ARD-"Tatort" vom Rhein: Paukerstrenges Schulterklopfen
Kinderverwahrlosung, Jugendamt-Abzocke und ungewollte Schwangerschaft - der Kölner "Tatort" mit Ballauf und Schenk will viel - und bleibt doch ein Themen-Krimi.
Wann lässt man ein Kind bei seiner Mutter, wann nimmt man es ihr weg? „So eine Entscheidung ist immer eine Gratwanderung“, erklärt der Leiter des Kölner Jugendamtes den beiden Kommissaren, die im neuen Fall mit den Möglichkeiten und Grenzen des Kinderschutzes konfrontiert werden. Denn unglücklich ausgegangen ist die Gratwanderung bei der überforderten Teenagermutter Stefanie, die eines Morgens angetrunken von einer Party zurückkommt: Die vierjährige Tochter, die sie am Abend mit einem Schlafmittel ruhig gestellt hat, ist spurlos verschwunden – und im Wohnzimmer liegt - erstochen! - der zuständige Mitarbeiter des Jugendamtes.
Ein weiterer Themen-Krimi aus Köln also ist „Kaltes Herz“ (Buch: Ralf Leuther und Peter Dommaschk) geworden. Doch wie schon sämtliche ambitionierten Episoden vom Rhein im letzten Jahr leidet auch diese am Widerspruch zwischen Anspruch und Umsetzung. Was ist da eigentlich los beim WDR? Immerhin entstanden hier einst die geschliffensten "Issue Thriller" des Landes: Politische Aufreger wurden in klug gebaute, anrührend gespielte Täterrätsel verpackt. Nun aber trägt man pflichtschuldigst alle Aspekte zusammen, ohne den politischen oder melodramatischen Dimensionen des Stoffes gerecht zu werden.
Man nehme zum Vergleich nur das Kindstod-Drama „Der frühe Abschied“ von der Frankfurter „Tatort“-Redaktion: Wo die hessischen Ermittler in die Abgründe überforderter Mutterschaft hinabsteigen, da tapsen Schenk (Dietmar Bär) und Ballauf (Klaus J. Behrendt) durchs Hartz-IV-Elend, gucken paukerstreng, verteilen aufmunternde Schulterklopfer oder legen die Stirn in Sorgenfalten, wenn sie der Überlastungen des freundlichen Sozialarbeiters Hellwig (Charly Hübner) gewahr werden. Der macht nämlich 1-a-Arbeit – und muss sich doch von seiner Klientel bespucken lassen.
So richtig annähern tun sie sich die Polizisten aber keiner Figur – auch deshalb weil die Handlung unter der Regie von Thomas Jauch („Crashpoint – 90 Minuten bis zum Absturz“) in viele themenergänzende Subplots zerfällt. So wird ausgerechnet Kollegin Franziska Lüttgenjohann (Tessa Mittelstaedt) schwanger und denkt vor den beiden anderen laut über Abtreibung nach – ein Plan, den sie dann aber unter den Dackelblicken von Schenk und Ballauf wieder verwirft.
Und dann wird der Zuschauer am Ende mit zwei Pflegeeltern konfrontiert, die das Amt durch Doppelbelegungen abzuzocken scheinen. Da schleicht sich doch glatt eine besonders perfide Wendung in diesen gut gemeinten Aufklärungskrimi: Dass nun ausgerechnet Pflegeeltern den Staat abzocken, spielt fiesen Vorurteilen zu.
Tatort: Kaltes Herz, So 20.15 Uhr, ARD
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
„Männer“-Aussage von Angela Merkel
Endlich eine Erklärung für das Scheitern der Ampel
Sport in Zeiten des Nahost-Kriegs
Die unheimliche Reise eines Basketballklubs
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko