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Abschiebung von politischen FlüchtlingenEin Dasein in der Warteschleife

Das Ehepaar Ates floh vor der PKK und Folter aus der Türkei nach Deutschland. Doch hier sollen sie nicht bleiben - obwohl sie beide unter psychischen Krankheiten leiden.

Willkommen in Deutschland? Der Abschiebeknast Grünau in Berlin. Bild: dpa

Wenn Mahmut Ates spricht, wandert sein Blick unruhig im Gesicht seines Gegenübers umher. Er hat Schmerzen, für die kein Arzt eine Ursache findet, vor seinen Augen spielen sich Szenen ab, die außer ihm niemand sieht.

Seine Wohnung gleicht der von Tausenden anderen Asylbewerbern, die aus dem Heim in eigene vier Wände ziehen durften. Eine Plattenbausiedlung am Stadtrand von Bergen auf Rügen, ein muffiger Treppenflur, im Wohnzimmer eine Sitzgarnitur aus dem Sozialkaufhaus. Den größten Teil des Tages sitzt Mahmut Ates in einer Sofaecke. Neben ihm läuft der Fernseher mit dem erst kürzlich von der türkischen Regierung zugelassenen türkisch-kurdischen Programm TRT 6. Der Ton ist runtergedreht.

Das Leben von Mahmut Ates war mal heller, bunter und lauter. In seinem Wohnzimmer lehnt eine Fotografie. Mahmut ist fünf Jahre alt und steht mit seinen drei Brüdern vor einer Steinmauer im osttürkischen Sand, der Himmel ist noch viel blauer als seine Gummistiefel.

Anfang der Neunziger Jahre spitzt sich der Konflikt zwischen türkischem Militär und PKK in der Osttürkei zu. Mit 16 drängen ihn seine Eltern in Balova, seinem Heimatort in der Nähe von Mardin im Südosten der Türkei, zur Heirat. Bei verheirateten Männern mit Kindern ist die Chance größer, dass die PKK sie in Ruhe lässt. Mahmut Ates heiratet, aber es hilft nicht viel. 1994, 19-jährig, gewährt er PKK-Aktivisten Unterschlupf. Seine Frau Gurbet Ates kocht für die Männer. Mahmut Ates sagt, sie hätten keine Wahl gehabt. Wer Kurde sei und die PKK nicht unterstütze gelte als Verräter.

Die PKK

International: Die verbotene Arbeiterpartei Kurdistans, PKK (Partiya Karkeren Kurdistan), kämpft seit 1984 für einen eigenen Staat der Kurden oder zumindest ein Autonomiegebiet im Südosten der Türkei. Dabei hat sie auch Anschläge in Touristengebieten verübt. Die PKK gilt auch in der EU und den USA als Terrororganisation. Bislang starben in der Auseinandersetzung zwischen dem türkischem Militär und der PKK bis zu 37.000 Menschen. Der Nordirak gilt als ihr Rückzugsgebiet. 1999 wurde ihr Anführer Abdullah Öcalan festgenommen, der seitdem in einem türkischen Gefängnis auf einer Insel im Marmarameer sitzt. Das Antifolterkomitee des Europarats hatte in den vergangenen Jahren mehrmals die Einzelhaft für den Gründer der Partei kritisiert.

Deutschland: Die PKK sammelt in Deutschland laut Verfassungsschutz nach wie vor Geld für den bewaffneten Kampf in den Kurdengebieten. Sie soll 11.500 Anhänger unter den mehr als 500.000 im Bundesgebiet lebenden Kurden haben. Im Jahr 1993 war die PKK in Deutschland nach einer Anschlagsserie verboten worden.

Er nennt es "die Krankheit"

Zwischen 1994 und 1996 sitzt Mahmut Ates zweimal, Gurbet Ates dreimal wegen ihrer Unterstützertätigkeit für die verbotene Organisation im Gefängnis. 1996 raunt ihm ein Bekannter zu, sein Name stehe auf einer Todesliste. Überstürzt fahren Mahmut und Gurbet Ates nach Istanbul. Wenige Wochen später sitzen sie in einem Flugzeug nach Düsseldorf. Ihre drei Kinder lassen sie zurück. Eines wird später nachreisen, die anderen beiden leben nach wie vor bei den Großeltern.

Die Ates versuchen ein neues Leben auf der Insel Rügen. Sanddorn und Seebäder, jedes Jahr beherbergt die Insel über eine Million Gäste. Mahmut und Gurbet Ates waren noch nie am Strand, noch nie an den Kreidefelsen oder an Rügens hügeliger Südostküste. Sie bekommen drei weitere Kinder. Sie sagen, um den Verlust der ersten beiden zu verwinden. Sie lernen ein bisschen Deutsch und bemühen sich um eine eigene Wohnung.

