ARBEITSMARKTPOLITIK: Zeitarbeit auf der Agenda
Gewerkschaften, Kirchen und Arbeitnehmerkammer fordern mehr Rechte für LeiharbeiterInnen. Rot-Grün will sich dafür erneut im Bundesrat einsetzen.
Für bessere Bedingungen für LeiharbeiterInnen setzen sich VertreterInnen aus Gewerkschaften und Kirchen sowie die Bremer Arbeitnehmerkammer ein. Die hat gestern eine entsprechende Resolution vorgestellt. Gewerkschaften und Kirchen planen am Donnerstag - dem Welttag der menschenwürdigen Arbeit - eine Demo gegen prekäre Beschäftigung, samt symbolischer "Sklavenversteigerung".
Von einem "erneuten Boom" der Leiharbeit spricht die Arbeitnehmerkammer: Rund 10.400 Beschäftigte gab es im Juni 2010 in der Branche in Bremen, im Juni 2009 waren es noch 8.900 gewesen. Jedes zweite Stellenangebot kommt laut Arbeitnehmerkammer derzeit aus der Zeitarbeit. Rund ein Drittel weniger Lohn als für die Stammbelegschaften gibt es dort, 17 Prozent der LeiharbeiterInnen mussten 2008 zusätzlich Hartz-IV-Leistungen beantragen.
"Unbedingt notwendig" sei ein besserer rechtlicher Schutz angesichts dessen, erklärt der Hauptgeschäftsführer der Arbeitnehmerkammer, Ingo Schierenbeck. Er fordert gleiche Löhne und Arbeitsbedingungen für Stammbelegschaften und LeiharbeiterInnen, das Ende konzerneigener Überlassungen wie im so genannten "Fall Schlecker" und die Wiedereinführung des 2004 von Rot-Grün im Bund abgeschafften Synchronisationsverbots. Das könne verhindern, dass Zeitarbeitsunternehmen Arbeitsverträge an die Einsatzdauer in Unternehmen koppeln.
Zudem fordert die Kammer eine schärfere Kontrolle der Zeitarbeitsunternehmen, um Missbrauch zu vermeiden. Die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) spricht indes von einer "Dreiklassengesellschaft" in vielen Betrieben: Schrumpfende Belegschaften, Beschäftigte mit befristeten Verträgen und LeiharbeiterInnen - mit je unterschiedlichen Löhnen und Konditionen. Oftmals, so die NGG, gebe es nicht mal die gesetzlich zugesicherte Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Die Arbeitnehmerkammer verweist auf über 300 ZeitarbeiterInnen, die 2009 bei ihr Rechtsberatung gesucht haben - 70 Prozent mehr als noch 2007.
Auf offene Ohren stoßen Gewerkschaften und Arbeitnehmerkammer bei den rot-grünen Bürgerschaftsfraktionen. "Wir haben das Thema auf der Agenda", sagt die Grünen-Arbeitsmarktpolitikerin Silvia Schön. Im Bundesrat hat Bremen etwa die Gleichstellung bei Löhnen und Rechten oder die Begrenzung der Leiharbeit auf zwei Jahre gefordert - bereits zwei Mal in dieser Legislaturperiode, jeweils vergeblich. Nun startet Rot-Grün einen neuen Anlauf. Im November wird die Bürgerschaft über den entsprechenden Antrag entscheiden. "Es gibt eine Gesetzeslücke, die geschlossen werden muss", sagt Schön, "daran halten wir fest".
Warum es dieses Mal anders laufen könnte als zuvor? "Zumindest ein bisschen" hätten sich die Machtverhältnisse im Bundesrat seit der NRW-Wahl verschoben. Die Länderkammer erwarte von der schwarz-gelben Bundesregierung seither stärker, dass sie "auch dafür Sorge trägt, dass Unternehmen Menschen fest einstellen, wenn sie sie längerfristig brauchen - und existenzsichernde Löhne zahlen", so Schön.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Krise bei Volkswagen
1.000 Befristete müssen gehen
Preiserhöhung bei der Deutschen Bahn
Kein Sparpreis, dafür schlechter Service
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Künftige US-Regierung
Donald Trumps Gruselkabinett
Housing First-Bilanz in Bremen
Auch wer spuckt, darf wohnen
Bis 1,30 Euro pro Kilowattstunde
Dunkelflaute lässt Strompreis explodieren