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AUSGERECHNET EINE FRAU AUS DEM OSTEN ERNEUERT DIE ERZWESTLICHE CDUKleine Revolution mit Angela Merkel

Sicher, Angela Merkel ist auch nur Angela Merkel, und eine Frau aus dem Osten als CDU-Vorsitzende bedeutet noch lange keine große Revolution und schon gar nicht das Ende der Erzählung vom kleinen, gedemütigten Ostler.

Aber Angela Merkel ist auch nicht nur Angela Merkel, sondern ein bisschen mehr: ein Mädchen aus Mecklenburg, das es bis an die Spitze einer erzwestlichen, männerdominierten Partei gebracht hat. Das bedeutet schon eine kleine Revolution, einen kulturellen Aufstand – nicht nur für die CDU selbst, sondern auch für dieses Land, das ja zehn Jahre nach der Vereinigung immer noch Wert auf den Unterschied von Ost- und Westdeutschen legt – zu Recht im Übrigen. Und da dieser Unterschied meistens im Jammerton vorgetragen wird, sollte man ruhig noch einmal feststellen, dass er auch seine guten Seiten hat. Käme die gute Frau Merkel aus Stuttgart, könnte sich die CDU nur mit einer halb so ungewöhnlichen Person profilieren, und die Ostdeutschen sängen wieder einmal ihr herzzerreißendes, langweiliges Lied vom bösen Westen. Aber plötzlich wird in der CDU eine ganz andere Musik gespielt.

Die Irritation, die die Frau aus Ostdeutschland in der CDU auslöst, wird nicht dadurch kleiner, dass sie nicht von Anfang an als Parteivorsitzende gewollt war. Die kleine Kulturrevolution fällt auch nicht gleich aus, nur weil niemand in der CDU so recht weiß, wofür ihre neue Vorsitzende eigentlich politisch steht. So viel Ungewissheit bringen Umbruchsituationen nun mal mit sich. Darin liegt sogar etwas Positives: Wo es kein fertiges Programm gibt, steht nicht schon wieder alles fest.

Das weiß in der CDU vermutlich niemand besser als Merkel selbst. Sie hat als Sprecherin der Regierung von Lothar de Maizière hautnah miterlebt, wie sich Parteien und Menschen verändern, wenn alle Gewissheiten sich plötzlich in Luft auflösen und ein ganzes System zusammenbricht. So gesehen wird sich Angela Merkel, wenn sie den unkontrollierten Aufbruch ihrer Partei beobachtet, vielleicht an die Menschen in der DDR erinnern, wie sie nach Jahrzehnten des Stillhaltens für einige Monate das öffentliche Reden lernten. Die neue CDU-Vorsitzende wird in aller Stille vielleicht sogar denken, dass es für das Zusammenwachsen der Bundesrepublik und einer ihrer führenden Parteien nicht das Schlechteste ist, wenn hunderttausende Christdemokraten im Westen eine Erfahrung machen, die Millionen Ostdeutsche in ähnlicher Form schon hinter sich haben: Es gibt Momente im Leben, da kann alles zusammenbrechen, auch ein ganzes System, und sei es nur das von Helmut Kohl. Das hatte zwar keine Mauer, und eine diskussionsarme Partei ist noch kein undemokratischer Staat, aber die CDU unter Kohl war – hierin liegt eine Parallele zur DDR – für viele Menschen identitätsstiftend, für manche sogar Teil ihres Lebens.

Angela Merkel als CDU-Vorsitzende bedeutet ein Stück Entkrampfung im gestörten Ost-West-Verhältnis. Gerade im Politikbetrieb werden die Ostdeutschen doch bis heute als Politclowns wahrgenommen, oder sie werden von Mutti und Papa aus dem Westen unter Artenschutz gestellt, damit ihnen in der großen, weiten Welt ja nichts zustößt. Merkel ist eines der wenigen überzeugenden Gegenbeispiele. (Sie ist es im Übrigen auch deswegen – das sei den Ostdeutschen gesagt –, weil sie sich durchgekämpft hat.) Diese Frau aus dem Osten an der Spitze der westdeutschesten aller westdeutschen Parteien wird kulturell unter Umständen mehr bewegen als die ganze PDS zusammen. Sie repräsentiert keine Verlierer und Underdogs, sondern einen großen Teil des bürgerlichen Milieus und damit die Mitte der Gesellschaft.

Es wird spannend zu beobachten sein, wie sich Angela Merkel, die unter den „Profis“ um sie herum immer noch anders genug ist, um als unkonventionelle Politikerin durchzugehen, in der CDU durchsetzen kann. Sie hat (noch) kein Konzept und keine Hausmacht. Aber sie ist jetzt Chefin einer Partei, die ihr, bei allem Jubel, nach wie vor mit Misstrauen begegnet. Der Antikommunismus in der CDU sitzt tief. Auf einer der Regionalkonferenzen wurde Merkel gefragt, warum ihre Mutter zusammen mit ihrem Vater in den 50er-Jahren von Hamburg nach Rostock übergesiedelt sei und nicht umgekehrt, wie es sich gehört hätte. Aus Liebe, hat Merkel dem älteren Herrn aus Hamburg geantwortet, sei ihre Mutter mitgegangen. Nun vermag die Liebe ja bekanntlich viel. Aber mit ihr allein dürfte die Frau aus dem Osten gegen die alten Gewissheiten ihrer Partei in Zukunft nicht ankommen. JENS KÖNIG

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