piwik no script img

Abschluss des Berliner TheatertreffensDas Unheimliche schleicht heran

Mit Alvis Hermanis’ „Geschichte von Kaspar Hauser“ endete das Theatertreffen. Auffällig oft agierten die Schauspieler in den eingeladenen Stücken wie Puppen.

Yvonne Büdenhölzer (l.), Leiterin des Theatertreffens, überreicht Susanne Kennedy, Regisseurin von „Fegefeuer in Ingolstadt“ den Preis, den jeder Regisseur des Theatertreffens erhält. Bild: Pierro Chiussi/Agentur StandArt

Es ist schon eine bildmächtige Idee, den Kaspar Hauser als Riesen, der von einer Zwergen-Gesellschaft bestaunt wird, in Szene zu setzen. Der Regisseur Alvis Hermanis besetzte die Rollen der Ärzte und Pädagogen, die in dem Jungen, der eines Tages sprachlos und ohne Bewusstsein seiner selbst in ihrer Mitte erscheint, mit Kindern.

Unter gepuderten Perücken, mit alt geschminkten Gesichtern und zierlichen Gehröcken und Kleidern angetan, gleichen sie einer biedermeierlichen Puppenstubengesellschaft, zumal sie von Schauspielern, die auch ihre Sätze sprechen, wie Puppen bewegt werden.

Mit der „Geschichte von Kaspar Hauser“ aus dem Schauspiel Zürich ging das Theatertreffen in Berlin zu Ende. Dass gleich in drei Inszenierungen Schauspieler wie Puppen agierten und die realen Körper auf der Bühne durch ein mechanisiertes Abbild ihrer selbst hindurch mussten, gibt da schon zu denken. Es muss mehr dahinterstecken als ein Zufall oder eine Verschwörung von Kostümbildnern und Maske.

Jedenfalls traten in Herbert Fritschs Oper „Ohne Titel Nr. 1“ (von der Volksbühne Berlin) die Schauspieler in stark stilisierter Künstlichkeit auf, Zitate von Zitaten, in jeder Kostümfalte ein ganzer Fundus von Vorbildern sitzend, die dem Kostümträger ein Repertoire an Gesten und Geschichten vorgaben. Auch in „Fegefeuer in Ingolstadt“, von Susanne Kennedy an den Münchner Kammerspielen inszeniert, waren die Schauspieler wie Schaufensterpuppen ins Bühnenbild gestellt, die Bewegungen minimalisiert und roboterhaft.

Ein Berg schon gemachter Kunst

Fritschs Figuren bleiben letztendlich in einer albernen Verzweiflung stecken, weshalb oder warum sie diesem Berg von schon gemachter Kunst dennoch etwas hinzufügen sollten. Bei Susanne Kennedys großartiger Umsetzung von Marieluise Fleißers Drama hingegen wird die Puppenhaftigkeit zu einem Mittel harter Zeitdiagnostik: Die Körper sind in Haft genommen von einem körper- und lustfeindlichen Geist, der letztlich Neid und Boshaftigkeit zu den Maximen des Handelns macht.

In der romantischen Literatur gibt es viele Geschichten von Doppelgängern und mechanisch betriebenen Wesen, die eine große Verunsicherung, was das Subjekt ausmacht und wie weit es sich selbst bestimmen kann, in unheimliche Bilder umsetzen. Die Geschichte von Kaspar Hauser trat in diesen Diskurs von einer anderen Seite ein.

Ein erzieherisches Experiment

Denn mit seiner Existenz schien sich Anfang des 19. Jahrhunderts die Möglichkeit zu öffnen, über das Experiment herauszufinden, wie viel Ich im Körper steckt und was erst durch Sprache, Erziehung und Wissen erzeugt wird.

Das Überraschende an Alvis Hermanis’ Inszenierung ist, dass Kaspar Hauser, von Jirka Zett zuerst ganz zerknautscht und zerknittert gespielt, zwar ein Leidender ist, der etwas verliert, was er nicht fassen kann. Mit der Sprache und dem Lernen treten auch die Wünsche und die Sehnsüchte, die sich nicht erfüllen lassen, auf den Plan. Die Geschichte seiner Disziplinierung und Beobachtung aber wird als eine des gutmütigen Einvernehmens erzählt.

Die kleinen Damen, die ihn streicheln wollen wie einen Schoßhund, und die Herren, die ihm den Sternenhimmel und die Erde erklären, sind von rührendem bildungsbürgerlichen Enthusiasmus getragen. Ungeduldig werden sie mit Kaspar Hauser erst, als er ihnen ähnlich zu werden beginnt. Je weiter seine Sozialisation gelingt, desto mehr wird ihm die Aufmerksamkeit und Zuwendung, die er erhielt, geneidet.

Warum beißt der Schnee?

Stets begleitet von leiser, trauriger Klaviermusik, der irgendwie immer schon ein paar Noten zu fehlen scheinen, erzählt Hermanis die Geschichte in viele kleine Kapitel gegliedert, oft nur wenige Sätze lang. In den letzten Kapiteln nutzen sie Hausers eigene Sätze und wundersame Fragen – „Warum beißt mich der Schnee in die Hand? Warum habe ich auf dem Rücken kein Auge? Warum ist das Leben so traurig?“ –, und damit öffnet sich ein kleines Fenster in die Wahrnehmung des Außenseiters, die dem ersten Teil der possierlichen Inszenierung doch gefehlt hat.

Die märchenhafte Stilisierung des Spiels beansprucht letzten Endes zu viel von der Energie der Inszenierung, während die Dialoge und Erzählungen oft eine zu grobe Skizze bleiben.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!