Absage der Leipziger Buchmesse: Tiefe Seufzer in der Branche
Die Leipziger Buchmesse fällt auch in diesem Jahr aus. Die coronabedingte Entscheidung trifft ausgerechnet ein hochinteressantes Frühjahrsprogramm.
Das war eine echt trostlose Woche für die Literatur. Zuerst musste die prachtvoll renovierte Berliner Staatsbibliothek Unter den Linden, ein wahrer Tempel der Bildung, rein digital eröffnet werden. Dann wurde bekannt, dass der WDR die täglichen Literaturbesprechungen streicht. Und schließlich kamen noch die Eilmeldungen: Die Leipziger Buchmesse wird auch dieses Jahr abgesagt, wie 2020 auch schon.
Leipzig, das war für die Buchbranche so etwas wie das Licht am Ende des Tunnels von Lockdown und Veranstaltungsabsagen. Der tiefe Seufzer, der – bei aller Einsicht in ihre Notwendigkeit – nach der Verkündigung der Entscheidung durch die gesamte Literaturszene lief, war bis ins Homeoffice zu hören, in dem man coronabedingt hockt und nun also einen möglichst unzerknirschten Text darüber schreiben muss. Immerhin erfolgte die Absage frühzeitig, sodass sich alle Beteiligten darauf einstellen können.
Für die Frühjahrsprogramme der Verlage bedeutet das, daran gibt es wenig zu deuteln, fehlenden Rückenwind. Die Autor*innen haben geschrieben, die Verlage produzieren weiterhin fleißig, und zwar gute Sachen. Das wird ein gutes literarisches Frühjahr werden.
Neuerscheinungen von Bernardine Evaristo und Tove Ditlevsen werden jetzt schon breit wahrgenommen. Die bald erscheinenden Romane von Sharon Dodua Otoo, Monika Helfer, Helga Schubert, Mithu Sanyal und Christian Kracht (um nur ein paar zu nennen) werden auch viel diskutiert werden. Viele Beobachter warten auch schon auf den Debütroman „Wie die Gorillas“ von Esther Becker. Mit der Buchmesse fehlt ihnen allen ein wichtiger Resonanzraum.
Eine Buchmesse – und das gilt sowohl für die Leipziger wie für die Frankfurter Messe – ist eben keineswegs nur ein Branchentreff oder eine Gelegenheit für Bücherinteressierte, sich aufmerksam umschauend in Messehallen gegenseitig auf die Füße zu treten. Sie ist auch eine Möglichkeit, ach was, ein Anker, ein Fels, um daran eine breite und öffentlichkeitswirksame Berichterstattung über literarische Neuerscheinungen (und allerlei Gossip) anzuhängen.
Der Anker wird fehlen
Dieser Anker wird jetzt fehlen, was auch immer die Verantwortlichen der Leipziger Messe an Alternativveranstaltungen organisieren werden. Überhaupt. Das wird jetzt bereits das dritte literarische Programm in Folge sein, das im Wesentlichen ohne die in der Branche doch so wichtigen Präsenzveranstaltungen auskommen muss, nachdem 2020 auch die Frankfurter Buchmesse zum großen Teil ins Digitale verlegt worden ist.
Zwar sind aus der Branche keineswegs nur Katastrophenmeldungen zu hören. Bevor der zweite Lockdown Ende des vergangenen Jahres zuschlug, hatten sich die Buchverkäufe erholt. Das in Deutschland immer noch sehr dichte Netz an engagierten mittleren Buchhandlungen kann viele Folgen der Pandemie abfedern.
Das Businessmodell überdenken
Doch was geschehen wird, wenn die coronabedingten Beschränkungen noch sehr lange anhalten müssen, weiß niemand. So hat sich die gesamte Branche viele Jahre lang darauf ausgerichtet, dass die Autor*innen einen für sie wesentlichen Anteil an Honoraren aus Lesungen und sonstigen Live-Events erzielen. Auch bekannte Schriftsteller*innen müssen nun, kühl gesagt, ihre Businessmodelle überdenken.
Und wie das Beispiel des WDR zeigt – wo für freie Literaturkritiker mal eben Hunderte von Aufträgen weggefallen sind -, kann sich niemand in der Branche eines solidarischen Verhaltens untereinander sicher sein.
Zu viele Unwägbarkeiten
Auch aus diesen Gründen haben sich die Verantwortlichen der Leipziger Messe die Absage nicht leicht gemacht. „Wir bedauern sehr, dass die Leipziger Buchmesse nicht stattfinden kann. Die Verantwortlichen hatten eine schwierige Entscheidung zu treffen, die angesichts der zurzeit unklaren Coronaperspektiven verständlich ist“, erklärte die Vorsteherin des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, Karin Schmidt-Friderichs.
Was bleibt, ist tatsächlich so ein trauriges Verständnis für die Absage. Der übliche Termin der Buchmesse im März war schon vor Monaten auf Ende Mai verschoben worden, aber auch der war angesichts aller Unwägbarkeiten nicht zu halten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Pressefreiheit unter Netanjahu
Israels Regierung boykottiert Zeitung „Haaretz“