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Abschluss der RuhrtriennaleAufglühen und zersetzen

Zum Finale wurde „utp_“ aufgeführt, eine Komposition, die Mannheims Stadtplan reflektiert. Auf dessen Muster basiert die wunderbare Musik des Stücks.

In 72 Minuten den rektangulären Grundriss der barocken Stadt Mannheim in Klang und Bild: „utp_“. Bild: Hans Joerg Michel

BOCHUM taz | Es ist der krönende Abschluss der diesjährigen Ruhrtriennale. Sanft legt sich die herbstliche Abendsonne auf die massive Industriearchitektur der Jahrhunderthalle in Bochum. Mit ihren rot-rostigen Stahlskeletten, dem dunklen Backsteingemäuer und den riesigen Betontürmen bietet sie die architektonische Kulisse eines Festivals, das das Erbe des Ruhrgebietes künstlerisch reflektieren soll.

Außen die vergangene Architektur der Schwerindustrie und innen die Architektur einer Barockstadt, mit der der japanische Pianist Ryuichi Sakamoto (unter anderem Gründer des Yellow Magic Orchestra), und der Klangkünstler Alva Noto alias Carsten Nicolai gemeinsam mit dem Ensemble Modern das Finale der Ruhrtriennale bestreiten.

Es ist der Grundriss des kurfürstlichen Mannheims, 1607 von Friedrich IV. von der Pfalz wie ein Gitter vor sein Schloss und zwischen Rhein und Neckar gelegt, das den konzeptionellen Kern dieser letzten Aufführung bringt. „utp_“ heißt die Komposition, ursprünglich aus Anlass des 400-jährigen Stadtjubiläums von Mannheim entstanden, die in 72 Minuten den rektangulären Grundriss der barocken Stadt in Klang und Bild reflektiert. Das Visuelle bestimmt in dieser Aufführung jeden Ton.

In der Jahrhunderthalle wurde eine breite Leinwand über die Bühne gespannt. Ein Video von Carsten Nicolai wird darauf projiziert. Aus dem Schachbrettmuster der Barockstadt generierte der Klangkünstler stetig changierende Musterformationen, in denen sich das Mannheimer Quadrat vom Streifen zu langsam pulsierenden Waben, einem Punkt oder einem gleißenden Flimmern wandelt. Nicolai übersetzte das strukturelle Prinzip eines Stadtgrundrisses in ein bewegtes Bild, das zugleich die Partitur der Komposition ist.

Vibrierender Grundton

Es sagt den Musikern, wie sie mit den Klängen umzugehen haben. Alles beginnt mit einem hohen, leicht vibrierenden Grundton. Auf das tiefe Schwarz der Bühne wird ein heller Strich projiziert. Minimale Frequenzänderungen des Digitaltons schwingen mit einer langsamen Bewegung der visuellen Notation. Dem Grundton schmiegen sich die Streicher an, lassen ihn ansteigen, während andere Instrumente mit Störtönen den Klangraum immer wieder durchbrechen.

Alva Notos und Sakamotos mittlerweile über zehn Jahre andauernde musikalische Zusammenarbeit ist poetisch, aber minimalistisch, kühl und leer. Mit dem Ensemble Modern kommt nun das Warme des Holzes, das Knacken, das Scharpen und Ziehen der Streicher hinzu. Ryuichi Sakamoto und die zwölf Instrumentalisten legen zwischen Alva Notos Digitalraster ein analoges Rauschen.

Und dieses Rauschen löst sich im Laufe der 72 Minuten zu jenem Sound auf, der so charakteristisch für das Duo Alva Noto/Sakamoto ist. Die flachen Melodien des Pianisten werden von den Streichern übernommen, die jeden Ton nachhallen und mit einem Crescendo anschwellen lassen, wie sich auch die Quadrate Mannheims in schwebenden Rastern über den Musikern leicht aufblasen.

Diese in Klang und Bild gefasste Tiefe der Komposition „utp_“ zeigt eine weitere Reflexion mit der Stadt Mannheim. Um 1750 kristallisierte sich in der kurfürstlichen Residenz ein musikalischer Stil heraus, der von der barocken Kontrapunktkomposition zu einer vertikal orientierten Struktur mit Akkorden wechselte. Die Aufführung ist reinste Perfektion. In technischer Präzision gehen Instrumentalklänge, Alva Notos Digitalstrukturen und die visuelle Notation zusammen. Der britische Lichtdesigner Nigel Edwards lässt mit dezentem Scheinwerferlicht vereinzelt die Musiker aus dem Schwarz der Bühne aufleuchten oder ein tiefes Rot aus dem Hintergrund aufglühen.

Ausgefeilte Tektonik

Ein dramaturgischer Höhepunkt, berauschend und auflösend, entfaltet sich kurz vor Schluss der Vorstellung, wenn langsam ansteigende Akkordklänge und ein dumpfes Vibrieren in einem lauter werdenden Klang zerspringen und das Licht- und Videodesign von einem gleißenden Weiß zersetzt werden.

Am Ende tosender Applaus in der Jahrhunderthalle. Die Zuhörer sind begeistert von einer Komposition, die in den Dienst des Bildes gestellt wurde, in seiner ausgefeilten Tektonik aber dann doch zu wenig Brüche bietet. Dem idealen Rastergrundriss der Stadt Mannheim wird „utp_“ damit allerdings gerecht.

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