Abschiebungen nach Zentralasien: Organisierte Verantwortungslosigkeit
In Tadschikistan droht Regimegegnern jahrzehntelange Haft. Die Bundesregierung will trotzdem weiter dorthin abschieben, wie eine Linken-Anfrage zeigt.
„Schwerwiegende Fehlentscheidungen, in deren Folge mehrere tadschikische Oppositionelle direkt in die Hände ihrer Verfolger abgeschoben wurden, werden von der Bundesregierung mit einem Achselzucken hingenommen“, kritisiert Bünger mit Blick auf Warnungen von Menschenrechtsorganisationen und Berichte der taz. Denn mindestens vier nach Deutschland geflüchtete politische Gegner von Machthaber Rahmon sind seit ihrer Auslieferung an tadschikische Behörden entweder verschwunden – oder wurden zu langjährigen Haftstrafen verurteilt.
So fehlt vom erst Anfang November von der deutschen Bundespolizei an Sicherheitskräfte in der tadschikischen Hauptstadt Duschanbe übergebenen Regimegegner Dilmurod Ergashev bis heute weiter jede Spur. „Wir haben leider noch immer überhaupt nichts von ihm gehört, wissen nicht, wo er ist“, sagt nicht nur ein in Deutschland lebender Bekannter des Mitglieds der in Tadschikistan verbotenen „Gruppe 24“.
Gleiches gilt auch für die Bundesregierung: „Eine Anfrage der Botschaft Duschanbe bei der tadschikischen Regierung von November 2024 hinsichtlich des Verbleibs von D.E. (Dilmurod Ergashev, d. Red.) und seines Gesundheitszustands blieb bislang unbeantwortet“, räumt das Bundesinnenministerium (BMI) in seiner Antwort auf die Anfrage der linken Bundestagsabgeordneten Bünger ein – dabei war Ergashev mit der Begründung abgeschoben worden, sein politischer Protest sei nur vorgeschoben, um in Deutschland Asyl zu erhalten. Oppositionellen droht in Tadschikistan in Haft sogar Folter.
Auf Abschiebungen folgten lange Haftstrafen
Hart bestraft wurden auch die bereits 2023 abgeschobenen Rahmon-Gegner Abdullohi Shamsiddin und Bilol Qurbonaliev: In kurzen Schauprozessen wurden sie zu Haftstrafen von 7 und 10 Jahren verurteilt. Sogar 23 Jahre im Gefängnis verschwinden soll der aus Deutschland über Polen abgeschobene Oppositionelle Farrukh Ikromov. Alle drei hatten im September 2023 bei einem Besuch Rahmons in Berlin gegen dessen Regierung demonstriert.
Dennoch sind erneute Abschiebungen offenbar bereits in Planung. Wie Faesers Ministerium schreibt, hat es im Oktober 2024 eine weitere sogenannte Sammelanhörung in Essen gegeben. Dabei versuchen deutsche und tadschikische Behörden gemeinsam, Geflüchtete zu identifizieren. Ziel ist die Ausstellung von „Passersatzpapieren“, die dann Grundlage für eine Auslieferung nach Tadschikistan sind. „Diese Sammelanhörungen haben etwa in den Fällen Shamsiddin und Ergashev nachweislich zu Abschiebung in Haft und Folter geführt“, kritisiert Sebastian Rose von der Initiative Abschiebungsreporting NRW.
Trotzdem arbeiten deutsche und tadschikische Offizielle dabei engstens zusammen: „Damit Passersatzpapiere von der tadschikischen Seite ausgestellt werden, müssen der tadschikischen Botschaft in Berlin jeweils Flugbuchungsdaten für die Abschiebungsflüge vorgelegt werden“, schreibt das BMI.
Die Sammelanhörungen seien ein Symbol der von der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch heftig kritisierten „Transnationalen Repression“ von Oppositionellen auch in Deutschland, sagt Rose deshalb. Die Zusammenarbeit deutscher und tadschikischer Behörden müsse „überprüft und gestoppt“ werden, findet er – und gefordert sei hierbei nicht nur die Bundesregierung, sondern auch Nordrhein-Westfalens grüne Integrationsministerin Josefine Paul.
Rechtsruck regiert
Doch während auch SPD-Bundestagsabgeordnete wie der Beauftragte der Bundesregierung für Religions- und Weltanschauungsfreiheit, Frank Schwabe, eine „Veto-Ebene“ fordert, die Abschiebungen von Dissidenten wie Ergashev, Shamsiddin, Qurbonaliev und Ikromov künftig verhindern soll, setzt die amtierende Bundesregierung dem aktuellen Mainstream entsprechend auf möglichst schnelle Ausweisungen. Schon beim Berlin-Besuch Rahmons im September 2023 hätten der tadschikische Machthaber und Bundeskanzler Olaf Scholz „ihr Interesse an einer weiteren Auslotung von Möglichkeiten beiderseits nutzbringender Zusammenarbeit im Bereich der Migration“ bekundet, so das Innenministerium von Sozialdemokratin Faeser.
Zwar wisse die Bundesregierung von den Haftstrafen etwa für die Oppositionellen Qurbonaliev und Shamsiddin – eine Verantwortung dafür trage sie aber nicht, erklärt das Bundesinnenministerium trotzdem: Über Abschiebungen entschieden „die zuständigen Ausländerbehörden“ – und die unterstünden nicht dem Bund, sondern den Ländern.
„Lachhaft“ sei dies, hält nicht nur Sebastian Rose vom Abschiebungsreporting NRW dagegen. Schließlich sei in jedem Asylverfahren die Bewertung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) die Grundlage für die Abschiebungsbeschlüsse der Ausländerbehörden – und natürlich sei das BAMF keine Landes-, sondern eine Bundesbehörde.
„Ich erwarte, dass alle beteiligten Behörden ihre Fehler aufarbeiten und dafür Sorge tragen, dass keine weiteren Aktivist:innen ihren Verfolgern ausgeliefert werden“, fordert auch die Bundestagsabgeordnete Bünger von den Linken. Außerdem müsse die Bundesregierung Druck auf Tadschikistan machen, damit die „abgeschobenen Oppositionellen freikommen und nach Deutschland zurückkehren können“.
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