ARD-Dokumentation „Beziehungskrisen“: Corona wird Geschichte

Wie umgehen mit Verwandten, die glauben, Bill Gates sei für die Coronapandemie verantwortlich? Die ARD-Doku „Beziehungskrisen“ sucht nach Antworten.

Rechts sitzt Richard Zschech, links von ihm seine Mutter. Sie sitzen auf einem Baumstamm und tragen Herbstjacken. Hinter ihnen ist ein Teich und Bäume ohne Blätter. Zschech lächelt, seine Mutter runzelt die Stirn.

Richard Zschech (r.) und seine Mutter diskutieren über die Coronamaßnahmen der Regierung Foto: MDR/Dirk Heth

Es ist bald so weit: Corona wird historisch. Im ARD-Programm kann man das ganz gut daran erkennen, dass die tagtäglichen „Brennpunkt“-Sondersendungen abgelöst wurden von dokumentarischen Formaten. Vor knapp zwei Wochen gab es Volker Heises „Schockwellen“ – weit ausholend, nämlich mit der Silvesterfeier 2020 beginnend, das große Ganze betrachtend, auf jeglichen einordnenden Offkommentar verzichtend: die hohe Schule des Dokumentarfilms.

Die Dokumentation bäckt da etwas kleinere Brötchen, fokussiert einen Teilaspekt der Pandemie. „Beziehungskrisen“ setzt ein mit den Bildern von Teilnehmern einer Berliner Demo aus dem Frühjahr 2021 gegen die Coronamaßnahmen der Bundesregierung. Eine Männerstimme erklärt aus dem Off: „Die meisten sind aus der sogenannten Mitte der Gesellschaft. Viele könnten Freunde oder Bekannte von mir sein. Oder meine jüngste Schwester. Sie ist felsenfest davon überzeugt, dass hinter der Coronapandemie Bill Gates oder andere Mächtige stehen.“

Von wessen jüngster Schwester die Rede ist, erfährt man als Zuschauer allerdings nicht, jedenfalls nicht direkt. Der Erzähler aus der Ich-Perspektive stellt sich nämlich gar nicht vor. Bei dem Wechsel des Schauplatzes im Film fährt in den folgenden knapp 45 Minuten gelegentlich ein Kombi durch die Landschaft, ein Mann am Steuer. Aus dem Vor- und dem Abspann gehen Peter Podjavorsek und Adama Ulrich als Autoren der Dokumentation hervor.

Der Kommentator spricht trotzdem in der ersten Person Singular, nicht Plural. Es muss sich um Peter Podjavorsek handeln – Adama Ulrich hat wahrscheinlich einfach keine Verschwörungstheoretiker unter ihren Angehörigen vorzuweisen.

Ein Film ohne „Patentrezept“

Corona spaltet: „Immer wieder höre ich, wie langjährige Freundschaften wegen unterschiedlicher Ansichten zu Corona zerbrochen sind, Familien sich streiten – wie ich mich mit meiner Schwester. Wie sollen wir aber damit umgehen?“, fragt Podjavorsek, der zuvor Filme über Flüchtlingshelfer im Mittelmeer, Chemie im Wasser und polnische Küche gemacht hat. Seine Schwester kommt in dem Film gar nicht vor. Sie wollte nicht.

Das ist nur logisch: Dieser merkwürdigen Sammlungsbewegung aus Reichsbürger-Neonazis, Waldorfschulen-Esoterikern und anderen Spinnern, die da unter dem „Querdenker“-Label zusammengefunden hat, gelten öffentlich-rechtliche Medien ja gerne als staatlich gelenkte „Lügenpresse“. Warum sollten sie mit denen sprechen, die ihnen ohnehin „jedes Wort im Mund umdrehen“?

Immerhin drei haben es doch getan: ein IT-Techniker aus Sachsen, sein Freund und die Mutter eines jungen Mannes, in dessen Familie offenbar alle außer ihm zu den Bill Gates verantwortlich machenden Spinnern gehören. Dazu muss man sagen, dass die Spinner im Film nie als solche bezeichnet werden. Auf die Erkenntnis läuft es nämlich hinaus: „Je mehr wir uns von diesen Personen lossagen, desto mehr treiben wir diese Personen in die Isolation“, weiß der Mann von Veritas, der Beratungsstelle für Betroffene von Verschwörungserzählungen. Man muss miteinander im Gespräch bleiben.

Zuhören, wenn etwa der IT-Experte im Hoody mit dem Rosa-Luxemburg-Zitat erklärt: „Sich auf die Seite der Benachteiligten zu stellen, die kein Gehör finden, sich für die starkmachen – das erfordert Rückgrat!“ Die Spinner erfahren mit ihrem Aktionismus „'ne enorme Aufwertung der eigenen Persönlichkeit“, sagt der Weltanschauungsbeauftragte der evangelischen Kirche dazu.

Podjavorsek hat am Ende des Films auch „kein Patentrezept“ gefunden. In den Gesprächen mit seiner Schwester vermeidet er das Coronathema. Sagt ihr also nicht: Du kannst ja der Meinung sein, dass die Coronamaßnahmen der Bundesregierung zu weit gingen, gar unverhältnismäßig waren. Du kannst aber nicht der Meinung sein, dass Bill Gates der Urheber der Pandemie ist, weil das keine Meinung ist, sondern eine Tatsachenbehauptung, deren Wahrheit du nicht beweisen kannst. Das ist doch wirklich nicht so schwer zu verstehen! Nein, das sagt er ihr alles nicht.

Beziehungskrisen: Wie Corona spaltet“, 45 Minuten, ARD-Mediathek

Und, funktioniert seine Taktik, das Coronathema zu meiden? „Meistens funktioniert das. Aber nur, weil wir uns nicht so häufig sehen.“

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