2003 kommt die erste Abschiebeankündigung. Bei Mahmut Ates bricht das aus, was er "die Krankheit" nennt. Seither fühlt er sich nirgendwo sicher, kann nur noch mit Tabletten schlafen, verlässt das Haus nicht mehr. Er leidet unter Flash-Backs und Albträumen, in denen er Gefängnisaufenthalt und Folter immer wieder neu erleben muss. Für Mahmut Ates bedeutet das, keinen Frieden zu finden, seinen Peinigern nicht entkommen zu können, nicht einmal hier, auch nicht in Deutschland. Es fühlt sich an als würde nach 13 Jahren alles noch einmal geschehen, jeden Tag aufs neue. "Ich habe keine Ruhe, nie", sagt Mahmut Ates.

Seiner Frau Gurbet Ates geht es ähnlich. Im August 2006 fährt sie zu einer Fachärztin für Psychotherapie nach Bochum, die sie mithilfe einer Übersetzerin in vier Sitzungen interviewt.

Wurden sie auch festgenommen?

"Ja drei mal."

Beschreiben sie mir bitte, wie der Ablauf im Gefängnis war?

"Die hatten mir meine Augen verbunden. Die haben mich ausgezogen, mit kaltem Wasser bespritzt. Ich habe das nicht bei den deutschen Behörden gesagt, auch nicht meinem Mann, aber ich muss es endlich einmal sagen: Ich bin auch vergewaltigt worden. Ich glaube nicht, dass es möglich sein wird, dass ich das jemals vergessen kann."

Die Fachärztin schreibt ein Gutachten für die Ausländerbehörde: "Da eine Rückreise den Krankheitszustand erheblich verschlechtern würde, ist aus medizinischer Sicht auf keinen Fall von einer bestehenden Reisefähigkeit auszugehen."

Im Januar 2008 schickt die Ausländerbehörde Rügen die zweite Abschiebeankündigung.

Wenige Tage später wird Gurbet Ates von ihrem Ehemann bewusstlos aufgefunden, neben sich eine Reihe leerer Tablettenpackungen. In dem Aufnahmebericht der Hanse-Klinik heißt es: "Vor dem Hintergrund der drohenden Abschiebung kam es bei der Patientin zu einer depressiven Dekompensation mit Suizidversuch."

Amnesty International meldet in einem aktuellen Länderbericht für die Türkei "Folterungen und andere Misshandlungen sowie exzessive Gewaltanwendung durch die Sicherheitskräfte". Zudem sei "die strafrechtliche Verfolgung von Menschenrechtsverletzungen (...) unzureichend und ineffektiv. Nach wie vor bestanden Zweifel an der Fairness vieler Gerichtsverfahren."

Nach einem abgelehnten Asylverfahren ist es die Ausländerbehörde, die aus humanitären Gründen die Abschiebung verhindern, ein Bleiberecht aussprechen oder den Aufenthalt erleichtern kann.

Die Abschiebandrohung für Familie Ates bleibt nach dem Suizidversuch von Gurbet Ates jedoch bestehen. Bevor die Familie abgeschoben werden kann, müssen die in Deutschland geborenen Kinder bei der türkischen Botschaft registriert werden. Insgesamt dreimal muss Mahmut Ates zur Registrierung nach Berlin fahren. Die Fahne, das Bild von Atatürk an der Wand des Konsulats lösen bei ihm einen akuten Traumaschub aus. Er sieht sich plötzlich wieder im Gefängnis, in den Raum in dem er nackt ausgezogen, an die Decke gehängt und mit kaltem Wasser übergossen wurde. Er hört die Stimmen seiner Folterer und fühlt die Fesseln an den Handgelenken.

Am 27.6. 2008 schreibt Mahmut Ates einen Brief an Hans-Eberhardt Schulz, Rechtsanwalt für Demokratie und Menschenrechte in Berlin. Die Druckbuchstaben neigen sich mal in die eine, dann in die andere Richtung: "Sehr geehrter Herr Schulz, am 19.6. 08 kam die Polizei um 6.15 zu mir nach Hause. Wie jedes Mal wollten sie mich nach Berlin ins türkische Konsulat bringen. Und ich hatte Angst, als ich die Polizei gesehen habe. Dann habe ich mich sofort bei ihnen gemeldet, damit ich weniger Angst habe. Dann hat mich die Polizei mit Zwang mitgenommen." Bei seinem dritten Besuch im türkischen Konsulat wird Mahmut Ates schließlich eröffnet, dass er zunächst ohne seine Familie abgeschoben werde.

