piwik no script img

Abchasien, Russland und RuinenIm Bund mit der Geschichte

Noch prägen Ruinen das Bild der Hauptstadt Suchumi, doch in den Cafés herrscht eine erstaunliche Weltoffenheit. Russland ist die Garantiemacht, und kein Weg führt zurück nach Georgien.

Abchasiens neue alte Ufer. Bild: Daniil DugaevCC-BY-SA

"Sie sollen sich gefälligst an uns wenden", zischt Sergei Schamba ins Telefon. Wieder war eine Beschwerde beim abchasischen Außenministerium eingegangen. Auf dem Umweg über Moskau allerdings. Eine Delegation aus Europa wartet auf die Einreise in den subtropischen Landstreifen am Schwarzen Meer. Den Visumantrag stellte sie in Moskau. "Die Europäer tun so, als gäbe es uns nicht, mal fragen sie in Moskau, mal in Tiflis an", meint Außenminister Schamba verärgert. Solche Fälle bleiben in der Visaabteilung der Republik Abchasien natürlich unbearbeitet liegen.

Nach Lesart der Abchasen ist "Apsny", wie sich das junge Staatswesen in der Landessprache nennt, längst ein Subjekt der internationalen Staatenwelt. Russland schenkte dem von Georgien abtrünnigen Sonnenflecken vor einem Jahr die Souveränität. Nicaragua folgte mit der Anerkennung auf dem Fuße und auch die Hamas im Gazastreifen zögerte nicht lange. Als Letzter hieß der Venezolaner Hugo Chávez die Mandarinenrepublik willkommen. Das baut auf, nutzt aber nicht viel. Mit den Freunden in Übersee, gesteht Schamba freimütig, gäbe es bislang wenige Überschneidungen. Moskau vertritt Apsnys Interessen im karibischen Raum.

Das Außenministerium ist in einem Flügel des Ministerrats untergebracht, es kommt mit ein paar Räumen auf einer Etage aus. Bescheiden geht es zu, der junge Staat gönnt sich keinen Luxus. Noch begnügt er sich mit dem kargen Interieur aus dem Nachlass sowjetischer Amtsstuben. Es ist der Preis für den selbst gewählten, 17 Jahre währenden Ausschluss aus dem Kreis der souveränen Staaten. Nach dem Sezessionskrieg gegen Georgien 1992/93 machte die Geschichte einen Bogen um den von der Natur verwöhnten Küstenstreifen. Die selbsternannte Republik sah sich zum Nichtstun verurteilt.

Wie zum Trotz schuf sich Apsny ein paralleles Universum, von dessen Existenz die Staatenwelt kaum etwas ahnte. Über die Unpo (Unrepresented Nations and Proples Organisation) stellte Abchasien Kontakt zur Außenwelt her. Hinter dem Kürzel verbirgt sich die über den Erdball verstreute Familie der nicht repräsentierten Völker. Nach dem Vorbild der UNO legte sich auch die Unpo Generalsekretär und Sicherheitsrat zu. Regelmäßig treffen sich die Beauftragten fürs Auswärtige solcher Ethnien wie der Rehoboth Basters aus Namibia, der Buffalo River Dene Nation, der laotischen Hmony oder der im Grenzgebiet zwischen Pakistan und Kaschmir beheimateten Gilgit-Baltistan zu Vollversammlungen. Unpo-Mitbegründer war Schambas Vize Maxim Gwindschija.

Riskante Schutzmacht

Dass Russland als Geburtshelfer und Schutzmacht auftritt, birgt Risiken. Vom selbständigen Staat am Tropf zum Protektorat ist es nicht weit. Zumal die gemeinsame Geschichte mit dem Schutzpatron nie eine wirklich ungetrübte Liebesbeziehung war. Nach dem kaukasischen Krieg im 19. Jahrhundert flohen hunderttausende Abchasen vor den russischen Kolonisatoren in die Türkei. Um die Nachfahren dieser Flüchtlinge wirbt Suchumi heute. Noch übersäen Kriegsnarben das Stadtbild. Das Amt für Repatriierung in der Sacharowstraße jedoch wurde schmuck wieder hergerichtet.

