AUSLÄNDERPOLITIK: Mit Gnade in die Weihnachtszeit
Vor der Niedersachsen-Wahl gibt es Bewegung im Fall Gazale Salame: Der Landtag wird sich aller Voraussicht nach für eine Rückkehr Salames acht Jahre nach der umstrittenen Abschiebung aussprechen
Für die vor mittlerweile fast acht Jahren aus Niedersachsen abgeschobene Gazale Salame zeichnet sich eine neue Chance auf Rückkehr ab: In seiner letzten Sitzung vor Weihnachten – zugleich der letzten vor der Landtagswahl im Januar – wird Niedersachsens Landtag kommende Woche aller Voraussicht nach einen Entschließungsantrag verabschieden, nach dem sich die schwarz-gelbe Landesregierung für eine Rückkehr Salames einsetzen soll. Mit den Stimmen von CDU und FDP, so haben es die Fraktionen bereits im Landtagsinnenausschuss beschlossen.
Es ist der wohl umstrittenste Abschiebefall, mit dem Niedersachsen und insbesondere Niedersachsens Innenminister Uwe Schünemann (CDU) bundesweit Schlagzeilen machte – und das über Jahre. 2005 ließ er die Kurdin nach 17 Jahren in Deutschland schwanger mit ihrer damals einjährigen Tochter von Hildesheim in die Türkei abschieben, während ihr Mann die beiden älteren Töchter zur Schule brachte. Die Familie ist noch immer getrennt. Die vier Geschwister haben sich noch nie gesehen.
Der Protest hält bis heute an: Vom Flüchtlingsrat Niedersachsen, Unterstützern vor Ort in Hildesheim, bis hin zu Organisationen wie Pro Asyl oder Terre des Hommes. Zu Solidaritätskundgebungen kommen immer wieder Hunderte Menschen. Appelle an Niedersachsens Ministerpräsident David McAllister (CDU) haben neben anderen Ex-Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth (ebenfalls CDU) und Ex-Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin (SPD) unterschrieben.
Im Landtag drängen SPD, Grüne und Linksfraktion immer wieder auf eine Rückkehr, bislang vergeblich. CDU und FDP wiesen entsprechende Initiativen stets mit ihrer Stimmenmehrheit ab. Innenminister Schünemann betonte gerne, die Familie könne schnell wieder vereint sein – Mann und Kinder müssten nur in die Türkei ausreisen. Bewegung kommt erst jetzt, wenige Wochen vor der Landtagswahl. McAllister wolle das Thema vom Tisch haben, heißt es. Noch vor Weihnachten wolle er Salame und ihre beiden jüngsten Kinder in Niedersachsen haben.
Denn die Kritik an der Haltung seines Innenministers wuchs auch bei CDU und Kirchen – nicht zuletzt wegen des Vergleichs zur vietnamesischen Familie Nguyen: Die hatte Schünemann 2011 nach 19 Jahren in Deutschland abschieben lassen. Nur die älteste Tochter durfte bleiben. Nach massiven Protesten schaltete sich McAllister ein – Schünemann erwirkte die Rückkehr aus humanitären Gründen, die Familie ist wieder vereint.
Ganz so weit will man bei Salame aber offenbar nicht gehen: In dem Antrag, über den der Landtag kommende Woche abstimmt, hatten SPD, Grüne und Linksfraktion ursprünglich gefordert, für sie ebenfalls eine Rückkehr aus humanitären Gründen zu erwirken. Zustimmen werden CDU und FDP nun allerdings einer geänderten Fassung ihrer Innenpolitiker: Danach soll zunächst Salames älteste Tochter mit Unterstützung des Landes die im Aufenthaltsgesetz vorgesehene Aufenthaltsgenehmigung für gut integrierte Heranwachsende bekommen. Daran gekoppelt könne auch Salame eine Aufenthaltsgenehmigung beantragen. Im schlimmsten Falle gibt es auf dieser Rechtsgrundlage aber nur eine Duldung.
Entsprechend verhalten sind die Reaktionen auf den Schwenk des Regierungslagers: „Wir sind erleichtert, wenn Gazale kommen kann“, sagt Kai Weber vom Flüchtlingsrat, „in dieser Geschichte haben aber alle verloren.“ Acht Jahre Trennung seien einfach zu lang. In der Opposition hofft man zusätzlich zur Verabschiedung des Rückhol-Antrags auf „ein klares Bekenntnis der Landesregierung zur Zusammenführung der Familie noch in diesem Jahr“, sagt die Hildesheimer SPD-Abgeordnete Jutta Rübke. „Der gute Wille reicht nicht“, sagt Grünen-Migrationspolitikerin Filiz Polat. Und die Linken-Innenpolitikerin Pia Zimmermann fordert „Worte statt Taten“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht
Der Check
Verschärft Migration den Mangel an Fachkräften?
Comeback der K-Gruppen
Ein Heilsversprechen für junge Kader
Die HTS in Syrien
Vom Islamismus zur führenden Rebellengruppe