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Abrechnung mit einem Mythos

■ Die Wehrmachtausstellung ist ab heute in der Unteren Rathaushalle in Bremen zu sehen

Die Positionen sind klar, es ist eigentlich alles gesagt. Allein das Presseecho auf die seit zwei Jahren durch Deutschland und Österreich tingelnde Ausstellung „Vernichtungskrieg – Verbrechen der Wehrmacht“ist ordnerschwer. Bleibt eine Meldung: Ab dem heutigen Vormittag, Schlag zehn Uhr, ist die Schau in der unteren Halle des Bremer Rathauses zu sehen. Begleitet vom anschwellenden Budenzauber des Stadtfestes werden heute und am kommenden Wochenende hunderte von Neugierigen das tun, was sich der Ausstellungsmacher Hannes Heer nach der ganzen Debatte wünscht: „Hinsehen.“Ende der Meldung. Anfang des Textes. Denn wir sahen hin und fanden: Noch ist nicht alles gesagt.

Denn Bremen ist etwas Besonderes. Und das gleich dreifach. „Nirgendwo hat es vor der Ausstellungseröffnung eine so ausführliche Debatte gegeben“, erklärte Hannes Heer bei der Vorbesichtigung. „Nirgendwo gab es eine so intelligente Berichterstattung in der regionalen Presse, und nirgendwo war die inhaltliche Vorbereitung so intensiv.“Das macht sachkundig. Doch das kann abstumpfen. Dennoch rechnet der Bremer Mitveranstalter und Leiter der Landeszentrale für politische Bildung, Herbert Wulfekuhl, in den nächsten sechs Wochen mit mindestens 30.000 BesucherInnen aus ganz Norddeutschland. Mit Hilfe der Polizei und eines rund um die Uhr tätigen privaten Sicherheitsdienstes wollen Wulfekuhl und Co unliebsame Gäste von Rathaus und Ausstellung fernhalten, kündigte er an. Und an die Adresse aller anderen, die sich ihre Verständnislosigkeit nicht rauben lassen wollen, erklärte Wulfekuhl: „Diese Ausstellung ist ein Angebot – niemand ist gezwungen, sie sich anzusehen.“Doch vielleicht gibt es eine Art Zwang – ausgelöst durch ein gezielt verletztes Tabu.

Am Anfang der Mythos. Vorbereitet durch den Hinweis des Bremer Senats gegen pauschale Urteile über die Wehrmacht und durchgeschleust durch ein Drehkreuz, gibt sich die Ausstellung gleich anfangs provozierend. Buchdeckel, Plakate oder die Titelblätter der „Kristall“-Hefte aus den 50er und 60er Jahren feiern die Ideologie von der unschuldigen Wehrmacht. Viele Gesichter des Krieges seien damals gezeigt worden, heißt es in der Unterzeile, doch „der Vernichtungskrieg wurde nicht thematisiert“.

Kein Mythos hält sich hartnäckiger als der von der 6. Armee, deren Beitrag zum „Unternehmen Barbarossa“im Winter 1943 bei Stalingrad endete. „In diesem Opfermythos lebt Joseph Goebbels Propaganda fort“, weiß Hannes Heer. Sein Konzept zertrümmert ihn. Es ist, als ob hier die viel zu selten beantwortete Frage der Kinder an Eltern und Großeltern, die Frage „was hast du getan“, als Inszenierung neu gestellt wird. Denn auf die Coverbilder strahleblonder Landser folgen die Karte mit dem Vormarschgebiet der 6. Armee und die ersten von vielen Fakten. Dokumente, Briefe und – Bilder weisen nach, wie in der ehemaligen Sowjetunion und in Serbien aus dem Krieg ein Vernichtungskrieg unter Beteiligung der Wehrmacht wurde. Eine Wucht von Fakten, die aus deutschen, polnischen oder russischen Archiven zusammengetragen wurden, bricht da in der fast sperrig präsentierten Schau auf die AusstellungsbesucherInnen ein. Doch es ist die Inszenierung am Ausstellungseingang, die bewußt spaltet und den Landsermythos in sein Gegenteil verkehrt. Und das eigentlich Erschreckende ist, daß sie in diesem Land noch heute mit derartigen Folgen spalten kann. ck

Die Ausstellung „Vernichtungskrieg – Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944“ist bis zum 3. Juli in der Unteren Rathaushalle zu sehen. Öffnungszeiten: täglich von 10 bis 18 Uhr. Eintritt sechs (ermäßigt: vier) Mark. Führungen: montags bis sonnabends um 15 und um 16.30 Uhr sowie sonntags um 11 Uhr. Telefonische Anmeldung für Gruppen unter 361 29 22 oder 361 27 00. Das umfangreiche Begleitprogramm ist in der Ausstellung erhältlich.

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