Neben dem gewienerten Messingschild ziert Abchasiens bunte Flagge die blendend weiße Fassade. "Viele Landsleute aus der Türkei haben Interesse und erkundigen sich", erzählt Denis, der vor 17 Jahren der Diaspora den Rücken kehrte und als Freiwilliger am Unabhängigkeitskrieg teilnahm. Nur ein Bruchteil geht das Wagnis aber auch ein, in die Heimat der Vorväter zurückzukehren. Die meisten lassen sich von der wirtschaftlichen Rückständigkeit und der ungewissen politischen Zukunft dann doch abschrecken, vermutet Denis. Wenn sie schon nicht bleiben, möchte man sie wenigstens als Investoren gewinnen. Schon um ein Gegenwicht zum russischen Kapital zu schaffen, das nur zu gern die einstige sowjetische Riviera aufkaufen würde. Noch immer klingt den Abchasen Wladimir Putins Sottise in den Ohren, der zu Besuch in Suchumi sinngemäß gesagt haben soll: Der Westen ignoriert euch, dann kaufen wir, und wenn er aufwachen sollte, verkaufen wir teuer weiter. "Putin sei Dank für die Offenheit, lustig fanden wir es nicht", sagt Inal Chaschig, der Chefredakteur der Tschegemer Prawda.

Noch können Ausländer keine Immobilien erwerben. "Wir sind Russland für die Unterstützung dankbar, aber ob sie selbstlos war …" Chaschig kommt ins Grübeln. "Zurzeit decken sich unsere Interessen", meint er nüchtern. Die Beziehungen zu Russland müssten so schnell wie möglich juristisch festgeklopft werden. "Wer weiß, wie Moskau in einigen Jahren zu unserer Freiheit steht?"

Der Ort Tschegem, der dem Blatt den Namen gab, ist auf keiner Landkarte zu finden. Mit der Figur des Sandro aus dem Bergdorf Tschegem schuf der berühmteste Schriftsteller des Landes Fasil Iskander ein modernes abchasisches Epos des 20. Jahrhunderts. Sandro, der bäuerliche Held, ist eine Mischung aus Don Quijote und Schwejk. Seine Geschichten sind die Geschichte eines Untergangs. Iskander beschreibt, wie die Sowjetisierung die Bergbauernkultur zerstörte und die Gebirgler nötigte, in die Ebene zu ziehen. Dort, im ethnischen Schmelztiegel, waren sie nicht mehr die Herren im Hause. Vor diesem Hintergrund erscheint der Konflikt mit Georgien als eine unausweichliche Fortschreibung derselben Passionsgeschichte.

Chaschig ist ein Vertreter der jungen Intelligenz und bekannt wie ein bunter Hund. Während des Gesprächs schüttelt der umtriebige Mittdreißiger unentwegt Hände. Es sind Leute wie er und der Menschenrechtler Bartal Kobachija, die viel dafür getan haben, dass Abchasien nach dem Krieg nicht auf den Abweg dumpfer Bauerntümelei geriet. Trotz Isolation bewahrten sich die Intellektuellen eine erstaunliche Weltoffenheit.

Chaschigs Stammcafé liegt einen Steinwurf vom Außenministerium entfernt und ist der wichtigste Umschlagplatz für Nachrichten. Wer informiert sein will, schaut wenigstens einmal am Tag auf einen türkischen Kaffee vorbei. "Ostkaffee" heißt der hier. Wie ein Wunder haben die uralten Palmen an der Promenade die Kriegswirren überstanden, auch der üppige Oleander entfaltet die alte Pracht. Früher stieß gelegentlich noch der Präsident der Republik, Sergei Bagapsch, dazu. Mit der Souveränität ist das innenpolitische Mikroklima rauer geworden. Für Außenstehende sieht es dennoch so aus, als träfe sich eine weitläufige Verwandtschaft zur Familienfeier. Natürlich trügt die Idylle. Verwerfungen und Probleme gibt es zuhauf.

Vertrackte Verhältnisse

Bei den Tributleistungen fängt der Streit an. Gegner werfen dem Präsidenten vor, den Nachbarn eilfertig und über Gebühr belohnt zu haben. Neben langjährigen Nutzungsrechten an der Eisenbahn erhielt der Ölkonzern Rosneft die alleinige Lizenz zur Ausbeutung der Ölvorkommen vor der Küste. Dabei sei die ökologische Belastung nicht bedacht worden, moniert die Opposition. Für Abchasien, das auf den Tourismus angewiesen ist und sich von russischen Zuwendungen abnabeln möchte, ist dies lebenswichtig.

