Abschiebung: Flucht in die Psychiatrie
In Hamburg hat ein Flüchtling versucht sich umzubringen, nachdem er rechtswidrig in Abschiebehaft saß.
Arjan Talebian Haidari demonstriert am Rande der Innenministerkonferenz in Hamburg. Sie ist still. Schüchtern winkt sie den vorbeifahrenden Autofahrern zu, die der Aufforderung auf den Plakaten der "Jugendlichen ohne Grenzen" folgen und "gegen Abschiebungen" hupen. Arjan Haidari macht sich Sorgen um ihren Ehemann. Am Morgen des 16. Februar findet sie Atiq Haidari blass und zitternd, nach Luft ringend und ruft einen Krankenwagen. Neben dem Bett liegen Tabletten. An diesem Tag hatte der 27-Jährige einen Termin am Flughafen: Er sollte zurück nach Schweden gebracht werden.
Als seine Eltern 1999 von einer Bombe getötet werden, flüchtet der 27-jährige Afghane nach Deutschland zu seinem Onkel und seiner Schwester. Als 2005 der Abschiebestopp aufgehoben wird, flieht Haidari weiter nach Schweden, wo er erstmalig einen Asylantrag stellt. Die Chancen stehen schlecht. Im November 2009, einen Monat bevor er Arjan Talebian heiratet, kehrt er zurück nach Deutschland und beantragt erneut Asyl. Was er nicht weiß: Schweden ist nach wie vor für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig. "Ein Bescheid hätte ihn darüber in Kenntnis setzen sollen, dass sein Antrag laut dem Dublin-System unzulässig ist und er nach Schweden abgeschoben wird", sagt der Anwalt von Atiq Haidari, Peter Fahlbusch. Der Bescheid aber erreicht ihn nie.
Nachdem sich Haidari am Tag der geplanten Abschiebung nicht rechtzeitig einfindet, will die Polizei ihn in seiner Asylunterkunft in Hildesheim abholen. Weil er nicht anwesend ist, gilt er als untergetaucht und wird bei nächster Gelegenheit in Abschiebehaft genommen. Das Amtsgericht Hannover stellt erst bei der dritten Haftprüfung fest, dass Haidari rechtswidrig in Abschiebehaft sitzt, weil ihm der Bescheid über den Abschiebetermin nicht korrekt zugestellt wurde. Noch in seiner Zelle bekommt er den Bescheid "nachgereicht", dass sein Asylantrag in Deutschland unzulässig ist - und gleich den nächsten Termin für die Abschiebung nach Schweden.
Haidari kann nicht mehr. Am Tag des Abschiebetermins versucht er sich das Leben zu nehmen. Jetzt sitzt er im Psychiatrischen Krankenhaus Hamburg-Ochsenzoll. So lange er als selbstmordgefährdet gilt, kann er nicht abgeschoben werden.
Anwalt Fahlbusch sagt, nach europäischem Recht könne Deutschland das Asylverfahren eines kranken Flüchtlings an sich ziehen. Das Bundesamt für Migration hat das im Fall Haidari bislang nicht getan.
Arjan Haidari besucht ihren Mann jeden Tag. Sie hat den Eindruck, dass es ihm von Tag zu Tag schlechter geht. Sie hat sich an den Eingabenausschuss der Hamburger Bürgerschaft gewandt, um doch noch ein Bleiberecht für ihren Mann zu erwirken. "Für ihn würde ich bis zur letzten Sekunde kämpfen", sagt die 20-jährige Schülerin.
Bald schreibt sie ihr Abitur, doch mit den Gedanken ist sie bei ihrem Mann.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Preiserhöhung bei der Deutschen Bahn
Kein Sparpreis, dafür schlechter Service
Bis 1,30 Euro pro Kilowattstunde
Dunkelflaute lässt Strompreis explodieren
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Krise bei Volkswagen
1.000 Befristete müssen gehen
Housing First-Bilanz in Bremen
Auch wer spuckt, darf wohnen
Ansage der Außenministerin an Verbündete
Bravo, Baerbock!