Mahmut Ates kann nachts nicht schlafen, tagsüber gelingt es ihm nur mit Schlaftabletten. "Ich schäme mich", sagt er, "ich bin ein schlechter Vater. Meine Kinder kommen von der Schule nach Hause und fragen mich, warum ich nicht arbeite wie andere Eltern. Ich sage ihnen, dass ich krank bin. Sie denken, das ist eine Ausrede."

In einer Stellungnahme an das Verwaltungsgericht Greifswald legt die zuständige Sachbearbeiterin nahe, dass es sich bei den Depressionen und Traumatisierungen um "banale Alltagsverstimmungen" handle, zweifelt die ärztlichen Atteste an und legt als Beweis Ausdrucke der Online-Enzyklopädie Wikipedia bei. Die Sachbearbeiterin resümiert, "es könnte innerhalb einer Woche der Flug gebucht werden", um Mahmut Ates alleine und ohne seine Familie in die Türkei abzuschieben.

In den vergangenen Jahren wurden in Ausländerbehörden in Mecklenburg-Vorpommern wiederholt Fälle von Machtmissbrauch öffentlich. In Anklam verkaufte eine Mitarbeiterin der Behörde Aufenthaltserlaubnisse an vietnamesische Flüchtlinge, in Demmin demonstrierten die Mitarbeiter ihren Machtanspruch mit Gaspistolen. In einem Rechtsumfeld, das Entscheidungen über Leben und Tod dem Ermessensspielraum Einzelner überlässt, die oft selbst in einem Umfeld latenter Fremdenfeindlichkeit verwurzelt sind, geschieht Missbrauch von Macht jedoch meist viel subtiler.

Schulz erklärt die Sachbearbeiterin für befangen und erhebt eine Dienstaufsichtsbeschwerde. Gutachten bescheinigen erneut die Traumatisierungen der Eheleute und die erhöhte Suizidgefahr im Falle einer Abschiebung. In ihrem Gutachten vom 16.10.2008 kommt die Ärztin Manuela Dudeck aus Stralsund zu dem Schluss: "Wir raten von einer Abschiebung des Patienten ab und befürworten eine engmaschige psychotherapeutische Behandlung vor Ort."

Findige Sachbearbeiter

Die Sachbearbeiterin der Ausländerbehörde schreibt in einem Brief an den Rechtsanwalt der Familie, sie habe herausgefunden, dass "in der Türkei Medikamente, insbesondere Psychopharmaka vorhanden und erhältlich sind, sogar "schwere" Medikamente." Einer Abschiebung steht für die Ausländerbehörde somit nichts mehr im Weg.

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6 Kommentare

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  • A
    anna

    @aso:

    Bei Asylbewerbern geht es aber doch überhaupt nicht daraum, ob diese der deutschen Gesellschaft als Arbeitskräfte nützlich sein können.

     

    Das Asylrecht ist ein humanitäre Regelung, die Menschen schützt, die in ihrer Heimat bedroht sind.

    Und Menschen abzuschieben, die Folter und Vergewaltigung durch türkische Staatskräfte erlebt haben und bei denen die Angst davor, in die Türkei zurückzumüssen, das bestehende Trauma wieder verschärft, zeugt einfach nur von Zynismus und Menschenverachtung.

     

    Dass in der Türkei immer noch gefoltert wird, ist auch bekannt (siehe ai-Bericht).

  • A
    aso

    @ Michael Klein:

    Da sind sie scheinbar nicht auf dem aktuellen Stand. Die Einführung des Punktesystems wurde bisher in D verpennt. Dies führte dazu, daß:

    „...Die Zuwanderer in Deutschland verfügen dagegen sogar über niedrigere Bildungsabschlüsse als ihre Landsleute daheim...“:

    http://www.uni-protokolle.de/nachrichten/id/150218/

    Die Familie Ates ist nicht unerwünscht, sondern erfüllt ganz einfach nicht die Voraussetzungen für den Asylantrag.

  • MK
    Michael Klein

    @aso!

    "Was den Umgang mit Migrannten und Flüchtlingen aus Lybien angeht, scheint sie den Wünschen der Mehrheitsbevölkerung entsprechebn!"