Ins Fadenkreuz geriet auch das Stationierungsabkommen. Die russischen Truppen sind als Sicherheitsgaranten über alle politischen Gräben hinweg willkommen. Das neue Beistandsabkommen markiere für die meisten Menschen die Stunde null, meint Batal Kobachija. "Wir müssen keine Angst mehr haben und können endlich den Wiederaufbau angehen." Die Erleichterung ist nicht gespielt. Ausgerechnet Expremier Raul Chadschimba legt den Finger auf die Wunde.

Bei den letzten Präsidentschaftswahlen stellte ihn Wladimir Putin dem eigenständigeren Bagapsch noch als Aufpasser zur Seite. Von Beruf sei er Jurist, von Berufung aber KGB-Mann, scherzt Chadschimba im Gespräch. "Die Armee errichtet einen Staat im Staate", behauptet er. Sei das etwa Souveränität, wenn sich die russischen Streitkräfte nicht an abchasische Spielregeln halten müssten? Kaukasische Verhältnisse, vertrackt wie sie sind.

Die Unstimmigkeit rüttelt aber nicht am gesellschaftlichen Grundkonsens: Russland ist die Garantiemacht, und kein Weg führt jemals zurück nach Georgien. Auch die Rückkehr der 250.000 georgischen Flüchtlinge ist ein Tabu. Egal, was die internationale Gemeinschaft davon halten mag.

An diesem Tag steht aber nicht die Politik im Vordergrund. Bei den Weltmeisterschaften im Freistilringen holte der Abchase Denis Zargusch den Titel. Rechtzeitig zum 16. Jahrestags des Sieges über Georgien. Der Zeitungsverkäufer am Platz der Freiheit wirbt mit dem Landsmann. Nur eins schmälere den Triumph, gesteht der Ringer: Er errang den Titel für Russland, nicht für Abchasien.

Die Abchasen denken in größeren Zeiträumen. Dass sie nach mehr als tausend Jahren wieder in einem eigenen Staat leben, bestärkt sie in dem Glauben, zu guter Letzt die Geschichte doch als natürlichen Bundesgenossen auf ihrer Seite zu haben. Apropos Historie. Geschichte und Archäologie haben den Rang von Königswissenschaften. Allein vier Institute widmen sich der Vergangenheit. Deren Kenntnis fördert auch die politische Karriere.

Sergei Schamba ist nur einer von vielen promovierten Archäologen unter den Politikern. Als er die schon etwas holzstichige Arbeit zur"politischen und kulturellen Situation des antiken und mittelalterlichen Abchasiens anhand von Erkenntnissen der Archäologie und Numismatik" aus dem Schreibtisch hervorholt, leuchten seine Augen. Das Gespräch entspannt sich. "Glauben Sie mir, wir wollen eine mehrgleisige Außenpolitik fahren", sagt er zum Abschied. Der Wachmann im Ministerrat hebt beim Verlassen kurz den Kopf. Er ist in die Tschegemer Prawda vertieft, Chaschigs Oppositionsblatt. In Suchumi weht ein anderer Wind als in Moskau.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

8 Kommentare

 / 
  • AI
    Akosba Ibrahim

    Erst einmal sind es über 130.000 Abchasen die in Abchasien leben und 800.000 - 1.100.000 Abchasen Weltweit.

     

    Wir Abchasen haben ein Referandum über die Unabhängigkeit abgehalten und die große Mehrheit der Bürger Abchasiens hat sich für die Unabhängigkeit entschieden.

     

    Abchasien wirbt selbst für Russische Armeestützpunkte in Abchasien, somit ist dies für uns kein Verlusst sondern Gewinn, lach! Die ganzen amerikanischen Stützpunkte in Europa machen doch aus Europa auch keine Geisel der USA oder doch?

     

    Naja was wir im 18. und 19 Jahrhundert für Probleme mit den Bräuten der Russischen Zaren hatten, sind nicht so sehr von globaler Dimension gewesen wie die Probleme der Europäer untereinander hatten, lach! Man bedenke die ewige Feindschaft der Präusen, Frtanzosen, Engländer usw., man bedenke auch den 1. und 2. Weltkrieg! Man bedenke das Ansehen der Deutschen in Holland und auch in Frankreich ;)

     

    Macht euch mal keine Sorgen um uns, sondern um eure Zukunft, lach!

