Abschied von Integration: Wohnungsgesellschaft sortiert Mieter
Erstmals rückt eine große deutsche Wohnungsgesellschaft vom Leitbild für Integration ab: Sie setzt auf ethnisch einheitliche Nachbarschaften.
Thomas Dilger ist Chef der Nassauischen Heimstätte, einer Wohnungsgesellschaft, die in Hessen und Thüringen 64.000 Wohnungen betreut. Kein kleiner Fisch auf dem Wohnungsmarkt also. Umso erstaunlicher ist, dass sich Dilger nun für ethnische getrennte Wohnblocks ausgesprochen hat. Seine Gesellschaft achte bei der Vergabe leerstehender Wohnungen darauf, dass nur noch Mieter aus ähnlichen Kulturkreisen in einem Wohnhaus zusammenleben. "Wir setzen auf einheitliche ethnische Nachbarschaften", zitiert die Welt Dilger in ihrer Onlineausgabe. "Eine 75-jährige deutsche Großmutter hat ein anderes Verständnis von Sauberkeit und Erziehung als eine junge Migrantenfamilie."
Mit diesen Aussagen rückt erstmals eine große deutsche Wohnungsgesellschaft offen vom offiziellen Leitbild für gelungene Integration ab - und das, obwohl die Nassauische Heimstätte in öffentlicher Hand ist. Zu den Gesellschaftern zählen unter anderem das Land Hessen und die Städte Frankfurt am Main und Wiesbaden.
Wie die offizielle Integrationspolitik der Bundesregierung aussieht, wurde im Nationalen Integrationsplan vom Juli dieses Jahres festgehalten. "Leitbild für die Stadtteil- und Quartiersentwicklung ist die Schaffung und Sicherung sozial und ethnisch gemischter Quartiere", heißt es dort. Und an anderer Stelle: "Einer Abschottung zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen und einer sozialräumlichen Konzentration von Armutsbevölkerung und zugewanderter Bevölkerung ist entgegenzuwirken." Auf diese Ziele verpflichteten sich Vertreter von Politik, Wirtschaft und Verbänden gleichermaßen.
Dass die Realität oft ganz anders aussieht, belegen Zahlen, die das Wissenschaftszentrum Berlin in einer aktuellen Studie veröffentlicht: Siedlungskonzentrationen von türkischen Staatsangehörigen gibt es demnach in 41 deutschen Großstädten, eine Konzentration von Menschen aus dem ehemaligen Jugoslawien in fast 20 Städten, bei Italienern trifft dies nur auf zwölf Städte zu.
Matthias Gaenzer ist Sprecher der landeseigenen Berliner Wohnungsgesellschaft Gesobau, die in Berlin 42.000 Wohnungen betreut. Seine Schlussfolgerung geht in eine ähnliche Richtung wie die Dilgers. "Eine Durchmischung funktioniert nicht auf Teufel komm raus", sagt Gaenzer. "Die Erfahrung hat gezeigt, dass eine unterschiedliche kulturelle Herkunft ein Auslöser für Konflikte sein kann." Deshalb achte die Gesobau genauso darauf, ob türkischstämmige neben kurdischstämmige Mieter ziehen, wie wenn eine junge Familie über ein Seniorenehepaar zieht. "Da guckt man natürlich hin als Vermieter", sagt Gaenzer. Ablehnen werde seine Wohnungsgesellschaft aber niemanden wegen seiner Nationalität.
Wie genau sich die Nassauische Heimstätte in Frankfurt ihr Konzept der ethnischen Trennung in ihren Mietshäusern künftig vorstellt, ist unklar. Die Wohnungsgesellschaft war bis Redaktionsschluss trotz mehrfacher Nachfragen nicht für eine Stellungnahme zu erreichen. "Es wird Jahre dauern, bis wir das Konzept homogener Nachbarschaften umgesetzt haben", wird Wohnungsgesellschaftschef Dilger in der Welt zitiert. Man werde keinem Mieter kündigen oder den Umzug nahelegen, heißt es. Wenn Wohnungen frei werden, wolle man jedoch darauf achten, dass die neuen Mieter zur größten ethnischen Gruppe im Wohnhaus passten.
Hessens Grüne kritisierten am Dienstag die Wohnungsgesellschaft. Sie solle integrieren, nicht spalten, schrieb Tarek Al-Wazir, Fraktionschef im Landtag in einer Erklärung. Dilgers Äußerungen widersprächen dem integrativen Auftrag eines öffentlichen Wohnungsunternehmens. Die Nassauische Heimstätte müsse zum Zusammenleben unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen beitragen. "Dilger hat offensichtlich nicht verstanden, dass es bei den unzweifelhaft vorhandenen Konflikten in den Siedlungen nicht um Deutsche oder Nichtdeutsche geht, sondern um die Sozialstruktur in einem Gebiet."
Für Ulrich Ropertz, Sprecher des Deutschen Mieterbunds, ist das Vorhaben der Nassauischen Heimstätte nicht vereinbar mit "Sinn und Zweck" des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes. Das auch als Antidiskriminierungsgesetz bekannte Gesetze wurde 2006 verabschiedet und verbietet eine Ungleichbehandlung aufgrund von Geschlecht, Sprache, Glauben oder Abstammung. Für die Wohnungswirtschaft sind zwar für eine "sozial stabile Siedlungsstruktur" Ausnahmen im Gesetz vorgesehen. Doch absichtlich Mietshäuser mit ausschließlich russischstämmigen, türkischstämmigen oder deutschen Mitbewohnern zu schaffen, fällt laut Mieterbund keinesfalls darunter. "Wir haben rechtliche Bauchschmerzen, politische sowieso", sagt Ropertz. "Das ist das Gegenteil von Integration."
Die Soziologin Bettina Reimann vom Deutschen Institut für Urbanistik in Berlin hat in der Diskussion um Integration und Wohnen schon Vertreter der Nassauischen Heimstätte kennengelernt: "Ich kenne es als ein Unternehmen, das sich ernsthaft Gedanken zu diesem Thema macht." Unter Umständen entspreche eine Trennung nach ethnischer Herkunft sogar den Wohnwünschen der Mieter und könne zur Stabilisierung der Nachbarschaft beitragen. "Wenn man Türen zuschlägt, ist das ein Problem", sagt sie. "Wünsche zu berücksichtigen, ist in Ordnung."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Bis Freitag war er einer von uns
Elon Musk und die AfD
Die Welt zerstören und dann ab auf den Mars
Anschlag in Magdeburg
Der Täter hat sein Ziel erreicht: Angst verbreiten
Bankkarten für Geflüchtete
Bezahlkarte – rassistisch oder smart?
Tarifeinigung bei Volkswagen
IG Metall erlebt ihr blaues „Weihnachtswunder“ bei VW
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz