Weltcup-Triathlon. Politikjournalisten werden dann durch die Hintertür ins Medienzentrum im Rathaus geschleust. Dort wird nach Sonnenuntergang das Ergebnis des Volksentscheids bekannt gegeben: Die BürgerInnen stimmen darüber ab, ob der Entschluss der Regierung, die Grundschule zur sechsjährigen Primarschule auszubauen, gekippt werden soll. Falls ja, könnte das die Götterdämmerung für Schwarz-Grün einläuten. Im Raum steht der Rücktritt von Bürgermeister Ole von Beust (CDU).
Der sei amtsmüde nach fast neun Jahren, heißt es aus seiner eigenen Partei. Und der 55-Jährige tut nichts, um dem "Gequatsche und Getratsche", wie er es nennt, entgegenzutreten. Ob er zur nächsten regulären Hamburg-Wahl im Februar 2012 wieder antritt, lässt er offen. Die klarste Aussage, die sich Senatssprecher Markus Kamrad entlocken lässt, lautet: "An Spekulationen beteiligen wir uns nicht."
Beim Volksentscheid geht es um das größte Reformprojekt der seit 2008 regierenden Koalition aus CDU und den Grünen, die in Hamburg Grün-Alternative Liste (GAL) heißen. Umfragen sagen ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Gegnern und Befürwortern der sechsjährigen Primarschule voraus. Zwar hatte von Beust schon im April in einem taz-Interview erklärt, dass "Volksentscheide zu Sachfragen nicht zugleich eine Vertrauensfrage für eine Regierung sind. Das kann man nicht koppeln." Dennoch brodelt die Gerüchteküche um seine Ablösung.
Nicht zuletzt, weil es in der CDU einige gibt, die sich vorstellen können, selbst Bürgermeister zu sein. Partei- und Fraktionschef Frank Schira und Innensenator Christoph Ahlhaus allen voran, auch Sozialsenator Dietrich Wersich und die Bundestagsabgeordneten Marcus Weinberg und Rüdiger Kruse signalisierten Interesse. Eine Frau mit Außenseiterchancen hat den Weg bereits frei gemacht: Die türkischstämmige Aygül Özkan, jahrelang stellvertretende CDU-Vorsitzende in Hamburg, konnte zwar im ländlichen Niedersachsen Sozialministerin werden, im weltoffenen Hamburg aber noch lange nicht muslimische Ministerpräsidentin einer christdemokratischen Partei.
Die Reform: Schwarz-Grün will vom nächsten Schuljahr an noch drei allgemeinbildende Schulformen: Auf die sechsjährige Primarschule folgen Stadtteilschulen oder Gymnasien. Beide bieten alle Abschlüsse bis zum Abitur an. Die Schüler sollen selbstständiger lernen, die maximale Klassengröße wird festgelegt, Lehrpläne werden reformiert.
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Die Entscheidung: Die BürgerInnen können sich für die Reform der Bürgerschaft oder für die Vorschläge der Initiative "Wir wollen lernen" entscheiden: Diese will die vierjährigen Grundschulen erhalten, weil sonst gute Schüler benachteiligt würden. Reformbefürworter hoffen dagegen, dass sozial bedingte Leistungsunterschiede besser ausgeglichen werden.
Die Grünen bangen mit, von Beust ist persönlich und politisch der Garant für Schwarz-Grün. Mit dem Partei-Rechtsaußen Ahlhaus hätte die GAL arge Probleme, mit den vier anderen potenziellen Nachfolgern wäre eine Fortsetzung des Bündnisses vorstellbar. Am Montagabend beratschlagen die Grünen intern, unter Ausschluss der Medien. Ein Parteitag ist bereits für Ende August terminiert. Als unwahrscheinlich gilt nach Informationen der taz, dass die grüne Schulsenatorin und Zweite Bürgermeisterin, Christa Goetsch, im Fall einer Niederlage beim Volksentscheid zurücktritt.
Den Wechsel zu einer rot-grün-roten Koalition schließen alle Beteiligten aus. Dazu müssten SPD, GAL und Die Linke ihre jeweiligen Nein-Positionen aus dem Wahlkampf 2008 über Bord werfen, was allenfalls nach Neuwahlen denkbar wäre.
Die SPD stünde keinesfalls als Juniorpartner für eine große Koalition bereit, sollte Schwarz-Grün zerbrechen. Die Sozialdemokraten wollen wieder stärkste Partei werden und mit Parteichef Olaf Scholz den Bürgermeister stellen. Wann, in diesem Herbst oder auch erst im übernächsten Winter, war ihnen bisher egal. Ob sie das am Montag immer noch so sehen, ist offen.
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