    Mit diesen Worten haben Sie leider recht, wobei man sagen muss, dass die Volkseele, ob nun deutsch, östereichisch, italienisch usw. alles andere als gesund ist, im Gegenteil! Schon in der WEimarer Republik war die Errichtung von Abschiebegefängnissen und Internierungslagern von jüdischen Migrannten aus Polen und Russland ganz im Sinne des überwiegenden Anteiles der Deutschen Bevölkerung! Leider ist das Volk nicht daran interessiert aus der Geschichte zu lernen und die Konsequenzen zu ziehen!

     

    Das Punktesystem von dem Sie sprechen, existiert auch schon lange bei uns! Erwünscht sind nur Migrannten, die unsrem Lande Profit und Geld bringen, die anderen wie hier die Familie Ates ist unerwünscht und hat gefälligst zu verschwinden! Deutschland rückt immer mehr nach rechts, und die Grenze zwischen rechtskonservativ und rechtsradikal sind sehr dünn und fließend!

  • A
    aso

    @ Michael Klein:

    Ich sagte doch: wenn in der Türkei solche Zustände herrschen (die aber gegen die EU-Aufnahmekriterien sprächen), dann wären alle Kurden asylberechtigt und müßten nach D geholt werden.

    Sozialleistungen sind im Vergleich zum im Heimatland zu erzielendem Verdienst so hoch, daß die Motivation für Geld noch zu arbeiten entsprechend gering sein dürfte.

    Daß man gerne arbeiten würde, muß man schon allein sagen, um keine Leistungssperren zu erhalten. Der Wahrheitsgehalt solcher Aussagen ist kaum überprüfbar.

    Hinzu kommt in der Regel mangelnde Ausbildung. In solchen Fällen spricht man von Einwanderung ins Sozialsystem, was in dieser Form nur in D möglich ist, da andere Länder längst ein Punktesystem eingeführt haben.

    Bei dem Punktesystem handelt es sich aus Ihrer Sicht sicher schon um Menschenrechtsverletzungen, also besser Grenzen auf für alle gell?

    Mit der Politik unter Berlusconi muß man nicht in allen Fällen konform gehen.

    Was den Umgang mit Migranten und Flüchtlingen aus Lybien angeht, so scheint sie den Wünschen der Mehrheitsbevölkerung zu entsprechen.

  • MK
    Michael Klein

    @aso!

    Was sollen Ihre zynischen Bemerkungen "Wenn man von Sozialleistungen hier leben kann und wieder eine Abschiebung droht, wen würde das nicht krank machen?" Wollen Sie den betreffenden Personen daraus einen Vorwurf machen? Die meisten Migrannten würden gerne arbeiten, aber sie erhalten von der Ausländerbehörde keine Arbeitserlaubnis, also sind sie mehr oder weniger gezwungen Transferleistungen zu beziehen! Manche arbeiten nebenbei schwarz, und da handelt es sich um Arbeiten, für die sich unsere sauberen Deutschen zu schade sind, ich selbst würde es im Übrigen auch nicht tun! Und was hat das ganze mit dem EU-Beitritt der Türkei zu tun? Dieser Fall zeigt doch nur zu deutlich, dass Menschenrechtsverletzungen auch bei uns stattfinden, und dieser Fall ist nur die Spitze des Eisberges! Wenn man es so sieht, dann gehört auch Italien nicht in die EU, denn was für eine rassistische und faschistoide Politik unter Berlusconi betrieben wird ist, um es harmlos auszudrücken ekelerregend!

  • A
    aso

    „...Amnesty International meldet in einem aktuellen Länderbericht für die Türkei "Folterungen und andere Misshandlungen sowie exzessive Gewaltanwendung durch die Sicherheitskräfte"...:

     

    Wie ist es dann möglich, daß bei solchen Zuständen sich Linke und Grüne so vehement für den EU-Beitritt der Türkei stark machen?

    Haben die die Phantasie, daß das (und einiges andere) aufhört, sobald die Türkei in der EU ist?

    Da sich die Kurden nicht der PKK entziehen können, da sie sonst als Verräter gelten, und alle Kurden von türkischer Folter bedroht sind, gibt es nur die logische Schlußfolgerung: D muß alle türkischen Kurden aus gegebenen Asylgründen aufnehmen.

    Und wenn man hier von Sozialleistungen leben kann, und dann wieder eine Abschiebung droht: Wen würde das nicht krank machen?

    Natürlich sind Medikamente und Therapie auch in der Türkei vorhanden. Aufgrund des kulturellen und islamischen Backgrounds sollten dort auch weniger kommunikative Mißverständnisse auftreten.