Sinkende CO₂-Emissionen: Aber in China!
Die chinesische Regierung sorgt dafür, dass die CO₂-Emissionen sinken. Erleben wir eine neue Ära im Kampf gegen die Erderhitzung?

Aber in China – dieses Argument gibt es ja auch – gehen weiterhin neue Kohlekraftwerke ans Netz. Von einer globalen Führungsrolle im Klimaschutz will die Führung der Kommunistischen Partei nicht sprechen. Und der Handelskonflikt mit den USA bringt noch mal alles durcheinander. Kann der chinesische Emissionsgipfel des Frühjahrs ein nachhaltiger Erfolg sein?
Lauri Myllyvirta sagt: Ja. Er ist China-Analyst beim Centre for Research on Energy and Clean Air (Crea) und hat den Emissionsrückgang in einem Beitrag im Fachportal CarbonBrief festgestellt. „Wenn die aktuellen Trends beim Erneuerbaren-Zubau, dem E-Auto-Verkauf und der Energienachfrage sich fortsetzen, dann sind die Bedingungen für einen strukturellen Emissionsgipfel da“, sagt er.
„Strukturell“ heißt, dass nicht wie nach der Finanzkrise 2008 die Emissionen zurückgehen, weil die Wirtschaft einbricht und weniger Energie verbraucht wird. Sondern dass die Erneuerbaren so stark wachsen, dass sie die steigende Nachfrage nach Strom abdecken und, mehr noch, Fossile aus dem Strommix verdrängen: Während chinesische Unternehmen und Verbraucher*innen im ersten Quartal 2025 nach 2,5 Prozent mehr Strom verlangten als im Vorjahr, nahmen die Emissionen aus der Stromerzeugung um 5,8 Prozent ab – weil trotz dieser wachsenden Nachfrage weniger Kohle und Gas verbrannt wurden.
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Gigantische Subventionen und ein harter Wettbewerb
2024 brachte China Windkraftanlagen mit einer Leistung von 80 Gigawatt ans Netz, neue Solaranlagen steuerten schwindelerregende 278 Gigawatt bei – in Deutschland waren es etwa 20. In China gingen 2023 und 2024 zwei Drittel der Leistung der weltweit installierten Wind- und Solarkraft ans Netz, in Europa ein Achtel. Zieljahr der chinesischen Regierung für den Emissionsgipfel ist 2030. Das Tempo, mit dem das Land auf Erneuerbare baut, hat ihr fünf Jahre Vorsprung beschert.
Erreicht hat die chinesische Regierung das nicht wie in der EU durch einen hohen CO₂-Preis, den die CDU „Leitinstrument“ ihrer Klimapolitik nennt, sondern durch gigantische Subventionen, kombiniert mit einem harten Wettbewerb zwischen einheimischen Firmen.
„Das ‚Aber China‘-Argument war schon immer grundfalsch“, sagt Claudia Kemfert, Energieökonomin am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). Chinesische Firmen gingen auf grünen Märkten „wahnsinnig aggressiv“ vor: Durch die extrem niedrigen Preise entstehe ein „ruinöser Wettbewerb“. Aber an der chinesischen Dominanz bei Erneuerbaren- und E-Autos sehe man, dass „sie ernten, was sie säen“, sagt Kemfert. In Deutschland hingegen hätten die Regierungen die Unternehmen und Arbeitsplätze ziehen lassen, statt sie ebenfalls zu fördern. „ ‚Aber China‘ müsste eigentlich umgewandelt werden in ‚Seht mal nach China‘ “, sagt Kemfert.
„Die Zentralregierung in Peking scheint ein Geschäftsmodell für einen 'nachhaltigen’ CO₂-Rückgang zu wollen“, erklärt Wanyuan Song, China-Expertin bei CarbonBrief. In China funktioniere die Zentralregierung wie der Kopf, der Pläne vorgibt. Die Provinz- und Stadtregierungen seien „Arme und Beine“, die, mit einiger Freiheit, für die Umsetzung zuständig sind, sagt Song. Sie förderten die Ansiedlung von Wind- und Solarparks oder Batteriefabriken, um die lokale Wirtschaft zu stärken und Zieleinhaltungen an ihre Vorgesetzten melden zu können.
