: Abschied vom „Mythos Kumpel“
■ Grau ist die Emscher, doch bunt ihr Revier/ Das Image der Schmuddelregion hat sich längst gewandelt
Als in der Kasse 1.000 Mark aufgelaufen waren, die darauf warteten, möglichst unterhaltsam verbraten zu werden, entschloß sich der fünfköpfige Doppelkopf-Club des Tischlers Horst Rudolph aus dem Städtchen Enger im östlichen Westfalen zu einer „Tour de Ruhr“, drei Übernachtungen in Gladbeck eingeschlossen. Die Anteilnahme der Lieben zu Hause war herzlich, aber deutlich: „Ihr seid bekloppt.“
Doch die Doppelkopfbrüder ließen sich nicht verdrießen, sie zogen los — es war im vergangenen Januar — und wurden nicht enttäuscht. Zwar, so resümmierte Horst Rudolph hinterher, liege immer noch Dreck in der Ruhrpottluft, und „es sieht immer noch alles irgendwie schmierig aus“. Doch „die Leute“ dort fand der Tischler „locker drauf“ — speziell beim Pils. Vom Besuch eines kleinen Kabaretts in Dortmund nahm er den Eindruck mit: „Im Revier ist kulturell echt was los.“ Geschockt indes registrierten die Ostwestfalen, „daß die Autobahnen da ja mitten durch die Wohnzimmer führen“. Mindestens ebenso schockte sie allerdings auch, „daß der Ruhrpott insgesamt ziemlich grün ist“. Im Bochumer Bergbaumuseum entdeckten die fünf Freunde das schwarze Gold, wanderten weit um sich blickend über Halden und durch eine Gladbecker Zechensiedlung, schlitterten über den zugefrorenen Rhein-Herne-Kanal, verstanden sich „total gut“ und fanden ihre „Tour de Ruhr“ höchst gelungen. Die Daheimgebliebenen im ostwestfälischen Enger vernahmen es irritiert.
Solche Irritation nennt der Kommunalverband Ruhrgebiet (KVR) in Essen „Imagewandel“ und arbeitet emsig daran, ihn zu fördern. Zum Beispiel mit der Kampagne: „Das Ruhrgebiet — ein starkes Stück Deutschland“. Zehntausend Menschen im Jahr lassen sich mit den KVR-Tagestouren durch's Revier kutschieren, um Technologieparks, Chemiebetriebe oder die letzten Fördertürme zu besichtigen. Daß ihre Eindrücke nicht nur zufällig denen des Doppelkopf-Clubs aus Enger gleichen, zeigt die dritte, im letzten Jahr veröffentlichte Imageanalyse des KVR. Seit sechs Jahren fragen Bochumer Wissenschaftler Revier- Eingeborene und andere Deutsche nach ihrem Bild vom Ruhrgebiet. Der Trend: Es bessert sich. Das Beste am Revier sind danach seine Menschen. Besonders die Kulturangebote, aber auch Bildungs-, Arbeits- und Freizeitmöglichkeiten werden positiv eingeschätzt. Die meisten Nicht-Ruhrgebietler meinen aber weiterhin, das Leben im Revier mache krank. Und für dicke Minuspunkte sorgt der immer wüstere Autoverkehr, ein echter Imagetöter.
Außerhalb des Ruhrgebiets sind es vor allem Leute in leitenden Positionen, die die Emscher-Ruhr-Region grundsätzlich anziehend finden. Das hat damit zu tun, daß diese Leitenden zwecks neuer Investitionen auch gezielt umworben werden. Der Initiativkreis Ruhrgebiet (IR), in den jedes der 58 Mitgliedsunternehmen Jahresbeiträge zwischen 100.000 und 300.000 Mark einzahlt, wirbt international mit den Standortvorteilen des Reviers. Die Mitgliedsunternehmen sind verpflichtet, im Ruhrgebiet zu investieren und dies in großformatigen Anzeigen auch kundzutun: „Wir an der Ruhr — gemeinsam nach vorn“. Mit dem Geld kauft der IR Kultur- und Sportspektakel ein, „Repräsentationsveranstaltungen mit importierter Kulinarik, anstatt auch kreative Impulse aus der Region aufzunehmen“, wie selbst die 'FAZ‘ bemängelt.
Diese ziehen zwar, „gehen aber an der Bevölkerung hier völlig vorbei“, kritisiert auch Ulrike Heck (29) vom Initiativkreis Emscher-Region, einem Initiativenzusammenschluß im nördlichen Revier. Denn die lebendige Ruhr-Kultur, die nunmehr — weil imagefördernd — allseits belobigt wird, ist Ergebnis eines Strukturwandels von unten, der mit sozialem und kulturellem Engagement auf die Ruhr-Krise reagiert hat. Ulrike Heck etwa, eine echte Revierpflanze aus Essen, war arbeitslos und damit keineswegs die einzige, als sie vor vier Jahren daran ging, „dem Mythos Ruhrgebiet und was die Region heute ausmacht, auf den Grund zu gehen“, sich also mit den eigenen Lebens- und Arbeitsbedingungen zu beschäftigen. Heraus kam ein alternatives Bildungswerk („Werkstatt e. V.“) in Essen, das sich speziell mit dem nördlichen Revier, der „Schmuddelregion“ an der Emscher, beschäftigt. Es gibt inzwischen hunderte solcher Initiativen und Gruppen, vom Gelsenkirchener Bergleute-Geschichtskreis der Zeche Wilhelmine-Victoria bis zu feministischen Planerinnen in Dortmund, die ihre Ideen in die gerade laufende Internationale Bauausstellung einbringen. Die von Ulrike Heck mitbegründete Werkstatt e. V. in Essen bietet heute Ruhrgebiets- Seminare und, wie auch anders, Emscher-Touren an: geruchsintensive Exkursionen von der Quelle bis zur Mündung.
In der Doppelkopf-Kasse in Enger haben sich unterdessen wieder 1.000 Mark angesammelt. Am kommenden Wochenende brechen die fünf Freunde um Horst Rudolph zu einer „Tour d'Eifel“ auf. Im nächsten Jahr dann haben die ungläubigen Ostwestfalen alle Aussichten auf Berichte von einer gelungenen „Tour d' Emscher“. Bettina Markmeyer
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