kommentar : Ab in den Giftschrank!
Kaum ist Alexander Litvinenko tot, werden im Internet Polonium-Devotionalien angeboten: Das ist zwar einträglich – aber nicht lustig!
Alexander Litvinenko ist tot; gestorben an einer tödlichen Dosis des radioaktiven chemischen Elements Polonium-210. Wer den ehemaligen russischen Agenten und späteren Kreml-Gegner umgebracht oder den Anschlag in Auftrag gegeben hat, liegt auf der Hand, wird aber an dieser Stelle unter keinen Umständen ausgesprochen – aus Angst vor einem Racheakt – mit Polonium-211 oder so.
Der Tod Litvinenkos hat einen seltsamen Hype um das von der doppelten Nobelpreisträgerin Marie Curie entdeckte Polonium-210 ausgelöst: So ist der Umsatz bei „The Polonium Restaurant“ in der englischen Industriestadt Sheffield seit Bekanntwerden der Todesursache Litvinenkos um rund 40 Prozent gestiegen, weil dort ein leckerer Polonium-Spezialteller nach dem anderen über den Tresen wandert. Das schnelle Geld wittert auch das Internetwarenhaus www.unitednuclear .com – und wirft dabei jegliche Seriosität über Bord.
Denn eigentlich verkauft unitednuclear.com vor allem wissenschaftliches Equipment und Bedarfsartikel für den atombegeisterten Nachwuchschemiker: Geigerzähler, Minimengen radioaktiver Isotope und Röntgenzubehör. Darüber hinaus gibt es in der Merchandisingabteilung T- Shirts mit dem Aufdruck „Got nuclear?“, Tassen mit eingelassenem Atomzeichen und anderen Nippes für den Nerd von nebenan. Außer ihnen findet das zwar keiner lustig, doch tun diese Gimmicks wenigstens niemandem weh.
Anders die Neuzugänge auf der Internetseite: Aufgrund der großen Nachfrage, so steht es dort, hat unitednuclear.com nun auch einen Kaffeebecher mit der Aufschrift „Vorsicht! Radioaktives Material – enthält Polonium-210 in flüssiger Suspension“ hergestellt. Für 10 US-Dollar das Stück kann man sich am Tod des russischen Systemkritikers Litvinenko laben – jeder Schluck ein kleiner Kick.
Diese Geschmacklosigkeit mit der großen Nachfrage zu rechtfertigen zeugt von einer fatalen Verrohung der Verantwortlichen. Mit dem Tod, einem gewaltsamen noch dazu, macht man kein Geschäft. Das ist pietätlos, unethisch und schlichtweg unangemessen. Eine Müslischale mit der Aufschrift „Vorsicht! Karzinogenes Material – enthält wasserlösliche Spuren von Acrylamid“ wäre ähnlich komisch.
DANIEL MÜLLER