     

    Es wurden nie 7000 Menschen von den Abchasischen Kräften hingerichtet und solche Massengräber gibt es auch nicht in Abchasien. Die UNO hat ni solche Gräber gesehen und die UNO hatte nie Befehlshoheit über Abchasien, so das sie auch solche Dinge nicht hätte erkundschaften können. Die UNO angehörigen in Abchasien hatten einen reinen Beobachter Status für Militärische Bewegungen im Konfliktgebiet.

     

    Zu vereinzelnden Übergriffen kam es auf beiden Seiten, noch mehr aber durch die georgische Seite, denn diese Bestand sogar zum Teil aus eigenen Strafgefangenenmilizen, zum andere Teil aus Bürgermilizen und auch die Georgische Armee setzte zu erst alle Historischen und Kulturellen Archive Abchasiens in Brand!

     

    Der Georgische Oberbefehlshaber bekundete zu Kriegsbeginn öffentlich im Fernsehen die unmissverständliche Absicht eines totalen Völkermordes an den Abchasen! So schoss man auch absichtlich Grosse Transporthubschrauber mit vielen Kindern und Senjoren an Bord vom Himmel. Später kam es auch zu Abchasischen Übergriffen durch zivile Milizen die aber nicht auf Anordnung des Militärs agierten!

     

    Abchasien ist im Aufschwung, noch mher als es hir im Text publik gemacht wird, Investoren gibt es von Ostasien über die Arabischen Staaten bis hin nach Italien und Öserreich!

     

    Abchasien ist dabei zu wachsen und Abchasien wächst schnell!!!

  • N
    Nika

    Herr Klaus-Helge erwaehnt auch nicht dass die Zahl der Abchasen nur auf 80 000 belaeuft und die Meinung der Mehrheit der Bevoelkerung Abchasiens ueber Angehoerigkeit zu Georgien voellig ignoriert ist.

  • B
    Beobachter

    Da in Russland es ja schon die Spatzen von den Dächern pfeifen, dass Sewastopol wahrscheinlich nicht haltbar ist und Noworossirjsk nicht winterfest ist und zudem ständig versandet, muss natürlich Abchasien herhalten.

     

    Tut mir leid liebe Abchasen, nachdem erstmal die Russen euch im 18. und 19 Jahrhundert fast ausgerottet haben, Ihr die georgischen Bevölkerungsmehrheiten 1992 gewaltsam vertrieben habt, läufts doch eh wie gewohnt.

     

    Oder denkt Ihr allen Ernstes Russland möchte seine Flotte weiterhin im Ausland stationieren?

  • D
    denninger

    Tja, "Kapba" das sehen Organisationen wie die OSCE, der Internationale Gerichtshof und das State Department ganz anders.

    Nur weil Du dieses Verbrechen nicht wahrhaben willst musst Du hier nicht primitiv herumpöbeln.

  • K
    Kapba

    Die westlichen Organisationen können bis Heute ein solches Massaker nicht bestätigen. Dieser georgischer Vorwurf des Massakers wird eines Tages genauso entlarvt werden wie die vorangegangenen Lügen.

  • D
    Denis

    Ich bin gespannt, wann Russland Tschetschenien zur Unabhängigkeit verhilft. Die internationale Anerkennung als Staat wäre ihnen sicher, nicht nur von der Hamas und Chávez.

  • G
    gregor

    Taz schreibt: "Dass Russland als Geburtshelfer und Schutzmacht auftritt, birgt Risiken." Selbstverständlich! Immer. Nur wenn man die USA als Geburtshelfer und Schutzmacht hat, ist es risikolos. Schade nur, dass Deutschland nicht mehr so potent ist und fremde Länder nicht mit Unabhängigkeit schwängern kann. Ach, die alten guten Zeiten. Jetzt darf man nur zusehen und still leiden, wie Russland die Geburten mit Risiko produziert.

  • D
    denninger

    Dass der "Sieg über Georgien" im September 1993 der Auftakt zu einem bestialischen Massaker mit ca. 7000 georgischen und jüdischen Opfern war verschweigt der Klaus-Helge in seiner Laudatio bewusst.

    Hat es die taz wirklich nötig, solch miese Propaganda abzudrucken?