Kohle geht nur mit den Erneuerbaren zusammen
Das kann dazu führen, dass Daten manipuliert werden. „Ich habe kein Vertrauen in einzelne Datenquellen“, sagt Myllyvirta, „deswegen ziehe ich mir Daten aus verschiedenen Quellen.“ Er sei sicher, dass seine Ergebnisse stimmen, weil der Energiesektor sie antreibt. Dass Myllyvirta sich darüber Gedanken machen muss, zeigt aber: Politik in China ist, wie Song es nennt, „undurchsichtig“. Und da kommt die Kohle ins Spiel.
Einer Erhebung von Crea zufolge begannen in China 2024 die Bauarbeiten für Kohlekraft-Projekte mit einer Kapazität von 94,5 Gigawatt. Das ist zwar deutlich weniger als bei Erneuerbaren, aber macht 93 Prozent der weltweiten Kohle-Baustarts aus. Weil Strom aus Wind und Sonne deutlich billiger ist, werden diese Kraftwerke sich kaum je rechnen.
Um das zu verstehen, muss man die Äußerungen der Nationalen Entwicklungs- und Reformkommission kennen, die für die Wirtschaftsplanung verantwortlich ist. Sie spreche viel von „Energiesicherheit“, sagt Song. Gemeint ist: Nur Kohle und Erneuerbare zusammen könnten den rasant wachsenden Strombedarf Chinas decken.
Und dann sind da die USA, der weltgrößte Ölförderer. Die Rivalität der beiden Weltmächte macht Kohle für China noch wichtiger, denn die Chemieindustrie versucht, Ölimporte mit heimischer Kohle zu ersetzen. Der Sektor ist deshalb der Einzige, dessen CO₂-Ausstoß im Frühjahr nicht gesunken ist. Der Konflikt kann aber auch Emissionen verringern. Denn um die sehr exportorientierte Wirtschaft vor Trumps Zöllen zu schützen, setzt die chinesische Regierung auf mehr Konsum im eigenen Land statt wie bisher auf Exportindustrie und Infrastrukturinvestitionen.
„Konsum privater Haushalte ist weniger emissionsintensiv“, sagt Myllyvirta. Die Chines*innen würden dann zum Beispiel mehr Geld für ihre Gesundheit ausgeben, sich ein iPhone oder neue Sneaker kaufen. Das sei besser fürs Klima als neue Brücken oder Fabriken. „Das ist manchmal schwer zu verstehen für Umweltschützer im Westen, wo privater Konsum als Wurzel allen Übels angesehen wird.“
Bis September will Peking ein neues Klimaziel ausgeben
Obwohl China sein Emissions-Gipfel-Ziel 2030 nach derzeitigem Trend einhält, wird es sein Ziel wohl verfehlen, bis 2030 den CO₂-Ausstoß je Dollar Wirtschaftsleistung um über 65 Prozent gegenüber 2005 zu reduzieren – ein Ziel, seine Emissionen in absoluten Zahlen zu verringern, hat sich das Land gar nicht erst gesetzt. „Um auf einen Kurs zu kommen, der auf einer Linie mit dem Pariser Klimaabkommen ist, müsste China den Bau von Kohlekraftwerken in diesem Ausmaß einstellen“, sagt Kemfert. Peking müsse die Lücke einnehmen, die durch den Austritt der USA aus dem Abkommen auf internationaler Bühne entstanden ist.
Nur ist die Regierung um Präsident Xi Jinping nicht scharf darauf. „China hält sich damit zurück, von einer globalen Führungsrolle zu sprechen“, sagt Song. Bis September muss Peking ein neues Klimaziel vorlegen. „Wie viel Ehrgeiz die Regierung darin zeigt, wird enorme Auswirkungen auf den Kampf gegen die Erderhitzung haben.“
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