Abstimmung in Schleswig-Holstein: Spitz auf Knopf im Landeshaus
Bekommt die schleswig-holsteinische Landesregierung ihren Sparhaushalt durch? Heute entscheidet der Kieler Landtag - und für Schwarz-Gelb zählt jede Stimme. Opposition hofft auf Havarie und rasche Neuwahlen.
"Hochgradig entspannt" sei er, sagte Christian von Boetticher noch am Dienstag. Aber so gelassen, wie der Chef der CDU-Fraktion im Kieler Landtag tat, ist die Lage nicht: Heute am späten Nachmittag hat Schleswig-Holstein entweder einen beschlossenen Haushalt - oder keine Regierung mehr. Dabei kommt es auf jedes einzelne Mitglied der Regierungsfraktionen an: Weil CDU und FDP über nur eine Stimme Mehrheit verfügen, darf sich kein Abgeordneter verweigern.
Genau das geschah aber in den vergangenen Wochen bei mehreren Probeläufen in der CDU-Fraktion, erst die Generalprobe am gestrigen Dienstag verlief einstimmig. Zwar fehlt ein SPD-Abgeordneter, Detlev Bruder liegt nach einem Sturz mit verletzter Wirbelsäule im Krankenhaus. Aber das hilft nicht, hat FDP-Fraktionschef Wolfgang Kubicki unmissverständlich klargemacht: Ohne eigene Mehrheit bei allen Einzelabstimmungen sei die Koalition gescheitert.
Anders als Hamburg könnte Schleswig-Holstein in diesem Fall nicht einmal sofort in den vorgezogenen Wahlkampf starten, da die Parteien sich noch nicht auf ein Wahlgesetz geeinigt haben. So wurde in den vergangenen Tagen im Landeshaus über Notfall-Szenarien spekuliert.
Der Haushalt für 2011/12 enthält Sparmaßnahmen im Gesamtvolumen von 250 Millionen Euro: ein erster Schritt auf dem Weg zur Schuldenbremse bis 2020.
Für die Debatte ist der ganze heutige Tag eingeplant. Landtagspräsident Torsten Geerdts liegen zahlreiche Einzelanträge vor, unter anderem fünf auf namentliche Abstimmung bei Einzelfragen.
Verliert Schwarz-Gelb eine dieser Abstimmungen, werden Zusatzausgaben sofort in den Haushalt eingerechnet - dafür sitzen vier Mitarbeiter des Finanzministeriums mit im Saal.
Über den Gesamthaushalt wird auf jeden Fall abgestimmt, auch wenn vorher eine Abstimmung verloren geht - und damit die Koalition gescheitert ist.
"Ich denke, jeder hat seine Verantwortung begriffen", sagte Ministerpräsident Peter Harry Carstensen (CDU) gestern auf dem Weg in die Fraktionssitzung, bei der auch die FDP dabei sein sollte - "die wollen ja wissen, woran sie sind", so von Boetticher. Erleichterung gab es bei einer letzten Probeabstimmung: Die beiden Fraktionen hatten eine Reihe von Anträgen beraten, die heute ins Parlament gehen. "Die Haushaltsvolumina werden nicht verändert. Die Schuldenbremse wird eingehalten", erklärten beide Fraktionschefs im Anschluss. Von Boetticher hatte zuvor bekräftigt, es werde keine Zugeständnisse an die Zögerer geben, sprich: keine Geschenke für deren Wahlkreise. Allerdings seien viele Gespräche geführt und "Brücken gebaut" worden.
Eines der Streitthemen war eine Küstenschutzabgabe, die Hausbesitzer in den Orten am Meer zahlen sollen. Dagegen wehrte sich die nordfriesische Abgeordnete Astrid Damerow. Der nun ausgehandelte Kompromiss: Das Land will zunächst versuchen, eine Co-Finanzierung zu erhalten, entweder vom Bund oder von den Kommunen.
Am lautesten aber hatte sich der CDU-Abgeordnete Werner Kalinka zu Wort gemeldet. Der 58-Jährige aus dem Kreis Plön, innenpolitischer Sprecher der Fraktion und seit 2002 Landesvorsitzender der Christlich Demokratischen Arbeitnehmerschaft (CDA), fordert von seiner Partei "ein schärferes soziales Profil". Er hatte unter anderem bei der Abschaffung des Blindengeldes und der Schließung eines Gefängnisses in Flensburg Bedenken und konnte sich am Dienstag immerhin teilweise durchsetzen: Zumindest die Taubblinden behalten ihre Zuschüsse. Auch werden im kommenden Jahr "keine finanzwirksamen Maßnahmen zur Schließung der Justizvollzugsanstalt eingeleitet", sagten die Fraktionsspitzen zu.
Die Opposition verlangt in mehreren Fällen namentliche Abstimmungen, unter anderem über die Schließung zweier Frauenhäuser und bei der Frage, ob Gehälter von Ministern gekürzt werden sollen. Die Regierungsfraktionen kontern, das sei "Populismus pur" und juristisch nicht möglich.
Geht auch nur eine Abstimmung schief, würde sich dadurch der Haushalt insgesamt verschieben, das Sparziel wäre nicht mehr erreicht - und die Koalition am Ende. Zwar hatte Carstensen noch erklärt, es ließe sich auch ohne Haushalt weiterregieren, was Kubicki allerdings ablehnte. "Er hat es deutlich gesagt, ich nehme das zur Kenntnis", sagte der Ministerpräsident gestern. Nach jetzigem Stand wäre es unmöglich, im heutigen Landtag eine neue Mehrheit zu organisieren: Die Opposition - vor allem SPD und Grüne - setzen angesichts guter Umfragewerte auf schnelle Neuwahlen. Die kann es aber nur geben, wenn das neue Wahlgesetz steht. Darüber berät der Landtag am Donnerstag.
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